Testen und shoppen - noch kein Erfolgsrezept
Samstagnachmittag in einer Einkaufszone im Nordwesten der Hauptstadt: Auf der einen Straßenseite herrscht lebhafter Betrieb. In einem großen Supermarkt gehen die Kunden ein und aus und erledigen unbehelligt ihre Wochenendeinkäufe. Lediglich das Tragen einer medizinischen FFP2-Maske ist vorgeschrieben.
Auf der anderen Straßenseite stehen ein paar Menschen in einer kleinen Schlange vor einem riesigen Möbelhaus. Drei Sicherheitsleute kontrollieren, ob eine Bescheinigung über ein aktuelles, negatives Corona-Testergebnis vorliegt - aus einem offiziell anerkannten Testzentrum. Wenn das der Fall ist, geleiten sie die Kunden zu einer Tischreihe, wo sie Formulare ausfüllen und sich so für den Einkauf registrieren können.
Immer wieder müssen Kunden abgewiesen werden, weil sie nicht getestet sind. Das sorgt für Frust. "Das ist doch vollkommener Blödsinn, dass ich hier einen Test brauche und da drüben in dem Supermarkt, wo sich alle drängen, nicht", schimpft eine Frau. Der Sicherheitsmann zuckt bedauernd mit den Schultern. Er habe die Regeln nicht gemacht, sagt er und zeigt auf ein großes Schild, das den Weg zum nächstgelegenen Corona-Testzentrum beschreibt. Das ist allerdings ein paar Kilometer weit entfernt.
Kritik von Kanzlerin Merkel
Der negative Test als Eintrittskarte für den Einzelhandel, aber auch den Friseur und andere Dienstleister ist in Berlin seit zwei Wochen Pflicht. Eingeführt wurde die Regelung, nachdem auch in der Hauptstadt die Zahl der Neuinfektionen die Grenze von 100 pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen überschritt. Eigentlich hätte Berlin daraufhin alle seit dem 8. März erlassenen Lockerungen wieder rückgängig machen müssen. So hatten es die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin Anfang März vereinbart.
Entsprechend ungehalten reagierte Angela Merkel auf die Entscheidung der Berliner. "Ich weiß nicht, ob testen und bummeln, wie es jetzt in Berlin heißt, die richtige Antwort ist", kritisierte die Kanzlerin in einem TV-Interview.
Regionale Vielfalt
Das hielt andere Bundesländer allerdings nicht davon ab, ebenfalls auf das Test-Modell zu setzen. Inzwischen gilt es auch in Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Sachsen, dem Saarland und Bayern. In Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen laufen die Vorbereitungen, in Nordrhein-Westfalen entscheiden Landkreise und Städte bereits autark, ob sie das Modell ausprobieren wollen.
Das führt zum Teil zu absurden Situationen. Im nordrhein-westfälischen Aachen kann man ungetestet zum Friseur gehen. Im 65 Kilometer entfernt liegenden Köln braucht man ein negatives Testergebnis, kann aber unter Aufsicht des Friseurs einen Selbsttest machen. 30 Kilometer weiter, in Bonn, reicht das nicht aus, hier wird die Bescheinigung aus einem offiziellen Testzentrum verpflichtend benötigt.
Viele Terminabsagen
Den Friseuren, aber auch den Einzelhändlern beschert die Regelung einen massiven Umsatzeinbruch. "In unserer Telefonberatung laufen die Drähte heiß: Zahlreiche Friseurbetriebe klagen, dass Kunden wegen der geltenden Testpflicht in großem Stil Termine absagen", berichtet der Hamburger Handwerkspräsident Hjalmar Stemmann in einem Interview.
"Da wäre es besser, sie würden die Läden wieder zumachen und uns in Kurzarbeit schicken", schimpft eine Friseurin in Berlin. Ihr Geschäft liegt in einer großen Einkaufsstraße im Berliner Stadtteil Charlottenburg. Gleich nebenan in einem Geschäft für Wohnaccessoires, Porzellan und Geschenkartikel ist es ebenfalls gähnend leer. "Wir leben eigentlich von Laufkundschaft und spontanen Käufen", erzählt eine Angestellte: "Die Testregelung funktioniert für uns nicht."
Geschäfte, die nur für negativ getestete Kunden geöffnet sein dürfen, machen laut einer aktuellen Umfrage des deutschen Einzelhandelsverbands HDE 62 Prozent weniger Umsatz als in Vor-Corona-Zeiten. "Die Politik greift an den falschen Stellen ein", kritisiert Geschäftsführer Stefan Genth.
Warten auf einen Testtermin
Aber warum funktioniert das Testmodell nicht? Was ist so schwierig daran, einen Corona-Schnelltest durchführen zu lassen, dessen Ergebnis innerhalb von 15 Minuten vorliegt? In Deutschland hat jeder Bürger Anspruch auf mindestens einen kostenlosen Test pro Woche. In Berlin gibt es inzwischen ein großes Netz von Teststellen. Bei manchen der rund 300 Anlaufpunkte kann man ohne Termin erscheinen, bei anderen kann oder muss ein Termin vereinbart werden.
Das ist oft genug aber nicht einfach, weil es für Zeiten, die besonders attraktiv sind, nicht ausreichend Termine gibt: beispielsweise am Samstagmorgen, wenn man anschließend den ganzen Tag zum Shoppen nutzen könnte. Zu solchen Stoßzeiten sind auch die Testcenter, die ohne Termin aufgesucht werden können, stark frequentiert. Eine Stunde Wartezeit, die auch bei Kälte, Wind und Regen draußen zugebracht werden muss, ist keine Seltenheit. Das wirkt abschreckend und schmälert die Lust auf eine Einkaufstour gewaltig.
Größere Händler sind erfinderisch
Vor allem größere Handelsketten reagieren darauf, indem sie Testmöglichkeiten vor Ort schaffen. Der Baumarkt Hornbach hat damit in Nordrhein-Westfalen bereits begonnen, viele der bundesweit insgesamt 96 Standorte sollen folgen. Man sei "in den vergangenen Tagen an die Kommunen und auch an die lokalen Hilfsorganisationen herangetreten, um einen Teil der großen Parkplätze für Testzentren zur Verfügung zu stellen", sagt Unternehmenssprecher Florian Preuß.
Händler, deren Geschäfte weniger zentral liegen und die daher nicht darauf hoffen können, dass die Kommune vor ihrer Eingangstür eine Testmöglichkeit eröffnet, müssen sich etwas anderes ausdenken. So hat ein Berliner Möbelhaus für zwei Filialen in der Stadt medizinisches Fachpersonal angeheuert. Kunden, die das Angebot wahrnehmen wollen, müssen 20 Euro bezahlen. Dafür bekommen sie einen Gutschein, den sie bei einem Einkauf verrechnen lassen können.
Für kleine Geschäfte lohnt sich dieser Aufwand nicht. Deren Inhaber haben ihre Läden als Reaktion auf die Testpflicht auch wieder geschlossen. In der Einkaufsstraße in Berlin-Charlottenburg ist es in einem Shoppingcenter inzwischen jedes zweite Geschäft.