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Glaube

Mit bloßen Händen - Aktuell zum Krieg in der Ukraine

11. März 2022

In russischen Panzern sitzen Menschen. Die sich ihnen in den Weg stellen, sind Menschen. Um zum Frieden zu kommen, braucht es viel mehr. Mehr Menschen, weitere Begegnungen – und andere.

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Russland Militärübungen
Bild: AP /picture alliance

Mit den bloßen Händen. So stehen sie da, schreien, rufen, ballen die Fäuste, halten die blaugelben Fahnen hoch, als die Panzer kommen. Das Video ist verwackelt, aber eindeutig. Die Panzer rollen langsam auf sie zu, bremsen und bleiben stehen. Die wütenden Menschen gehen schrittweise auf die Kolonne zu, ein schweres Gerät hinter dem anderen. Und sie: einfache Menschen, Männer und Frauen. Unbewaffnet.

Mit den bloßen Händen wehren sie ab. Damoi, damoi. Fahrt nach Hause, rufen sie auf Russisch. Das muss man selbst im Panzer hören.

Der Mut der Verzweifelten. Frauen schreien, Männer brüllen. Es ist Angst in der Luft und Wut, heiße Wut. Und immer dabei der Wunsch, die im Panzer mögen hören, etwas fühlen. Das sind doch auch Menschen, die ein Herz haben, die verstehen müssen, was hier passiert.

Im Schritttempo drängen die Panzer voran. Doch die Menschen gehen auf sie zu, legen die Hände auf die Panzer und wollen sie abhalten, zurückschieben.

Mit den bloßen Händen.

Wie David gegen Goliath.

Und man spürt, wie die im Panzer ringen und überlegen. Befehl ist Befehl, aber das hier sind Menschen, sie sprechen meine Sprache. Die kann ich doch nicht überfahren. Schießen aus der Ferne wohl. Da sieht man die Opfer nicht so. Aber direkt überfahren, wehrlose Menschen?

Das eine Video zeigt, wie die Panzer es nicht wagen. Und sich zurückziehen.

David gewinnt. Großer Jubel!

 

Immer ein Wagnis

Ein anderes Video – gleiches Thema, andere Stadt – zeigt, wie die schweren Militär-LKW trotz Hupen und Blaulicht erst nicht weiterkommen, dann aber doch langsam anfahren, Menschen zur Seite drängen und den Weg ebnen in die Stadt. Wütend und verzweifelt schreien Hunderte ihnen hinterher.

Goliath gewinnt.

Die bloßen Hände reichen. Und sie reichen nicht.

Menschlichkeit kann siegen – und sie kann verlieren.

Es gibt keine Garantie, zu gewinnen. Wie immer du dich verhältst: Es ist ein Wagnis.

Nimmst Du eine Waffe in die Hand, machst du dich schuldig. Kommst du mit bloßen Händen, hast du im Zweifelsfall keine Chance.

Oder?

Den Frieden muss man wagen, sagt der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Der Friede lässt sich nicht sichern, denn Frieden ist das Gegenteil von Sicherheit, sagt er. Der Friede, der aus Christus kommt, ist ein Wagnis.

Bonhoeffer weiß, der Einzelne kann ihn nicht erreichen. Auch eine Kirche allein könne ihn nur bezeugen, aber „die Mächte der Welt können wortlos über sie hinwegschreiten.“

Bonhoeffer ruft deswegen auf, dass alle Kirchen zusammenstehen. Einig darin, dass der Grund des Glaubens dieser Friede ist. Nur wenn es alle Kirchen zusammen deutlich machen, müsse die Welt das Wort vom Frieden „zähneknirschend“ zur Kenntnis nehmen. Das wäre dann wirklich eine frohe Botschaft, weil, wie Bonhoeffer wörtlich sagt, „die Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.“ *

 

Bonhoeffer und die Klitschkos

Die beiden Klitschko-Brüder werden Bonhoeffer vermutlich nicht kennen. Aber so ähnlich sprechen sie es dieser Tage auch in die Kamera und senden es in die Welt. Sie fordern die Religionsführer aller Länder auf, in die Ukraine zu kommen, Papst Franziskus, den Dalai Lama, Patriarch Kyrill von der russisch-orthodoxen Kirche, dazu alle Menschen guten Willens, sie mögen kommen und sich vor die Panzer stellen.

Wie wäre das, wenn am kommenden Sonntag zur Gottesdienst-Zeit Tausende Geistliche aus aller Welt in Kiew auf die Straße gingen. Männer in beeindruckenden Soutanen, je dicker die Kreuze auf ihrer Brust, um so besser, Frauen in bunten Talaren, Rabbinerinnen, Imame, Schamaninnen, Zen-Lehrer, Menschen aller Glaubensrichtungen. Seite an Seite mit denen, die jetzt um ihr Leben bangen. Und die Kameras der Welt sind dabei. Sie mögen beten in ihrer Sprache, Lieder anstimmen, Gott um Hilfe rufen mit allen seinen Engeln.

Es gibt keine Garantie, dass das gut geht. Es wäre ein Wagnis.

Aber ein Schritt hin zum Frieden – mit bloßen Händen.

 

*(D. Bonhoeffer, Gesammelte Schriften Band I 1958 S. 216-219)

 

Ulrike Greim, Weimar