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Politik

Aids: Hört nicht auf die Apokalyptiker!

27. Juli 2018

Die Welt-Aids-Konferenz schlägt zu Recht Alarm: Der erfolgreiche Kampf gegen HIV darf nicht politisch torpediert werden. Wer Kranke stigmatisiert, trägt Verantwortung für die Toten, meint Astrid Prange.

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Symbolbild HIV Teenager
Bild: imago/imagebroker

Die Botschaft der Welt-Aids-Konferenz in Amsterdam ist klar: Der Kampf gegen die Immunschwächekrankheit ist eine politische Willensfrage. Wer Aufklärung und Prävention behindert, wer familiäre Werte beschwört, aber HIV-infizierte Ehefrauen und ihre Kinder alleine lässt, wer Drogenabhängige ausgrenzt und Homosexuelle zu Sündenböcken abstempelt, blockiert die Fortschritte beim Kampf gegen HIV und Aids und macht sich schuldig.

Die Fortschritte bei diesem Kampf sind enorm. Sie zeigen, dass ein menschenwürdiges Leben mit der Immunschwäche möglich ist. Sie zeigen, dass sich die Ausbreitung der Epidemie verlangsamt hat - durch die Kombination von Aufklärung, medizinischem Fortschritt, globaler Solidarität und verantwortungsvoller Gesundheitspolitik. Sie zeigen, dass Todesängste schwinden und ein Leben mit HIV möglich ist - auch in ärmeren Ländern.

Vorbild Botswana 

Der Kampf gegen Aids und HIV ist also eine grandiose Erfolgsstory. In Zahlen: 2017 wurden 22 Millionen der weltweit 37 Millionen HIV-Infizierten mit antiretroviralen Medikamenten behandelt. Allein vier Millionen davon leben in Südafrika, das Land mit dem weltweit größten staatlichen HIV-Programm. Die Zahl der jährlichen Aidstoten sank 2017 weltweit erstmals seit der Jahrtausendwende unter eine Million.

Kommentarbild Astrid Prange
DW-Autorin Astrid Prange de Oliveira Bild: DW/P. Böll

Besonders deutlich sind die Erfolge beim Kampf gegen Aids in Botswana, das Land mit der weltweit zweithöchsten HIV-Ausbreitung (17 Prozent). Im Zeitraum von 2010 bis 2017 stieg dort der Anteil von Aidskranken, die mit antiretroviralen Medikamenten versorgt werden, von 50 Prozent auf 84 Prozent. Die Zahl der Aidstoten sank folglich in dem südafrikanischen Land von 18.000 (2003) auf 4000 Personen (2017).

Russische Negativspirale

Umso schwerer wiegt angesichts dieser globalen Erfolgsbilanz die Entwicklung in Osteuropa und Zentralasien. In dieser Region droht eine verhängnisvolle Verkettung von Ignoranz, religiösen Überzeugungen, Traditionen, Tabuisierung, Diskriminierung und politischer Verantwortungslosigkeit die bereits erreichten Fortschritte wieder zunichte zu machen.

Besonders drastisch ist die Entwicklung in Russland. Nach Angaben von UNAIDS sind dort rund eine Million Menschen mit HIV infiziert. Die Zahl der jährlichen Neuinfektionen ist von 50.000 Personen im Jahr 2004 auf 100.000 im vergangenen Jahr gestiegen. Nur rund 360.000 Betroffene haben Zugang zu einer Aids-Therapie.

Die russische Negativspirale beruht unter anderem auf der Missachtung mühsam erarbeiteter internationaler Standards im Umgang mit HIV und Aids. Wo religiöse Anführer die Immunschwäche als "Strafe Gottes" geißeln und nationalistische Politiker vorgeben, "Familien zu schützen", sterben Frauen, die von ihren Ehemännern mit HIV infiziert wurden. Und Kinder kommen mit dem potentiell tödlichen Virus auf die Welt, obwohl die Übertragung medizinisch hätte verhindert werden können.

Die Apokalypse blieb aus

Wo ein Menschenleben wenig wert ist, ist auch die Versorgung von Aidskranken kein großes Thema. Warum in öffentliche Gesundheitssysteme investieren, wenn Aids immer noch als "Homosexuellen-Seuche" wahrgenommen wird, ein Wort, das der Spiegel 1983 in seiner Titelgeschichte benutzte? Warum Aufklärung an Schulen organisieren und Spenden sammeln, wenn die Kranken angeblich selber schuld sind?

Beim Thema Aids schlägt die Stunde der Wahrheit. Der Umgang mit der Epidemie offenbart nicht nur das Ausmaß von Kompetenz und Humanität von politischen und religiösen Verantwortungsträgern. Er offenbart das menschliche - oder unmenschliche - Antlitz einer ganzen Gesellschaft. 

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