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Politik

Das Gift im eigenen Land

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Jens Thurau
24. Februar 2020

Die Mordtat von Hanau mit vielen Toten scheint der Politik nunmehr endgültig die Augen geöffnet zu haben: Deutschland hat ein massives Problem mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, meint Jens Thurau.

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Hanau | Solidaritätsbekundung nach Schießerei
Bild: Getty Images/AFP/P. Hertzog

Glaubt man den Politikern in Deutschland, dann war der schreckliche Anschlag von Hanau vom Mittwoch tatsächlich eine Art Zäsur: "Der Rassismus ist ein Gift", sagte Kanzlerin Angela Merkel. Innenminister Horst Seehofer nannte die Mordtat von Hanau "einen rassistisch motivierten Terroranschlag." Und auch der CSU-Politiker bemühte einen ähnlich starken Vergleich wie die Kanzlerin, indem er sagte, rechtsextreme, antisemitische und rassistische Thesen "sind Gift, Gift das Verwirrung in den Köpfen auslöst und dafür sorgt, dass das Böse hervortritt".

Damit erkennt auch die Regierung an, dass Hetze im Netz, rechte Parolen, aber auch aggressive Reden etwa von Politikern der "Alternative für Deutschland" (AfD) in den Landesparlamenten und im Bundestag eine direkte Wirkung auf potenzielle Attentäter haben können. So eindeutig urteilte die Politik in der Vergangenheit nicht immer.

Das Phänomen des rechten Einzeltäters

Lange Jahre, auch noch nach der Mordserie des "National-Sozialistischen Untergrunds" (NSU), begnügten sich insbesondere viele konservative Politiker mit der Formel, der Staat werde konsequent gegen jeden Terror vorgehen - den von rechts wie den von links, oder den von Islamisten. Jetzt wird anerkannt, dass Deutschland aktuell ein massives Problem mit dem gewaltbereiten rechten Rand hat. Gut so. Lange war für die Verantwortlichen Gewalt von rechts ein Phänomen von Einzeltätern. Organisiert erschien in dieser Sichtweise vor allem der islamistische Terror, noch früher der Linksradikalismus etwa der "Roten Armee Fraktion". Dass man aber auch von Terror sprechen kann, wenn womöglich psychisch kranke Einzeltäter im Netz oder durch eine vergiftete gesellschaftliche Atmosphäre aufgestachelt werden, diese Sichtweise sickert jetzt langsam durch. Und wird von vielen Experten bestätigt.

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Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Auf ihre Weise tragen viele Institutionen und Bereiche der Gesellschaft dazu bei, das dieses Gift immer stärker wird. Auch wir, die Medien. Aufmerksamkeit erhält in der Regel nach solch furchtbaren Anschlägen wie dem in Hanau der Täter - weniger die Opfer. Auch wenn diesmal überall die Mühe zu erkennen war, Fassungslosigkeit, Entsetzen und Mitgefühl  zu beschreiben.

Und natürlich ist der schnelle Ruf da nach politischen Maßnahmen, die sofort Abhilfe schaffen: mehr Schutz für Moscheen und Synagogen etwa, mehr Polizei, eine Beobachtung der gesamten AfD durch den Verfassungsschutz, nicht nur einzelner extremer Teile der Partei, was ja schon geschieht.

Strukturelles Rassismusproblem

Tatsächlich aber ist der Kampf gegen rechtsextreme Gewalt und Terror, wie gegen jede Gewalt, am Ende einer Aufgabe aller: Am Anfang müsste die Einsicht stehen, dass Deutschland schon lange ein strukturelles Problem mit dem Rassismus hat. Schon seit Jahren beziffern Experten das Potenzial für solche Ansichten auf bis zu 20 Prozent in der Bevölkerung. Die immer größer werdende Aggressivität - auf den Straßen, in den Debatten etwa um Bauprojekte, in den Gesprächen zwischen Stadtbewohnern und Landbevölkerung - tut ein Übriges. Eine gängige rechtsextreme Erzählung lautet, all diese Phänomene habe es nicht gegeben, bevor Angela Merkel die Flüchtlinge ins Land ließ.

Zuletzt ist das Waffenrecht verschärft worden, und die Regierung verspricht zumindest, stärker gegen die Hetze im Netz vorzugehen. Das ist nicht falsch. Aber wenn das Land sich entgiften will, sind alle gefragt: Achten auf den Nächsten, auf den einsamen Nachbarn, widersprechen, wenn man mit wirren Verschwörungstheorien konfrontiert wird. Es hilft nichts: Der rechte Hass geht alle an - ohne Ausnahme. Aber ein Anfang ist gemacht, wenn die Spitze des Staates erkennt, wie ernsthaft das Problem ist.