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Politik

Eine Schande für Saudi-Arabien

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Rainer Sollich
2. Oktober 2019

Der Mord an Jamal Khashoggi vor genau einem Jahr schockierte die Welt. Riad versucht alle Spuren zu verwischen, die auf seinen Kronprinzen deuten. Doch diese Tat darf nicht ungesühnt bleiben, meint Rainer Sollich.

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Jamal Khashoggi
Bild: imago/IP3press/A. Morissard

Stellen Sie sich vor, Sie möchten heiraten und Ihr künftiger Ehepartner stammt aus einem anderen Land. Er muss deshalb in ein Konsulat, um die nötigen Papiere zu besorgen. Aber er kehrt nie zurück. Wenig später erfahren Sie: Er ist tot, ermordet, Opfer eines unbeschreibbar grausamen Verbrechens. Sein Körper wurde mit einer Säge zerstückelt, die einzelnen Teile in Plastiktüten aus dem Konsulat getragen und vermutlich außer Landes geschafft.

Werk von Unmenschen

Dieses schreckliche Szenario hat Hatice Cengiz erleben müssen, die Verlobte des saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi. Er wurde am 2. Oktober 2018 im saudischen Generalkonsulat in Istanbul auf eine Weise ermordet, die man nur als Werk von Unmenschen bezeichnen kann. Ein Mensch wurde ohne jeden Skrupel und mit schauderhafter Präzision aus dem Weg geräumt, weil er in einer einflussreichen US-Zeitung kritische Insider-Kolumnen über Saudi-Arabien schrieb, die aus Sicht der dortigen Herrscher das Image des Landes beschädigten. Das störte die Verantwortlichen in Riad gewaltig, deshalb wurde Khashoggi eiskalt zum Schweigen gebracht.

Wird der Mord jemals gesühnt?

Die Täter vor Ort sind bekannt: allesamt Vertreter des saudischen Staates und seiner Geheimdienste. Dank akribischer Recherchen der UN, internationaler Medien und auch der CIA kennen wir den Namen des Mannes, der Khashoggis Leiche zersägt hat. Wir kennen auch die Namen der übrigen unmittelbar Tatbeteiligten bei diesem politischen Auftragsmord. Nur eines bleibt diffus: Wer war ihr Auftraggeber?

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DW-Redakteur Rainer Sollich

Alle Fingerzeige von CIA, UN und Experten deuten hier klar in Richtung von Mohamed bin Salman, dem mächtigen Kronzprinzen von Saudi-Arabien, der gerade ein weiteres Mal beteuert hat, nicht Auftraggeber gewesen zu sein. Er will nicht einmal etwas von der Mordaktion seines eigenen Geheimdienstes gewusst haben. Wenngleich prinzipiell das juristische Prinzip der Unschuldvermutung (bis zum Beweis des Gegenteils) auch für saudische Thronnachfolger zu gelten hat: Die bisherigen Beteuerungen von MbS - so sein Rufname - sind höchst unglaubwürdig. Weder hat MbS bisher die geringste Bereitschaft erkennen lassen, sich selbst einer unabhängigen Untersuchung zu stellen, noch spielen die Saudis hier überhaupt mit offenen Karten: So führen sie hinter verschlossenen Türen seit Monaten einen ominösen Prozess gegen mehrere angebliche Täter des Mords, bei dem internationale Beobachter nicht zugelassen sind und bei dem bis heute nicht einmal bekannt ist, wer eigentlich genau vor Gericht steht.

Kronprinz mit zwei Gesichtern

MbS ist durch den Khashoggi-Mord zu Recht zu einer Art Paria avanciert: Kaum noch ein internationaler Staatsführer möchte sich öffentlich mit ihm zeigen - selbst Donald Trump hält sich trotz gemeinsamer Interessen in der Iran-Krise eher zurück. Viele insbesondere jüngere Menschen in Saudi-Arabien blicken allerdings mit ganz anderen Augen auf MbS. Für sie ist er ein Idol und Hoffnungsträger, denn er hat Reformen angestoßen, die auch im Westen mit Wohlwollen gesehen werden: Frauen dürfen Autofahren und ohne männliche Erlaubnis ins Ausland reisen, der Einfluss der "Religionspolizei" wurde zurückgedrängt, die saudische Jugend entdeckt teils ungeahnte Freiheiten und bekommt auf gigantischen Musikfestivals die Creme der internationale Popszene präsentiert. Dass derselbe Kronprinz auch Folter, Repressionen und - zumindest im politischen Sinne - sogar einen Mord zu verantworten hat, ist ihnen möglicherweise kaum bewusst oder sie halten es für ausländische Propaganda.

Grenze überschritten

Doch alle gesellschaftliche Öffnung und Freiheit ist nichts wert, wenn zeitgleich in Gefängnissen gefoltert wird, wenn im Jemen Frauen und Kinder durch saudischen Beschuss sterben müssen und politische Gegner weder daheim noch im Ausland sicher vor Verfolgung sind.

Der Mord an Khashoggi ist eine Schande für Saudi-Arabien und beschädigt das Ansehen des Landes mehr, als es eine Kolumne von Jamal Khashoggi je hätte tun können. Hier wurde eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden darf. Deshalb darf diese Tat nicht ungesühnt bleiben und auch die Rolle des Kronprinzen muss auf den Tisch. Nicht nur die Verlobte Khashoggis hat ein Anrecht darauf - die ganze Welt muss ein Interesse daran haben. Denn andernfalls würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Potenzielle Nachahmer gibt es genug, nicht nur in arabischen Ländern.