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Politik

Keine Perspektive für Rohingya in Myanmar

25. August 2022

Durch den Bürgerkrieg in Myanmar hat sich die Einstellung gegenüber den verachteten Rohingya teilweise verändert. An deren Elend ändert das aber nichts.

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Eine erschöpfter Rohingya berührt den Boden nach der Überquerung von Bangladesch-Myanmar Grenze mit einem Boot (11.09.2017)
Rohingya nach der Flucht aus Myanmar (im September 2017): Der "Säuberungsoperation" entkommenBild: Danish Siddiqui/REUTERS

Rohingya in Bangladesch

Vor fünf Jahren, im August 2017, startete die birmanische Armee im nordwestlichen Rakhine-Staat an der Grenze zu Bangladesch eine sogenannte "Säuberungsoperation" gegen die muslimische ethnische Minderheit der Rohingya. Zivilisten wurden ermordet, Frauen und Mädchen vergewaltigt, ganze Dörfer niedergebrannt. Etwa 700.000 Rohingya flohen über den Grenzfluss Naf ins benachbarte Bangladesch, wo sie bis heute in Flüchtlingslagern ausharren.

Das birmanische Militär rechtfertigte die Operation als Reaktion auf Angriffe der "Arakhan Rohingya Salvation Army" (ARSA), einer militanten Widerstandsgruppe der Rohingya, die wenige Tage zuvor mehrere Polizeistationen attackiert hatte. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen verurteilten die Militäroperation als unverhältnismäßig. Dem Militär werden Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid vorgeworfen. Aktuell läuft vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein Verfahren gegen Myanmar wegen Verstoßes gegen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords.

Lange Geschichte der Diskriminierung

Die Rohingya, die in Myanmar als offizielle Minderheit nicht anerkannt sind, werden seit Jahrzehnten diskriminiert und dämonisiert. Viele von ihnen haben deswegen keine gültige Staatsbürgerschaft, erhalten keine medizinische Versorgung oder können sich folglich nicht frei bewegen oder ihre Kinder zur Schule schicken. Aktuell leben mehr als eine Million Rohingya in Bangladesch und zwischen 300.000 und 400.000 im weiteren Ausland.

Etwa 400.000 leben weiterhin in Myanmar, die meisten in Lagern nahe Sittwe, der Hauptstadt des Rakhine-Staats, in dem die meisten Rohingya vor ihrer Vertreibung zu Hause waren. Die Mehrheit im Rakhine-Staat bilden allerdings die Arakanesen, eine buddhistische Ethnie, die sich ihrerseits seit Jahrzehnten mit der birmanischen Zentralregierung und dem Militär im Konflikt befindet.

Eine Frau drückt ihr Baby an die Brust nach einem Großbrand im Flüchtlingslager in Cox's Bazar im März 2021
Flüchtlingslager Cox's Bazar in Bangladesch (im März 2021): Leben unter erbärmlichen BedingungenBild: MOHAMMAD PONIR HOSSAIN/REUTERS

Bei vielen Einwohnern Myanmars gelten die Rohingya als illegale Migranten aus dem benachbarten Bangladesch. Dabei lebt die überwiegende Mehrheit der Rohingya seit vielen Generationen in Myanmar. Außerdem, so ein oft geäußerter Vorwurf, bekämen sie als Muslime zu viele Kinder, heirateten buddhistische Frauen und würden so den Buddhismus in Myanmar gefährden. Der ist allerdings fest verankert: Über 87 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Buddhisten.

Die Theorie von der Verschwörung gegen den Buddhismus wurde von einflussreichen nationalistischen Mönchen in Videopredigten und den sozialen Medien insbesondere vor dem Jahr 2017 ständig wiederholt. Wie Studien gezeigt haben, hat die Hetze verfangen, fiel sie doch auf den fruchtbaren Boden jahrzehntealter Vorurteile und systematischer Benachteiligung der Rohingya.

Neue Sicht auf die Rohingya

Doch seit das Militär im Februar 2021 geputscht, Aung San Suu Kyi ins Gefängnis gebracht und den Protest der Bevölkerung mit Gewalt unterdrückt hat, hat sich die Einstellung gegenüber den Rohingya verändert. Nun, da die Mehrheitsbevölkerung der Bamar im birmanischen Kernland selbst Opfer von "Säuberungsoperationen" wird, gibt es eine gewisse Form der Solidarität.

Insbesondere junge Aktivisten der sogenannten Generation Z, die gegen das Militär kämpfen, zum Teil aber auch mit der Politik der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) unter Aung San Suu Kyi gebrochen haben, fordern "Gerechtigkeit für die Rohingya" - was auch immer das im Detail heißen mag.

Bereitschaftspolizisten in Yangon führen einen jungen Demonstranten ab (27.02.2022)
Festnahme eines Demonstranten in Yangoon (im Februar 2021): Gewalttätiges Vorgehen von Sicherheitskräften gegen die OppositionBild: Mar Naw

Die Regierung der Nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), die sich nach dem Putsch als Gegenregierung gebildet hat, hat in einer Stellungnahme vom Juni 2021 ihre Position zu den Rohingya erläutert und diese im März 2022 nochmals bestätigt. Darin heißt es: "Die Politik verpflichtet sich zur sicheren, freiwilligen, würdigen und dauerhaften Rückkehr von Rohingya-Flüchtlingen und Binnenvertriebenen sowie zu umfassenden legislativen und politischen Reformen zur Förderung von Bürgerrechten, Gleichberechtigung und Chancengleichheit sowie Gerechtigkeit und Wiedergutmachung." Auch wurde der Rohingya Aung Kyaw Moe  Berater des Ministeriums für Menschenrechte des NUG.

Solidarität aus Kalkül?

Wie weit oder wir tiefgehend die neu entdeckte Solidarität mit den Rohingya ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Da das NUG praktisch nirgendwo in Myanmar die Regierungsgewalt ausübt, können die Stellungnahmen nicht viel mehr als Absichtserklärungen sein.

Klar ist aber auch: An erster Stelle steht für das NUG der Kampf gegen das Militär. Weil das NUG dabei immer noch auf die Unterstützung des Westens hofft, der sich bisher nur sehr zurückhaltend und nur humanitär engagiert, entspringt die neue Solidarität mit den Rohingya teilweise eigenen Interessen. Da die Lage der Rohingya für die USA und europäische Regierungen aus menschenrechtlicher Sicht hohe Bedeutung hat, kommt das NUG der westlichen Position in dieser Frage entgegen, die einige Mitglieder des NUG noch vor 2021 abgelehnt hatten.

Karte Bangladesch Myanmar Rakhine-Staat DE

Das NUG, das sich zu großen Teilen aus Mitgliedern von Aung San Suu Kyis Partei, der NLD, rekrutiert, befindet sich in der Frage der Rohingya in einem Dilemma. Die damalige Staatsrätin Aung San Suu Kyi war 2019 zum Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gegangen, um Myanmar gegen den Vorwurf des Völkermords zu verteidigen. Sie stellte sich damit auch schützend vor das Militär, und viele ihrer Anhänger unterstützten sie dabei.

Eine Bildmontage als Plakat in Yangong 2019 zeigt Aung San Suu Kyi mit Generälen der birmanischen Armee vor dem Internationalen Gerichtshof
Plakat in Yangoon mit Fotomontage von Suu Kyi mit Myanmars Generälen vor dem IGH-Gebäude (im November 2018)Bild: AFP

Wenn nun die Rohingya-Politik der Staatsrätin infrage gestellt würde, würde das entweder bedeuten, dass Suu Kyi sich geirrt, oder dass das Militär sie benutzt hat. Beide Vorstellungen sind für viele Menschen im Land, die Suu Kyi nach wie vor wie eine Heilige verehren, inakzeptabel und könnten die Anhänger Suu Kyis sogar gegen das NUG aufbringen.

Da in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land keine Umfragen oder empirischen Untersuchungen zur Einstellung bezüglich der Rohingya möglich sind, muss die Frage offen bleiben, ob breite Teile der Bevölkerung die jahrzehntelange Rhetorik und Praxis der Diskriminierung in den anderthalb Jahren seit dem Putsch abgelegt haben.

Repatriierung derzeit unmöglich

Unabhängig von der Einstellung der Menschen in Myanmar gegenüber den Rohingya ist klar, dass unter den gegebenen Umständen eine Repatriierung der Flüchtlinge aus Bangladesch nach Myanmar unmöglich ist.

UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet erwähnte die Repatriierung in ihrer Stellungnahme nach einem Besuch in Bangladesch Mitte August 2022 deswegen auch nur einmalig und betont zurückhalten: "Eine Repatriierung muss immer auf freiwilliger Basis und in Würde erfolgen und darf nur dann stattfinden, wenn in Myanmar sichere und nachhaltige Bedingungen herrschen."

Michelle Bachelet im Rohingya-Flüchtlingscamp in Bangladesch mit Mitarbeitern der UN und Pressevertretern (16.08.2022)
UN-Menschenrechtskommissrain Bachelet beim Besuch eines Rohingya-Flüchtlingslagers in Bangladesch (Mitte August)Bild: AFP

NUG-Berater Aung Kyaw Moe sagte der DW, dass sich die Lage im Rakhine-Staat nicht verbessert habe: "Es herrschen fast die gleichen Bedingungen wie 2017." Auch der Soziologe und Myanmarkenner Tony Waters aus Thailand sagte dazu im Podcast "Myanmar in a Podshell": "Eine Repatriierung nach Rakhine wird es nicht geben. Das ist für jeden, der die Ereignisse in Myanmar verfolgt, offensichtlich."

Myanmar befindet sich im Bürgerkrieg, die Wirtschaft liegt am Boden. Es fehlt an allem und die Rohingya hätten nichts zu erwarten. Hinzu kommt: Im Rakhine-Staat stehen sich die Arakan Army, der bewaffnete Arm der Arakanesen, und das birmanische Militär in einem brüchigen Waffenstillstand gegenüber. Sollte der Waffenstillstand brechen, stünden die Rohingya wie schon so oft in der Geschichte zwischen allen Fronten.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia