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Kann das "Jeckes Museum" gerettet werden?

Sarah Judith Hofmann
3. März 2021

Das Museum der deutschsprachigen Juden muss schließen. Die Universität Haifa würde Ausstellung und Archiv gerne retten. Doch dafür braucht es Geld.

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Jeckes-Werbung im alten Palästina
Werbeplakat des israelischen Tourismus-Ministeriums der 1950er-JahreBild: DW/Sarah Hofmann

Hoch im Norden Israels liegt der kleine Ort Tefen. Von Tel Aviv oder gar Jerusalem war der Weg stets eine halbe Tagestour entfernt, den letzten Teil der Strecke musste sich das Auto eine schmale Bergstraße hochschlängeln. Und doch traten jedes Jahr viele hundert Besucher diesen Weg an - nicht nur aus Israel kamen sie, auch aus Deutschland war das Interesse am "Museum für deutschsprachige Juden in Israel", oder auch "Jeckes Museum", groß.

Sie schauten sich die Bücher des deutsch-jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, von Heinrich Heine und Franz Kafka an, betrachteten die Orden, die deutsche Juden im Ersten Weltkrieg als Auszeichnung erhalten hatten und betraten die Wellblechhütte, in der einst die Familie Schatzmann gelebt hatte.

Jeckes-Museum in Tefen Israel
Dieses "Illustrierte Koch-Notiz-Buch" nahmen deutsche Juden in den 1930er-Jahren mit nach PalästinaBild: DW

Aus Berlin waren sie in den 1930er-Jahren nach Israel gekommen, fanden Zuflucht in der israelischen Küstenstadt Nahariya. Von der bürgerlichen Existenz in die Notunterkunft mit Nachttopf statt Toilette und nur einer winzigen Dusche. Auch die Hitze wird der Familie zu schaffen gemacht haben, "eine Klimaanlage, wie wir das heute kennen, gab es natürlich nicht", sagt Ruthi Ofek.

Finanziert vom Industriellen Stef Wertheimer

Sie hat das Museum einst mit aufgebaut. Nach ersten Anfängen in den 1960er-Jahren in eben jenem Nahariya, wo sich besonders viele deutsche Juden angesiedelt hatten, zog das Museum 1991 unter der Leitung von Ruthi Ofek nach Tefen. Finanziert wurde es vom Industriellen Stef Wertheimer, der in Deutschland geboren wurde und als kleines Kind mit seinen Eltern vor den Nazis nach Israel floh. Lange Zeit galt er als der reichste Mann Israels. Der Industriepark mit mehreren Museen und jährlich bis zu 80.000 Besuchern, vor allem aber das "Jeckes Museum", waren ihm eine "Herzensangelegenheit", erzählt Ruthi Ofek.

Jeckes-Museum in Tefen Israel
Viele geflohene Juden aus Deutschland nahmen ihren gesamten Hausstand mit. Wie diese Küche im "Jeckes Museum" zeigtBild: DW

Doch inzwischen ist er 94 Jahre alt und hat sich aus den Geschäften zurückgezogen. Seine Kinder wollen sich nun aufs rein Unternehmerische konzentrieren, so heißt es. Die Finanzierung haben sie eingestellt, die Gebäude verkauft. Und so stehen auf dem großen Parkplatz des Industrieparks Tefen, zu dem das Museum gehörte, schon die Umzugswagen. Bis Ende März soll alles eingepackt sein. Wertheimer identifizierte sich mit den Jeckes, wollte die Erinnerung an sie wach halten, auch wenn der Begriff ihm anfangs einen Schauer über den Rücken laufen ließ, erzählt Ruthi Ofek.

"Kommst du aus Zionismus oder kommst du aus Deutschland?"

"Ich nenne das Museum doch nicht nach einem Schimpfwort", habe er Ruthi Ofek geantwortet als sie "Jeckes Museum" vor rund 30 Jahren als Namen vorschlug. Woher der Begriff "Jecke" stammt, ist nach wie vor historisch nicht ganz geklärt. Vielleicht weil die deutschsprachigen Juden stets korrekt ein Jackett trugen - und das auch bei großer Hitze. Es könnte aber auch eine Abkürzung aus dem Hebräischen "jehudi kasche hawana" sein, was so viel heißt wie "ein Jude, der schwer von Begriff ist."

Im "Jeckes Museum" in Tefen, Isral, hängen Plakate aus einer Ausstellung von 2017
Werbeplakate aus den 1930er bis 1950er JahrenBild: Stefanie Järkel/dpa/picture alliance

Eines ist klar: Der Begriff war lange Zeit nicht positiv besetzt. Man machte sich in Israel lustig über die "Jeckes", die so überkorrekt waren und auch ihre Schwierigkeiten mit der hebräischen Sprache hatten. "Alles, was in Deutschland ganz normal war, fand man hier seltsam", berichtet Ofek. Im Gegensatz zu vorigen jüdischen Einwanderern ins damalige Palästina, kamen die Jeckes nicht aus zionistischer Überzeugung. Sie flohen vor den Nazis. Eine Frage, die den Ankömmlingen häufig gestellt wurde, lautete: "Kommst du aus Zionismus oder kommst du aus Deutschland?" Das änderte sich mit der Zeit. Mittlerweile kann eine Israeli stolz sagen "Ich bin eben eine Jecke" wenn sie pünktlich zum Termin erscheint. Und so willigte Wertheimer schließlich ein, das Museum mit diesem Titel zu versehen. 

Eine Million Dokumente verschwinden in Kisten

Rund eine Million Dokumente zählt das Archiv des "Jeckes Museums". Dazu kommen rund 500 größere Exponate wie Möbel, Statuen, wertvolle Objekte wie die Totenmaske von Else Lasker-Schüler, aber auch Stickereien und andere Handarbeiten, die die Jeckes fertigten. Es sind Gegenstände, die die Menschen aus ihrer Heimat auf der Flucht mitnehmen konnten und Dinge, die ihr neues Leben, in dem was erst noch Heimat werden sollte, ausmachten. Gegenstände, die nicht nur an jene erinnern, die rechtzeitig fliehen konnten, sondern auch an all die deutschsprachigen Juden, die von den Nazis ermordet wurden.

Was aber geschieht nun mit diesen kostbaren Erinnerungsstücken? "Es wird nichts weggeworfen", beruhigt Ruthi Ofek. Sowohl die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als auch andere Museen in Israel hätten sich bereit erklärt, die Gegenstände in ihren Archiven zu sichern. "Aber sie wären weggesperrt, fern der Öffentlichkeit." Das ist es, was die ehemalige Museumsleiterin so beunruhigt. "Sie müssen verstehen, dieses Museum hat eine Community. Jedes Jahr haben wir ein Fest veranstaltet, zu dem Hunderte Jeckes-Familien kamen."

Stefan Ihrig will dieses "lebendige Museum" retten. Er ist Professor für Geschichte und Direktor des Zentrums für deutsche und europäische Studien an der Universität Haifa. Ihrig will die Tefener Ausstellung ins Hecht-Museum der Universität integrieren. Und er will das Archiv nicht nur sichern, sondern ein Forschungszentrum aufbauen, bei dem Studenten neues über die Jeckes zu Tage fördern sollen.

Dokumente der Großeltern in der Tasche

Jeckes-Werbung im alten Palästina
Israelische Werbung für Waschmittel (1950er Jahre)Bild: DW/Sarah Hofmann

"Die erste Generation hat nicht kommuniziert", sagt Ihrig, "aber die zweite und vor allem die dritte Generation interessiert sich für ihre Geschichte. Sie kommen zu uns ans Zentrum, wollen Deutsch lernen und haben häufig Dokumente in der Tasche, zu denen sie forschen wollen." Es sei eine ganz andere deutsch-jüdische Geschichte, die hier erzählt werden könne, sagt Ihrig. Diese sei natürlich nicht losgelöst vom Holocaust, aber eben doch etwas anderes als die Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden. Wie kaum eine andere Einwanderergruppe waren die Jeckes mit einer Art Schizophrenie konfrontiert: Deutsch war ihre Muttersprache, sie vermissten ihre einstige Heimat und zugleich war es zum Land und zur Sprache der Täter geworden. Trotz dieser Besonderheit aber glaubt Ihrig, könnten sie als eine Art "Showcase" dienen für aktuelle Themen wie Migration oder Kulturtransfer. "Die Jeckes haben die deutsche Kultur bewahrt und zugleich die neue israelische Identität angenommen. Sie haben Israel geprägt."

Es fehlen 3,4 Millionen Euro

Doch Ihrig läuft die Zeit davon. Wenn Ende März alle Kisten in Tefen gepackt sind, muss klar sein, ob das neue "Jeckes-Zentrum" in Haifa für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren überleben kann. Nur dann lohnt es sich ein Forschungszentrum von diesem Ausmaß überhaupt aufzubauen.

Jeckes-Museum in Tefen Israel
Geschirr und Häkel-Deckchen deutschsprachiger Juden, die vor der NS-Verfolgung nach Palästina flüchtetenBild: DW

Neben Spendern in Israel hat Ihrig sich vor allem auch an Deutschland gewandt. Denn er ist überzeugt: "Das Zentrum kann eine Brücke der deutsch-israelischen Beziehungen sein." Bei Außenminister Heiko Maas ist er damit auf offene Ohren gestoßen. Das Außenministerium hat bereits eine Summe von 200.000 Euro zugesichert - doch damit sind gerade einmal die Umzugskosten gedeckt. Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ist mit an Bord und will eine Archivarenstelle mit jährlich rund 50.000 Euro finanzieren. Die weitaus größte Summe von 3,4 Millionen Euro aber fehlt noch.

"In diesem Jahr werden 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert", erinnert Ihrig. "Hier haben wir jüdisch-deutsches Leben und das soll weggesperrt werden? Das wäre ein Skandal!"

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