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Bauhaus-Architektur: "Tel Aviv war eine Oase"

Torsten Landsberg
19. September 2019

Mit dem White City Center eröffnet in Tel Aviv die weltweit größte Sammlung zur Bauhaus-Architektur. An der Sanierung der Weißen Stadt war auch der deutsche Restaurator Norbert Höpfer beteiligt.

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Israel Tel Aviv Max-Liebling-Haus Weiße-Stadt-Zentrum
Bild: picture-alliance/dpa/I. Yefimovich

Rund 4000 Gebäude umfasst die Weiße Stadt, das UNESCO-Weltkulturerbe in Tel Aviv. Die in den 1930er und 1940er Jahren von zumeist jüdischen Architekten errichtete Wohnstadt ist eine einzigartige Ansammlung von Gebäuden des damals modernen Internationalen Stils. Viele Gebäude sind vom Bauhaus inspiriert. 

Im Max-Liebling-Haus eröffnet am 19. September 2019 das White City Center. Norbert Höpfer ist Mineraloge und promovierter Geologe, als Restaurator hat er seit 2006 an der Sanierung von rund 30 Gebäuden in Tel Aviv mitgewirkt, unter anderem war er am Max-Liebling-Haus tätig. Worauf es bei der Restaurierung ankommt und wo die Unterschiede im Denkmalschutz zwischen Deutschland und Israel liegen, erzählt er im DW-Gespräch. 

DW: Herr Höpfer, der Zahn der Zeit hat an den vom Bauhaus inspirierten Gebäuden in Tel Aviv genagt. Wie weiß ist die Weiße Stadt heute noch?

Norbert Höpfer: Ich glaube, nach vielen Sanierungen ist sie weißer als jemals zuvor. Wir wissen häufig gar nicht, wie die Häuser ursprünglich gestrichen wurden, weil wir es auf den Schwarz-Weiß-Aufnahmen nicht erkennen können. Es war nicht unbedingt alles weiß, es gab Grüntöne und Ocker, ich habe an einem Haus Apricot als ersten Anstrich gefunden. Leider ist in Israel bei der Restaurierung oft der komplette Putz abgeschlagen worden, weshalb nur selten Putzreste erhalten geblieben sind und wir keine ausführliche Dokumentation haben.

Norbert Höpfer auf einer Baustelle
Norbert Höpfer (links) bei Arbeiten in Tel AvivBild: Privat

Im Max-Liebling-Haus eröffnet nun das White City Center. Sie waren an der Restaurierung beteiligt, welche Besonderheiten sind dabei aufgetreten?

Ich war in der Mitte des Verfahrens involviert und habe einen Bericht zur Fassadenproblematik geliefert. Es hat mir wirklich Kopfzerbrechen bereitet, weil ein Putz drauf war, der nicht Original, sondern vielleicht 15 Jahre alt war. Auf jeden Quadratmeter kamen 20 Zentimeter Riss in der Fassade. Wir haben Workshops gemacht, in denen es darum ging: Wie können wir diese Bauhaus-Form hinkriegen? Wie können wir die Putztechniken hinkriegen? Das muss man von Generation zu Generation weiterführen, sonst geht es verloren.

Viele Häuser in Tel Aviv sind baufällig. Was hat den Häusern denn am meisten zugesetzt: der Salzgehalt der Mittelmeer-Luft, die Abgase des Verkehrs oder die hohen Temperaturen?

Der alte Bauherren-Stil endete mit Gründerzeit und Jugendstil. Das Bauhaus hat andere Maßstäbe gesetzt. Die wollten ganz anders bauen, es wurde unheimlich schlank aufgebaut und versucht, technisch schneller voranzukommen. Das Rückgrat des Bauhauses war Stahlbeton, der damals nicht sehr stark war. Mit der Zeit verliert er an Alkalität [basischer Wirkung, Anm. d. Red.], und diese Häuser stehen seit 80 Jahren. In Tel Aviv kommt die Salzluft hinzu, aber wir haben die gleichen Phänomene in Deutschland, weshalb die Autobahnbrücken der 1950er und 1960er Jahre baufällig sind.

Hände halten eine weiße Keramik-Platte
Eine im Original erhaltene Keramik aus dem Max-Liebling-HausBild: picture-alliance/dpa/I. Yefimovich

Sie haben 2006 angefangen, in Tel Aviv in der Restaurierung zu arbeiten. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich hatte damals mit speziellem Kalk aus Frankreich zu tun. Ein israelischer Restaurator ist immer wieder mit Fragen auf mich zugekommen. Ich bin dann nach Israel gereist, um mir die Sache anzuschauen. Ein Jahr später bin ich fest geblieben.

Auf welche Besonderheiten sind Sie damals bei den Bauten gestoßen und wo haben Sie mit Ihrer Expertise angesetzt?

Ich habe in Israel bei der Restaurierung von Templer-Häusern angefangen, die christliche Templer aus Württemberg gebaut haben, als sie Ende des 19. Jahrhunderts nach Palästina ausgewandert sind. Dann habe ich in Tel Aviv auch an Gründerzeit-Bauten gearbeitet und Mörtel entwickelt. Die Deutschen wollen immer genau wissen, was man macht. Die Israelis wollen hingegen eigentlich nur wissen, wie lange etwas dauert und was es kostet. Deswegen konnte ich in Tel Aviv Materialien ausprobieren - ohne, dass sich jemand dafür interessiert hat. In Deutschland muss man erst lange diskutieren, warum man nun diesen oder jenen Kalk nimmt.

Sie konnten also die Mischung der Materialien in Israel perfektionieren, weil Sie unbeobachtet arbeiten konnten?

Ja, meine Mischungen sind an echten Gebäuden getestet. Wenn man in Israel fünf, sechs Sachen zusammenmischt, trifft das auf wenig Interesse, in Deutschland ist man sehr an Details der Rezepturen interessiert. Ich habe also einen Know-how-Transfer zwischen den Ländern gemacht.

Die Weiße Stadt ist seit 2003 UNESCO-Welterbe. Gibt es im Denkmalschutz Unterschiede zwischen Deutschland und Israel?

Es wird noch ganz viel mit Hand gearbeitet in Israel. Wir haben eigentlich ein Heer von Palästinensern in Israel, die wir dringend als Verputzer brauchen in Deutschland. Die fehlen uns. Bei größeren Projekten in Deutschland ist es gar nicht mehr finanzierbar, von Hand zu verputzen. Da sind uns die Israelis voraus. Negativ in Israel ist, dass die Fassaden häufig neu gemacht werden, auch mit neuen Materialien wie Kunstharzfarben. Bauhaus ist original mit Kalk gestrichen, das hat eine andere Optik. Kalk hat eine Tradition von 10.000 Jahren.

Weiße Hausfassade in Tel Aviv
Weiße Stadt: Ob die Fassaden der Bauten schon immer weiß waren, ist fraglichBild: picture-alliance/dpa/P. Grimm

Sie haben als Deutscher in Tel Aviv bei der Restaurierung von Häusern geholfen, die von Emigranten geplant wurden, die vor den Nazis geflohen waren. War für Sie präsent, dass sie daran mitwirken, das deutsch-jüdische Erbe zu erhalten?

Für mich ist das Thema eher, wie es dazu kam, dass so viele Bauhaus-Gebäude in Tel Aviv entstanden sind: Linke und Juden flohen vor den Nationalsozialisten. Die Avantgarde in Deutschland war dadurch weg. Die Bauhaus-Schüler haben damals gebaut, was in war - und Tel Aviv war im Vergleich zu Europa eine Oase, weil es vom Krieg kaum berührt war und gleichzeitig Häuser gebaut werden mussten. In ganz Europa gab es keinen solchen Freiraum. Ab dem Moment, als 1948 der Unabhängigkeitskrieg ausbrach, gab es auch in Israel keine Ressourcen mehr. Wie nach 1945 in Deutschland gebaut werden musste - billig hochgezogen, einfach, dünne Wände - wurde ab 1948 auch in Israel gebaut.

Sind Sie über die Arbeit eigentlich selbst zum Bauhaus-Fan geworden?

Ich bin ein großer Kritiker von diesem Bauen. Ich finde, die Gebäude sehen unheimlich schick aus, aber sie sind nicht auf Langlebigkeit ausgerichtet. Wer baut ein Flachdach und große Balkone in Deutschland, wo wir Regen und Schneelast haben? Bauhaus hat die Wände verschoben und ist in die Höhe gewachsen, viele Hochhäuser basieren heute auf der Bauhaus-Idee, sind aber eigentlich nichts anderes als in die Höhe gebaute Tiefgaragen: Alles steht auf Pfeilern, innen gibt es einen Betonkern für Fahrstühle und Haustechnik, die Fassade wird verkleidet. Da war das ursprüngliche Bauhaus mit Mauerwerk und Kalk ehrlicher.

Das Gespräch führte Torsten Landsberg.