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"Babys sind die beste Rache an den Nazis"

Christine Lehnen
18. Januar 2022

Die Nazis wollten sie ermorden, stattdessen wurde die Holocaust-Überlebende Lily Ebert gerade zum 35. Mal Urgroßmutter. Und macht außerdem auf TikTok Furore.

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Lily Ebert zündet Kerzen an
Lily Ebert will verhindern, dass der Holocaust in Vergessenheit gerät Bild: Nick Ansell/PA Wire/picture alliance

Wenn ein Urenkel geboren wird, sei das für jede Urgroßmutter etwas Besonderes, sagte die sichtlich gerührte Wahl-Londonerin Lily Ebert angesichts des jüngsten Sprosses ihrer Familie gegenüber der britischen Nachrichtenagentur PA. Doch für sie als Holocaust-Überlebende sei es umso spezieller. "Die Nazis wollten uns töten, und wir haben gezeigt, dass es ihnen nicht gelingt." Daher seien "Babys die beste Rache an den Nazis", zitierte ihr Urenkel Dov Forman sie auf Twitter.

Die gebürtige Ungarin Lily Ebert ist eine der letzten Zeitzeuginnen des Holocausts und berichtet bei Veranstaltungen regelmäßig über ihre Erlebnisse. "Ich habe mir selbst versprochen: Solange ich lebe, werde ich künftigen Generationen meine Geschichte erzählen", sagt sie. Außerdem betreibt Urenkel Dov Forman in ihrem Auftrag seit knapp zwei Jahren einen Kanal auf TikTok, der vor allem von Jugendlichen genutzt wird. Rund 1,6 Millionen Menschen folgen Lily Ebert und Dov Forman, sie haben schon 23,1 Millionen Likes gesammelt. Urenkel und Urgroßmutter kamen auf die Idee, als Lily Ebert während der Lockdowns in Großbritannien aufgrund der Corona-Pandemie keine Schulbesuche mehr absolvieren konnte, um vom Holocaust zu erzählen. 

Boris Johnson spricht mit der Holocaust-Überlebenden Lily Ebert
Auch Großbritanniens Premier folgt Lily Ebert auf TikTok Bild: Tim Hammond/Avalon/Photoshot/picture alliance

Holocaust-Gedenken auf TikTok

Auf TikTok berichtet Ebert in kurzen Videos aus ihrem Leben. Und über die Schrecken von Auschwitz: "Es war die Hölle. Sie spielten Musik, während sie Menschen umbrachten." Öffentlich fragt sie auf TikTok, wie es möglich ist, dass nationalsozialistische Frauen, die als Aufseherinnen im Lager gearbeitet haben, bereit waren, Kinder und Babys zu töten, um dann nach Hause zu gehen und als Mutter ihre eigenen Kinder zu umsorgen. Und sie erzählt, wie hart Häftlinge bestraft wurden, wenn sie anderen helfen wollten, die zu krank für die Arbeit waren. 

Ihr 18-jähriger Urenkel filmt sie aber auch, wenn sie Challah-Brot für das Wochenende backt, das in der jüdischen Tradition am Schabbat oder anderen Feiertagen gegessen wird. Ein Symbol dafür, dass das Leben für sie weitergeht.

TikTok-Star berichtet von Holocaust-Erfahrungen

Lily Ebert wurde 1944 als junge Frau von den Nazis aus Ungarn nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo ihre Mutter und ihre beiden jüngeren Geschwister ermordet wurden. Ebert und ihre älteren Geschwister wurden als arbeitsfähig eingestuft. So konnten sie überleben. US-amerikanische Soldaten befreiten sie aus einer Munitionsfabrik bei Leipzig, wo sie Zwangsarbeit leisteten. Nur knapp entkam Lily Ebert dem Todesmarsch der SS: Ein amerikanischer Soldat habe ihr damals eine Banknote zugeschickt, berichtet sie, auf die er geschrieben habe: "Ein Start in ein neues Leben. Viel Glück und Freude." .

Das neue Leben begann in der Schweiz, dann wanderte Lily Ebert nach Israel aus, wo sie ihren Mann kennenlernte. Seit 1967 lebt die Familie in London.

Eberts Botschaft: "Seid tolerant"

Ihr größtes Anliegen sei, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, damit sich so etwas niemals wiederhole, so Ebert auf TikTok. Gemeinsam mit ihrem Urenkel Dov Forman hat die rüstige alte Dame ihre Geschichte auch in einem Buch niedergeschrieben, das den Titel "Lily's Promise" (Lilys Versprechen)  trägt. Es stürmte die britische Bestsellerliste.

Eberts Botschaft an die nachkommende Generation: "Seid tolerant. Das ist das Wichtigste. Niemand ist besser oder schlechter als ihr." 

Zu ihrem 98. Geburtstag am 29. Dezember 2021 veröffentlichte ihr Urenkel eine Nachricht auf Twitter, die Ebert mit unzähligen Geburtstagskarten zeigt. Sie habe nicht daran geglaubt, Ausschwitz zu überleben, so Formans Ur-Großmutter - und noch weniger habe sie erwartet, 98 Jahre alt zu werden. Umgeben von ihrer Familie könne sie aber heute sagen: "Die Nazis haben nicht gewonnen!"