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Angela Davis und die DDR

12. Oktober 2020

Für die USA war sie eine Staatsfeindin, für die DDR ein Pop-Star. Welche Rolle spielte die Bürgerrechtlerin Angela Davis, die vor 50 Jahren verhaftet wurde?

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Angela Davis mit Afro-Frisur lächelt auf einer Bühne, hinter Mikrofonen stehend, links neben ihr klatscht SED-Chef Erich Honecker, 1973 in Ost-Berlin (Foto: dpa/picture-alliance).
Angela Davis bei einem Auftritt mit dem SED-Chef Erich Honecker 1973Bild: dpa/picture-alliance

Lässig und dennoch stilvoll gekleidet mit John-Lennon-Brille und Afro-Look, daneben Staats- und Parteichef Erich Honecker, mit verkrampftem Lächeln, einen Kopf kleiner als sein Besuch aus den USA. Fotos wie dieses gingen Anfang der 1970er-Jahre um die Welt, erinnert sich die Historikerin Kata Krasznahorkai. "In meiner Kindheit in Ungarn tauchte diese Frau mit ihrer charakteristischen Frisur überall auf - auf Postern und sogar auf Wandteppichen." 

Die Bilder zeigen eine Person mit vielen Seiten: Eine Aktivistin für die Rechte der schwarzen Menschen in den USA, eine für das FBI scheinbar extrem gefährliche Terroristin und eine weltweite Ikone des "antiimperialistischen Widerstands". Angela Davis, die am 13. Oktober 1970, also vor 50 Jahren, verhaftet und unter Mordanklage gestellt wurde, hatte viele Rollen, die ihr nicht nur Bewunderung, sondern auch Kritik einbrachten. 

Kampf für die Rechte der Schwarzen

Angela Davis kommt 1944 in Alabama zur Welt. Sie wächst in einer behüteten Familie als Tochter eines Tankstellenbesitzers und einer Lehrerin auf. Ihre Eltern sind politisch interessiert, bereits in ihrer Kindheit kommt sie mit linken und kommunistischen Aktivisten in Kontakt. Mit dem Problem des Rassenkonflikts wird die Afroamerikanerin schon früh konfrontiert, als etwa in ihrem Viertel mehrere Angriffe bekannt als "Dynamite Hill" von Ku-Klux-Klan-Anhängern auf schwarze Menschen verübt werden. Es waren diese ersten Erfahrungen, mit denen sie später ihr politisches Engagement und ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der USA begründen sollte.

Nach Studienaufenthalten in Paris und Frankfurt am Main bekommt sie Ende der 1960er eine Stelle als Dozentin an der Universität von Los Angeles. Doch die junge Professorin wird von einem verdeckten FBI-Studenten als Kommunistin enttarnt. Als ihre Parteizugehörigkeit auffliegt, wird ihr Vertrag nicht verlängert. Mehr noch: Sie wird auf die Liste der zehn meist gesuchten "Terroristen" des FBI gesetzt, weil sie sich für die Freilassung von schwarzen Gefangenen - bekannt als "Soledad Brothers" - einsetzt, die angeblich einen weißen Aufseher ermordet haben sollen.

Großfahndung nach "gefährlicher Terroristin"

Der Bruder der Gefangenen - ein Freund von Angela Davis - hat während einer Gerichtsverhandlung fünf Geiseln gekidnappt. Im Kugelhagel sterben fünf Menschen. Später findet man heraus, dass die Waffe des Bruders auf Angela Davis zugelassen war. Das FBI startet eine Großfahndung - mit Erfolg. Davis wird am 13. Oktober 1970 verhaftet und der damalige Präsident der USA, Richard Nixon, gratuliert dem FBI zur "Verhaftung der gefährlichen Terroristin Angela Davis."

Fahndungsplakat nach der Bürgerrechtlerin und vermeintlichen Terroristin Angela Davis - darauf steht "Wanted by the FBI" (Foto: Ann Ronan Picture Librar/Photo12/picture-alliance).
US-Sicherheitsbehörde FBI stufte Angela Davis als Top-Terroristin einBild: Ann Ronan Picture Librar/Photo12/picture-alliance

Die Festnahme von Angela Davis hat eine Welle der Solidarität bis nach Europa geschlagen. Der Slogan "Freiheit für Angela" war in der gesamten DDR zu sehen, Schüler schickten Postkarten mit Rosen nach Amerika. Die Aktionen fruchteten: Angela Davis wurde am 4. Juni 1972 von der Anklage der kriminellen Verschwörung, des Kidnapping und des Mordes freigesprochen. Wenige Monate später flog sie nach Europa und machte eine Reise durch mehrere kommunistisch regierte Länder. In Ost-Berlin wurde die "amerikanische Genossin von 50.000 Menschen begeistert empfangen", schrieb das Blatt "Neues Deutschland" am 11. September 1972. "Wir widmen unser Leben dem Kampf gegen den Imperialismus", zitiert die Zeitung Angela Davis, die - so der Autor des Artikels - "Opfer imperialistischer Gewalt" geworden war.

Angela Davis wird zu DDR-Popikone

Kunsthistorikerin Kata Krasznahorkai mit schulterlangen, blonden Haaren (Foto: Privat).
Kata Krasznahorkai forscht zur Staatssicherheit und KunstBild: Privat

"Erich Honecker wusste um seinen mäßigen Charme. Mit seiner Ausstrahlung war er wenig geeignet, auf Postern in den Jugendzimmern aufzutauchen. Aber er brauchte starke Bilder mit einer emotionalen Wirkung", sagt die Kunsthistorikerin Kata Krasznahorkai, die mit Förderung der Gerda Henkel Stiftung über Black Power in Osteuropa am Slavistischen Seminar der Universität Zürich forscht. "Dieses Bild mit einer schwarzen Frau, die ihm die Hand gibt, brauchte er aus mehreren Gründen: erstens Machterhalt und zweitens für die Anerkennung des Staates in der Welt. Er wollte die DDR von der BRD ideologisch abgrenzen und das alles auf einer moralischen Ebene legitimieren." 

Mehr noch: Honecker habe auf einen Schulterschluss mit der Jugend hingearbeitet. "Um an die Jugend zu kommen, brauchte er diese Pop-Figur und da kam ihm die Kampagne für die Freilassung von Angela Davis wie gerufen", so die Historikerin Kata Krasznahorkai. Zudem kommt, dass sich die Ostblock-Länder in der Gender-Frage progressiv zeigen wollten, weswegen sie Angela Davis umso mehr als Symbolfigur des Kampfes gegen den Erzfeind Amerika ausgesucht hatten.

Mehrere Tausend DDR-Bürger kamen freiwillig zu Kundgebungen, um "Die schwarze Rose aus Alabama" oder "Genossin Angela Davis", wie sie am 25. Juli 1981 im "Neues Deutschland" bezeichnet wird, zu sehen.

Großer Zuschauersaal mit stehenden Menschen, in der ersten Reihe ist unter anderem die junge Angela Davis in Afro-Frisur zu sehen, die die Hand von Erich Honecker hält (Foto: dpa-Zentralbild/picture-alliance).
"Freundschaftstreffen" in Ost-Berlin: US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis und Erich HoneckerBild: dpa-Zentralbild/picture-alliance

Kritik an Angela Davis

Nicht nur die Staatsführer versuchten Angela Davis für sich zu gewinnen, auch die Künstler, die von den Diktaturen im Osten unterdrückt wurden, erhofften sich Unterstützung. Doch es gab nur wenig Berührungspunkte zwischen der Bürgerrechtlerin Davis und den Aktivisten im Osten. Oppo­sitio­nelle Kulturschaffende im ehema­ligen Ostblock, wie etwa der Schriftsteller Alexander Solschenizyn, kritisierten die fehlende Soli­da­rität von Davis.

Den Schulterschluss mit der Opposition habe Davis ganz bewusst nicht gesucht, sagt Kata Krasznahorkai: "Auf dem Spiel stand nicht nur ihr Leben, sondern auch der Kampf für die schwarze Bürgerbewegung, sie brauchte eine weitere Metaebene, jenseits des Rassismus-Kontextes und das war der Kommunismus. Und in diesem Kontext dachte sie, dass sie dann ihre Ziele für die schwarze Bevölkerung besser erreichen konnte. Ihr war klar, wer sie unterstützen kann - nicht Dissidenten und oppositionelle Künstler, sondern Staatsmächte. Sie wurde kompromissbereit und hat ihr Bild für ihr Ziel geopfert."

Angela Davis lächelt in die Kamera (Foto: National Women's Hall of Fame Class/AP/picture-alliance).
US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis heute: "Wir haben zu früh aufgehört" Bild: National Women's Hall of Fame Class/AP/picture-alliance

Von "Free Angela Davis" zu "Black Lives Matter"

50 Jahre nach ihrer Festnahme demonstrieren erneut Menschen weltweit gegen Rassismus und für mehr Gerechtigkeit. Seit dem Tod von George Floyd haben die Proteste gegen die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung eine neue Intensität erreicht. Doch anders als in den 1960ern und 1970ern gibt es jetzt keine Idole, keine Gesichter des Protestes: "Das ist eine dezentrale und antihierarchische Bewegung, die keine Angela Davis und Malcolm X produzieren", sagt Krasznahorkai. Doch die Vorkämpfer seien nicht still: Angela Davis habe selber gesagt, dass sie damals zu früh aufgehört hätte. Der systemische Rassismus sei viel schlimmer geworden. Sie hoffe darauf, dass die Jugend mit einem neuen Schwung zu Ende bringt, was ihre Generation angefangen habe.

"In einer rassistischen Gesellschaft ist es nicht genug, kein Rassist zu sein. Man muss anti-rassistisch sein", so die Bürgerrechtlerin Angela Davis. Die heute 76-Jährige ist noch immer politisch aktiv und meldet sich häufig zu Themen wie Feminismus, Bürgerrechten und Anti-Rassismus zu Wort. Auch in Deutschland ist sie noch vielen in Erinnerung geblieben. Eine aktuelle Ausstellung in Dresden widmet sich der Intellektuellen und rückt in Fotografien, Videos, Skulpturen, Klanginstallationen und Konzeptarbeiten das Engagement von Angela Davis noch einmal in den Fokus.

Die Ausstellung "1 Million Rosen für Angela Davis" ist noch bis zum 24.01.2021 in der Dresdner Kunsthalle im Lipsiusbau zu sehen.

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin