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Politik

Fridays for Future: Ungemütlich politisch

Leonie von Hammerstein
26. April 2019

Seit Monaten gehen junge Menschen für den Klimaschutz auf die Straße. Sie stehen für ein neues Politikverständnis, fordern ungeduldig Aktion. Das Verhältnis zwischen ihnen und der etablierten Politik ist kompliziert.

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Deutschland Friday for Future Demo Berlin
Bild: Reuters/F. Bensch

"Ich hab mich bisher noch nie in meinem Leben wirklich repräsentiert gefühlt von der Politik", sagt Max Vella, er studiert Biologie und ist schon seit einigen Jahren wahlberechtigt. Bei der letzten Wahl hat er kein Kreuz gemacht, stattdessen eine Protestnachricht auf dem Wahlzettel hinterlassen: "Keiner von denen hat doch wirklich einen Plan oder Gedanken für mich."

Jetzt steht er jeden Freitag hier, im Invalidenpark in Berlin, und stimmt in das "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut" der Masse ein. Inspiriert von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg gehen auch in Deutschland tausende junge Menschen freitags statt zur Schule oder Uni auf die Straße, um die Politik an ihre Verantwortung zu erinnern, den Klimawandel zu bekämpfen. Auch am schulfreien Feiertag Karfreitag streikten sie - ein Ende ist nicht in Sicht.

Deutschland Mehr als 10 000 Schüler demonstrieren in Berlin - Greta Thunberg dabei
Inspirierte den Klimastreik: Greta Thunberg aus SchwedenBild: Reuters/F. Bensch

"Das Thema Klimawandel wurde immer wieder unter den Teppich gekehrt, das regt mich so auf", sagt Clara Mayer, sie ist Abiturientin und bei den Europawahlen im Mai Erstwählerin. Ganz explizit sei die Kritik der Bewegung an alle Parteien gerichtet. Sie hätten das mit dem Klimaschutz in den vergangenen Jahren verschlafen: "Wir sind überparteilich, das ist ganz wichtig. Unsere Forderungen sind teilweise viel radikaler als die der Politik, auch aus manchen Teilen der Grünen."

Ein neues Politikverständnis

Fridays for Future Demonstration
Clara Mayer und Max Vella sind jede Woche beim Streik für mehr Klimaschutz dabeiBild: DW/P. Falkenstein

Mit dieser Meinung ist Mayer nicht allein. Über 40 Prozent der Fridays for Future-Kids identifizieren sich laut einer Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung mit keiner Partei. Die Jugendlichen richten sich mit ihren Forderungen zwar explizit an die Politik, aber nicht nur. Sie wollen auch an ihrem eigenen Leben ansetzen, weniger Fleisch essen, weniger Müll produzieren, anders und umweltfreundlicher konsumieren.

Deutschland | Europaparteitag der FDP | Bundesvorsitzender Christian Lindner
FDP-Chef Christian Lindner sieht die Bewegung kritisch - das beruht auf GegenseitigkeitBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Für Klaus Hurrelmann, Jugendforscher und Professor an der Hertie School of Governance, stellen die Fridays for Future-Proteste eine "echte politische Elektrisierung" dar. Es sei eine neue Generation, die herausfordert: "Die Jugendlichen möchten mehr Digitalität, mehr Schnelligkeit, mehr direkte Beeinflussung". Die etablierten Parteien in Deutschland hätten das Problem, dass das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder derzeit bei ungefähr 60 Jahren liege und deren Politikverständnis natürlich anders sei. Es bestehe die Gefahr, eine ganze Generation zu verprellen, wenn die Politik es nicht schaffe, sich ernsthaft mit dem Thema Klimawandel auseinander zu setzen.

Wir brauchen euer "Woohoo" nicht

Fester Bestandteil der Demo im Invalidenpark ist die sogenannte Open-Mic-Zeit: Jeder darf etwas sagen. Eine junge Aktivistin meldet sich zu Wort: "Ich bin auch eine Lindner. Aber eine von den Guten." Die Menge lacht. Christian Lindners Tweet ist zum Running Gag geworden. Der Chef der Liberalen hatte Fridays For Future direkt angesprochen: Sie sollten das mit dem Klimaschutz doch den Profis überlassen. Und steht damit sinnbildlich für einen Teil der Reaktionen aus der etablierten Politik, die in die Kategorie "eher ungeschickt" fällt.

Vor allem aus dem konservativen Regierungslager, von der liberalen FDP und der rechtspopulistischen AfD hatte man in den vergangenen Wochen vermehrt kritische Reaktionen gehört - es wurde auf die Schulpflicht verwiesen und vorgeschlagen, den Streik doch aufs Wochenende zu verschieben.

Und doch hat es Annäherungsversuche zwischen Parteien und jungen Aktivisten gegeben. Im Umweltausschuss des deutschen Bundestages waren sie zu Gast. Persönliche Treffen und Diskussionsveranstaltungen auf Parteiebene, so signalisierten Klimapolitiker fast aller Parteien der DW, seien sehr konstruktiv gewesen. Es gilt als angesagt, sich mit den Fridays For Future sehen zu lassen - auch auf Twitter. Clara Mayer nervt das Lob, zumindest wenn die Unterstützung geheuchelt ist: "Wir brauchen euer "Woohoo" auf Twitter nicht, wir brauchen endlich Aktion!"

Der "langweilige Weg" der Demokratie

Wie aber soll dieses Handeln aussehen? Wochenlang hatten die Aktivisten auf klare Aufgabenteilung gepocht: Sie gehen auf die Straße und schaffen Aufmerksamkeit, die Politik arbeitet die Lösungen aus.

Das änderte sich, als Fridays For Future einen Katalog mit Forderungen veröffentlichte. Hauptanliegen der Schüler: das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung, wie es das Pariser Klimaabkommen fordert. Aber auch: der Kohleausstieg bis 2030, der völlige Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2035, eine CO2-Steuer. Vielen in der Politik ist das zu radikal, sie warnen davor, dass es mit extremen Eingriffen in die privaten Lebensgewohnheiten verbunden wäre.

Deutschland Berlin | Vorstellung Forderungen von Fridays For Future | Sauriersaal Museum für Naturkunde
Im Berliner Naturkundemuseum stellten Aktivisten ihre Forderungen vorBild: picture-alliance/dpa/B.v. Jutrczenka

Verständnis für die Forderungen hat SPD-Politiker Carsten Träger. "Aber ich plädiere für den "langweiligen Weg" der Demokratie", sagt der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: "Ich bin auch dafür, dass wir schneller werden, dass wir anspruchsvoller werden, aber nicht dafür, dass wir alles dem Klimaschutz unterordnen."

Fridays for Future Demonstration
Fridays for Future: Jünger und weiblicher als andere BewegungenBild: DW/P. Falkenstein

Der "langweilige Weg" der Demokratie geht Mayer nicht schnell genug. Sie findet die Argumentation, man müsse auch Arbeitsplätze beachten, scheinheilig: "Es gibt keinen Kompromiss, wenn der Planet zugrunde geht. Wenn der Planet wegstirbt, dann fallen auch Arbeitsplätze weg."

Das wird ungemütlich

Auf der einen Seite die dringlichen Forderungen der Aktivisten, auf der anderen Seite die behäbige Maschine parlamentarische Demokratie - Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht in der Bewegung Potenzial: "Das wird ein Disput, aber darum geht es gerade, dass die jungen Leute mit Unruhe Bewegung in die Politik bringen, sodass das Etablierte, Langsame und Behäbige nicht obsiegt."

Die Tatsache, dass so viele junge Menschen jede Woche auf die Straße gehen, hat Max Vella Mut gemacht. Sogar in eine Partei einzutreten, kann er sich vorstellen, er ist im Gespräch für eine Parteiliste der Grünen: "Der Weg ist nun mal durch die Politik, da kann man wirklich was verändern." Ganz ohne die Politik, das wissen die Fridays for Future-Aktivisten, geht es eben auch nicht.