1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Flüchtlinge wehren sich gegen Aufnahmelager

4. September 2015

Nach dem Budapester Ostbahnhof entwickelt sich der Ort Bicske zu einem weiteren Brennpunkt. Ungarns Regierungschef Orbán drohte derweil mit einem neuen Stacheldrahtzaun, dieses Mal an der Grenze zu Kroatien.

https://p.dw.com/p/1GQto
Voller Hoffnung steigen Migranten in Budapest in den Zug, der kurz darauf wieder hält (Foto: Lars Scholtyssyk)
Voller Hoffnung steigen Migranten in Budapest in den Zug, der kurz darauf wieder hältBild: DW/L. Scholtyssyk

Mehrere hundert Migranten, Augenzeugen sprechen von etwa 500, wehren sich im ungarischen Bicske nach wie vor gegen ihren Weitertransport in ein Flüchtlingslager. Sie bestehen darauf, nach Wien oder Deutschland reisen zu können. Die Flüchtlinge waren am Donnerstag in der ungarischen Hauptstadt Budapest in einen Zug Richtung Sopron gestiegen, in der Hoffnung, von dort über die Grenze nach Österreich zu gelangen.

"Personalien kontrollieren"

Unerwartet stoppte die Polizei diesen Zug unterwegs in Bicske, knapp 40 Kilometer westlich von Budapest. Sie forderte die Reisenden auf, auszusteigen. Busse und Dolmetscher standen für ihren Transport in das Flüchtlingslager von Bicske bereit, wie ein Sprecher mitteilte. Die Polizei erklärte ihr Vorgehen damit, dass sie die Personalien der Flüchtlinge kontrollieren wolle. Dies sei wegen der chaotischen Zustände am Budapester Ostbahnhof nicht möglich gewesen. Also habe man den Zug in Bicske aufgehalten.

Zahlreiche Migranten weigern sich, den Zug in Bicske zu verlassen (Foto: APA)
Zahlreiche Migranten weigern sich, den Zug in Bicske zu verlassenBild: picture-alliance/dpa/H.P. Oczeret

Diejenigen Migranten, die sich in Bicske freiwillig kontrollieren ließen, würden in ein Aufnahmelager gebracht. Jene, die eine Überprüfung verweigerten, würden abgeschoben, machte der Vize-Chef der ungarischen Einwanderungsbehörde, Attila Kiss, deutlich. Nach den ungarischen Regelungen werden Flüchtlinge in das Land abgeschoben, aus dem sie eingereist sind. In den meisten Fällen ist dies derzeit Serbien.

Die seit Donnerstagmittag im Zug sitzenden Flüchtlinge hätten demonstrativ die von der Polizei angebotene Nahrung verweigert, berichtete die staatliche ungarische Nachrichtenagentur MTI. Freiwillige, die den Migranten Essen und Wasser bringen wollten, wurden zugleich von der Polizei nicht zum Zug vorgelassen.

Sie haben kein Vertrauen mehr in die Behörden: Flüchtlinge am Budapester Ostbahnhof (Foto: Lars Scholtyssyk)
Sie haben kein Vertrauen mehr in die Behörden: Flüchtlinge am Budapester OstbahnhofBild: DW/L. Scholtyssyk

Neuer Stacheldrahtzaun?

Ungarns rechskonservativer Regierungschef Viktor Orbán sorgte unterdessen mit einer neuen Äußerung für Wirbel. Er will jetzt auch einen Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Kroatien errichten lassen, falls von dort noch mehr Flüchtlinge kommen sollten. Er wolle "keine große Zahl Muslime" im Land haben, meinte er.

Von Deutschland verlangte Orbán nochmals eine Klarstellung zum Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien. Es gebe "einen Konflikt zwischen Ungarn und Deutschland" in der Frage, erklärte er. Äußerungen aus Deutschland, dass Syrer auch in der Bundesrepublik Asyl beantragen könnten und nicht mehr in den Ankunftsländern in der EU, sei von den Flüchtlingen als Einladung verstanden worden. Diese "Kommunikationsfehler" hätten eine unmögliche Situation in Ungarn geschaffen.

Kanada will viel mehr Syrer aufnehmen

Die kanadische Provinz Québec erklärte sich nach dem Tod des kleinen syrischen Flüchtlingsjungen an der türkischen Küste, dessen Foto um die Welt ging, zur Aufnahme Hunderter oder gar Tausender syrischer Flüchtlinge bereit. "Es ist tragisch, dass wir das Foto eines toten Kindes brauchen, um unser Gewissen wach zu rütteln", erklärte der Premierminister von Québec, Philippe Couillard, mit Blick auf den dreijährigen Syrer Aylan Kurdi, dessen Leiche nach dem Untergang eines überfüllten Flüchtlingsbootes in Bodrum angespült worden war.

Das Foto mit dem kleinen Aylan sorgte weltweit für Entsetzen und Betroffenheit (Foto: AP)
Das Foto mit dem kleinen Aylan sorgte weltweit für Entsetzen und Betroffenheit - er soll in Kobane beigesetzt werdenBild: picture-alliance/AP Photo/DHA

"Für ihn ist es zu spät, aber (...) wir haben noch Zeit, für die anderen zu handeln und ihnen die Hand zu reichen, wie wir in Québec es oft und immer wieder getan haben", sagte Couillard in Anspielung auf Kanadas Aufnahme von Tausenden vietnamesischen Bootsflüchtlingen in den 1970er Jahren. Seine Provinz könne "Hunderte, sogar Tausende" syrische Flüchtlinge aufnehmen. Bislang plante Québec, in diesem Jahr mehr als 1900 Syrern Asyl zu gewähren. Mehr als 600 sind bereits angekommen.

Nach Kanada wollte nach Angaben einer in Vancouver lebenden Tante auch die Familie des kleinen Ailan Kurdi flüchten. Die Familie war aus dem nordsyrischen Kobane in die Türkei geflohen. Von dort sollte es über das Mittelmeer zur griechischen Insel Kos gehen.

Aylan wird in Kobane beigesetzt

Der dreijährige Aylan, sein ebenfalls ertrunkener fünfjähriger Bruder Galip und die 27-jährige Mutter Rihanna sollen in ihrer Heimatstadt beigesetzt werden. Der Vater Abdallah Schenu, der als einziger der Familie überlebte, werde nach Kobane zurückkehren, um seine Angehörigen dort am Wochenende zu beerdigen, teilte ein Mitglied der Kurdenpartei PYD in Kobane mit.

se/sp (dpa, rtre, afp)