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Briten diskutieren Flüchtlingsfrage neu

Lars Bevanger / kk3. September 2015

Nach den schockierenden Bildern der letzten Tage zeichnet sich in Großbritannien eine Wende in der Flüchtlingsdebatte ab. Für Premier Cameron ist das politisch riskant. Hält er seinen Kurs, könnte ihn das Stimmen kosten.

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Großbritanniens Premierminister David Cameron (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/M. Dunham

Als die britischen Zeitungsleser am Donnerstagmorgen in ihre Blätter schauten, prangte ihnen dort das furchtbare Bild des kleinen syrischen Jungen entgegen, der ertrunken an einem Strand in der Türkei liegt. Der Schrecken der Flüchtlingskrise wird damit auf einen Schlag klar. Und die britische Regierung ringt um eine Antwort.

Premierminister David Cameron erklärte in den Medien, er glaube nicht, dass die Aufnahme von mehr Flüchtlingen eine Antwort sein könne. Vorschläge für ein EU-Quotensystem für Flüchtlinge lehnt die britische Regierung mit dem Argument ab, sie habe in den vergangenen vier Jahren bereits fast 5000 syrische Asylbewerber aufgenommen. In Relation zur Einwohnerzahl liegt das Land unterhalb der Aufnahmequoten der meisten anderen europäischen Länder.

Andere EU-Staaten, insbesondere Deutschland, haben Großbritannien dazu aufgefordert, sich stärker in der Flüchtlingskrise zu engagieren.

Auch der UN-Sonderbeauftragte für internationale Migration, Peter Sutherland, erklärte, Großbritannien gehöre zu den Ländern, die mehr tun könnten. Er wies darauf hin, dass Deutschland, Schweden, Frankreich und Italien alle jeweils höhere Flüchtlingsquoten in Relation zur Einwohnerzahl hätten als das Vereinigte Königreich.

Innenpolitischer Druck

Doch jetzt steht Cameron auch in seiner eigenen konservativen Partei unter Druck. Mehrere parlamentarische Hinterbänkler und einige prominente Konservative forderten die Regierung offen dazu auf, ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage zu ändern.

Polizist trägt die Leiche des ertrunkenen syrische Kind am Strand von Bodrum in der Türkei (Foto: AP/DHA)
Der Tod eines kleinen Syrers könnte eine Wende in der britischen Flüchtlingsdebatte auslösenBild: picture-alliance/AP Photo/DHA

"Ich denke, die Probleme in Syrien und Nordafrika erfordern eine umfassendere Antwort", erklärte das konservative Parlamentsmitglied Johnny Mercer im Gespräch mit der DW. "Dazu gehört auch, denen, die in höchster Not sind, einen sicheren Zufluchtsort zu bieten. Ich glaube, wir müssen hier einen fairen Beitrag zum gesamteuropäischen Einsatz leisten. Ich möchte nicht, dass Menschen, die über das Mittelmeer gekommen sind und Entsetzliches erlebt haben, Großbritannien nicht als einen sicheren Zufluchtsort sehen. Wir haben Menschen, die das nicht selber konnten, immer geschützt und ich denke, wir sollten auch jetzt unseren Teil beitragen."

Und der Konservative David Burrowes, erklärte, Großbritannien solle "Tausende, nicht Hunderte" Flüchtlinge ins Land lassen.

Die ehemalige Vorsitzende der Konservativen, Baronin Sayeeda Warsi, schaltete sich am Donnerstag mit der Bemerkung in die Diskussion ein, Goßbritannien solle sich darauf vorbereiten, mehr zu tun. Großbritannien könne entweder sagen, es habe mit all dem nichts zu tun. "Oder wir sagen, wir haben eine lange und stolze Tradition darin, mit solchen Situationen umzugehen."

Verstörende Bilder

Den Sommer über hatten die britischen Medien vor allem über jene Flüchtlinge berichtet, die das Königreich vom französischen Calais aus über den Eurotunnel zu erreichen versuchten.

In dieser Woche saßen die Passagiere des Eurostar für mehrere Stunden in ihrem Zug fest, weil der Zugführer sich um Menschen kümmerte, die an den Gleisen entlang Richtung Großbritannien wanderten. Die meisten konservativen Medien beschrieben die Situation nicht als eine nie dagewesene Flüchtlingskrise, sondern als Bedrohung für Großbritannien.

Flüchtlinge in Calais klettern über die Abgrenzung zum Eurostar (Foto: AFP / Getty Images)
Flüchtlinge in Calais klettern über die Abgrenzung zum EurotunnelBild: Getty Images/AFP/P. Huguen

Die britische Öffentlichkeit war in der Einwanderungsfrage lange Zeit gespalten. Dadurch wurden sie zu einem der wichtigsten Themen während der Parlamentswahlen im Mai. Die Konservativen verdanken ihren Wahlsieg auch dem Versprechen, die Einwanderung einzudämmen.

Verstörende Bilder ertrunkener syrischer Kinder und Geschichten verzweifelter Familien, die irgendwo in Europa festgehalten werden, könnten nun aber einen Wendepunkt bringen.

Einwanderungsthema womöglich wahlentscheidend

"Während der letzten vier oder fünf Jahre haben wir beobachtet, dass die Einwanderungsfrage zu einem der wichtigsten öffentlichen Themen geworden ist", sagt Andy Mycock, Politikwissenschaftler der Universität Huddersfield, gegenüber der DW. "Trotzdem haben die traumatisierenden Bilder der letzten Tage einen besonders starken Einfluss auf die Debatte."

"Das Thema Migration wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei den kommenden Wahlen eine Rolle spielen - und damit über Camerons zweite Amtszeit entscheiden, wenn er die Herausforderungen auf internationaler Ebene ähnlich falsch einschätzt wie Tony Blair damals die Situation im Irak. Dieser Fehler hat Blairs politische Karriere ungeheuer geschadet. Das könnte nun auch Cameron widerfahren. Seine Partei könnte sich gegen ihn wenden", sagt Mycock.

Derweil haben Tausende Briten eine Petition unterzeichnet, die Cameron dazu bewegen soll, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Unterzeichnen mehr als 100.000 Menschen, muss die Regierung das Anliegen nach der Sommerpause im Parlament debattieren.