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Werden in Deutschland Impfdosen weggeworfen?

6. März 2021

Corona-Impfstoffe sind ein knappes Gut, viele Menschen warten auf ihre Impfung. Doch in Deutschland müssten Impfdosen weggeworfen werden, weil es bei der Logistik hapere, behauptet FDP-Chef Christian Lindner. Stimmt das?

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Deutschland Corona-Impfstoff Gefrierschrank im Universitaetsklinikum Tuebingen
Gekühlter Impfstoff von BioNTech/PfizerBild: ULMER Pressebildagentur/picture alliance

Export-Weltmeister, Logistik-Spezialist, Land der Organisation. Deutschland hat einen guten Ruf in der Welt - wenn es um Effizienz und Verwaltung geht. Umso mehr scheint es hierzulande viele Menschen zu schmerzen, dass es ausgerechnet mit der Organisation des Kampfes gegen die Jahrhundert-Pandemie ziemlich hapert. Immer noch hohe Infektionszahlen und fehlende Testkapazitäten machen die Pandemiebekämpfung für die Deutschen zu einer mehr und mehr belastenden Geduldsprobe. Und dann ist da ja noch das größte Problem: Die Impfungen gegen das Corona-Virus laufen bisher schleppend.

Erst 2,7 Prozent der Deutschen haben den vollen Impfschutz erhalten, 5,7 Prozent zumindest eine erste Impfdosis. Das geht aus dem Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums hervor (Stand: 4. März). Im internationalen Vergleich steht Deutschland damit gemessen an der Erstimpfungsquote laut dem Impf-Trackerdes US-Senders Bloomberg nur auf Platz 33, weit hinter anderen großen Industrienationen wie Großbritannien (31,4) oder den USA (16,3). Umso mehr Aufsehen erregen daher Aussagen, wonach dringend benötigte Impfdosen in Deutschland angeblich weggeworfen werden müssen. Das behauptet unter anderem FDP-Chef Christian Lindner:

Stimmt das? Bundesweit liegen hierzu keine Daten vor. Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf Anfrage auf die Bundesländer. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) erhebt dazu keine Daten, bestätigte eine Sprecherin der DW. Deswegen fragte die DW in den zuständigen Ministerien aller 16 Bundesländer an - und erhielt unterschiedliche Antworten:

Baden-Württemberg

"Zahlen dazu liegen uns keine vor", antwortete ein Pressesprecher des Ministeriums für Soziales und Integration in Baden-Württemberg auf DW-Anfrage. Weggeworfene Impfdosen würden nicht systematisch erfasst. Wenn dies geschehe, sei dies sehr selten. Die Devise an alle Impfzentren laute: "Keinen Impfstoff verschwenden und wenn Dosen übrig bleiben, dann pragmatisch an die Prio-Gruppe verimpfen". 

Bayern

Bayern nennt konkrete Zahlen zu weggeworfenen Impfdosen: 0,2 Prozent aller Impfdosen mussten seit Beginn der Impfungen weggeworfen werden. In absoluten Zahlen heißt das: 3021 von 1.608.150 in Bayern verabreichten Impfdosen mussten entsorgt werden (Stand: 1. März), wie eine Sprecherin des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege mitteilte. In dieser Zahl enthalten sind auch 1000 Impfdosen die in den ersten Tagen der deutschen Impfkampagne wegen einer nicht eingehaltenen Kühlkette entsorgt werden mussten. "Weitere Gründe für den Verwurf von Impfdosen sind etwa Bruch, zu wenig Impfstoff im Vial, Anwendungsfehler und Verunreinigungen durch Schwebstoffe." Ein bereits aufbereiteter Impfstoff könne auch kurzfristig an weitere Personen gemäß der Priorisierung verimpft werden, damit er nicht weggeworfen werden muss. 

Berlin

In der Hauptstadt wurden bisher fünf Impfdosen entsorgt, bestätigte ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit einen entsprechenden Bericht der Tageszeitung "Tagesspiegel". Dies geschah offenbar, weil der Wirkstoff schon zu lange in Spritzen aufgezogen war und nicht mehr verimpft werden konnte. "Sollten in Berlin (sehr wenige) Impfdosen übrig bleiben, werden diese an Mitarbeitende im Kontext der Impfzentren verimpft", hieß es aus der Behörde.

Brandenburg

Aus Brandenburg seien aufbereite Impfstoffe stets verwendet worden. Durch eine termingebundene Bestellmenge der Impfdosen, eine zeitnahe Lieferung und eine kurzfristige Verimpfung von Restmengen an Personen der Prioritätsliste solle verhindert werden, dass Impfdosen übrig bleiben, so ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, die für die Organisation der Impfzentren im Land Brandenburg zuständig ist. "So lässt sich ausschließen, dass Impfstoff verfällt."

Bremen

"In Bremen wurden zu keinem Zeitpunkt ungenutzte Impfstoffe verworfen", stellte ein Sprecher der Stadt Bremen klar. Durch eine individuelle Terminvereinbarung wisse man sehr genau, wie viel Impfstoff am jeweiligen Tag aufbereitet werden müsse. Das Problem von kurzfristigen Terminabsagen oder nicht wahrgenommene Termine trete in Bremen nur selten auf. Übriggebliebene Impfdosen würden dann kurzfristig an Beschäftigte im Rettungsdienst verimpft, so der Sprecher.  

Hamburg

Auch in Hamburg "wurden bisher keine ungenutzten Impfdosen weggeworfen", teilte eine Sprecherin der Sozialbehörde der Hansestadt Hamburg mit. Allerdings gab es einen Ausnahmefall, in dem wenige Impfdosen vernichtet werden mussten, "weil die erforderliche Temperatur wegen eines technischen Defekts in einer Lagerstätte nicht eingehalten wurde." Im Impfzentrum werde jeweils nur so viel Impfstoff aufbereitet, wie gebraucht werde. Sollte durch Absagen etwas übrig bleiben, werden kurzfristig Rettungskräfte geimpft, "die eine gleiche Priorisierung haben und schnell erreichbar sind".

Niedersachsen | AstraZeneca Impfstoff: Impfung von Polizeibeamten
Knappes Gut: Die Vakzine sollen nach Möglichkeit an Nachrücker verimpft werdenBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Hessen

Wegen mangelnder Möglichkeiten, den Impfstoff zu verimpfen, musste in Hessen noch keine Impfdosis weggeworfen werden, so ein Sprecher des zuständigen Innenministeriums in Hessen, der ergänzte: "In sehr wenigen Einzelfällen ist es zur Vernichtung von Impfstoff aufgrund von Verunreinigungen gekommen, die im Regelfall auf Produktionsfehler zurückzuführen waren."  Die Stadt Frankfurt teilte derweil mit, dass "zu keinem Zeitpunkt Impfdosen weggeworfen" worden wären, so eine Sprecherin der größten hessischen Stadt. Auch die mobilen Impfteams würden jede einzelne Dosis Impfstoff nutzen. Übrig blieben Impfdosen so gut wie nie, da man den Einsatz sehr genau plane. In Einzelfällen wurden beschädigte Impfdosen an die Firma BioNTech/Pfizer zurückgeschickt und anschließend ersetzt.

Mecklenburg-Vorpommern

Nach Informationen des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit des Landes Mecklenburg-Vorpommern blieben in den Impfzentren jeweils "nur wenige Restdosen" über, die jeweils an Personen der nächsten Prioritätsgruppe oder an medizinisches Personal verimpft werden. Zu weggeworfenen Dosen machte Mecklenburg-Vorpommern keine Angaben.

Niedersachsen

In Niedersachsen könne man "nicht ganz ausschließen", dass einzelne Impfdosen ungenutzt bleiben, teilte ein Sprecher des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung mit. Allerdings würden diese Restmengen fast immer zeitnah an weitere Impfberechtigte gemäß der Prioritätsgruppen verabreicht. Die niedersächsischen Impfzentren seien verpflichtet, nur so viel Impfstoff vorzubereiten wie auch verimpft werden kann. Zu weggeworfenen Dosen machte das Ministerium keine Angaben.

Nordrhein-Westfalen

Auch dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW liegen keine Zahlen zu vernichteten Impfdosen vor. Übrig gebliebene Impfdosen werden kurzfristig an Personen mit höchster Impfpriorität verabreicht. Sollte auch das nicht gelingen, entscheide die Koordinierungsstelle des lokalen Impfzentrums, wer den Impfstoff erhalte, damit keine Dosis weggeworfen werden müsse.

Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz wurde wie in Bayern genau dokumentiert, wenn Impfdosen weggeworfen werden müssen. 0,3 Prozent der insgesamt 305.500 verabreichten Impfdosen hätten entsorgt werden müssen, teilte eine Sprecherin des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie von Rheinland-Pfalz mit. "Nach unserem Kenntnisstand kommt es lediglich ganz vereinzelt dazu, dass Impfdosen nicht verwendet werden können, beispielsweise, wenn sie beim Transport beschädigt werden", hieß es aus dem Ministerium.

Saarland

"Bisher mussten noch keine Impfdosen vernichtet werden", heißt es dagegen aus dem benachbarten Saarland. Mit anfallenden Restimpfdosen wäre bisher Rettungsdienstpersonal geimpft worden, teilte das saarländische Sozialministerium mit. Auch Menschen über 70 Jahre, Mitarbeiter der Testzentren, Personal der Gesundheitsämter, Polizisten oder Lehrer könnten bei der Restdosenverimpfung berücksichtigt werden, damit kein Impfstoff ungenutzt bleibe.  

Impfstart bei der Polizei in Rheinland-Pfalz (Foto: dpa)
Polizisten und Rettungskräfte dürfen kurzfristig geimpft werden, wenn Impfstoffe übrig bleibenBild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Sachsen

Auch in Sachsen wende man ein mehrstufiges Verfahren an, das effektiv verhindere, das Impfdosen weggeworfen werden, hieß es aus dem Sozialministerium Sachsen. Bei übrig gebliebenen Impfstoffen frage man auch Pflegeeinrichtung, ambulante Pflegedienste, Arztpraxen oder Krankenhäuser an. Zudem würden kurzfristig auch Rettungsdienste oder Personen aus Prioritätsgruppen berücksichtigt. Dies gelte vor allem für den Impfstoff von BioNtech/Pfizer. Die Vakzine von AstraZeneca und Moderna ließen sich problemlos wieder gekühlt einlagern und zu einem späteren Zeitpunkt verimpfen.

Sachsen-Anhalt

Dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration in Sachsen-Anhalt "liegen keine Angaben über ungenutzte/weggeworfene Impfdosen vor". Es könne vorkommen, dass Impfdosen beispielsweise aus Qualitätsgründen entsorgt werden müssten. Erhoben werden solche Fälle im Land aber nicht. Generell würden diese Impfdosen dann an Menschen gemäß der Prioritätenliste verimpft, teilte eine Ministeriumssprecherin mit.

Schleswig-Holstein

Auch in Schleswig-Holstein "sind keine Fälle bekannt, in denen Impfdosen weggeworfen wurden", so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Da der Impfdosenbedarf der Impfzentren kurzfristig berechnet und Lagerbestände kontinuierlich korrigiert werden, blieben kaum Impfeinheiten übrig. Restdosen würden nach Priorisierungsgruppe verimpft. So spreche man dann gezielt Mitarbeiter des Rettungsdienstes, Arztpraxen oder Mitarbeiter der Impfzentren an.

Thüringen

"In Thüringen wird kein Impfstoff eingelagert oder gar weggeworfen, es bleibt auch kein Impfstoff übrig", lautet die klare Antwort aus dem Thüringer Sozialministerium. Dies sei durch ein kurzfristiges Vergabe-System möglich. Der Impfstoff von Moderna sei bisher sogar restlos verimpft worden. Bei BioNTech/Pfizer werde aktuell ein Teil der gelieferten Dosen für Zweitimpfungen zurückgehalten. Die Impfungen mit AstraZeneca wolle man nach einer größeren Lieferung weiter ausbauen.

Fazit

DW Faktencheck: Irreführend. Christian Lindner führt aus, dass die Impfstoffe weggeworfen werden oder rumliegen. Dies ist zwar nicht ganz falsch, da dies nach unseren Recherchen in wenigen Fällen tatsächlich passiert. Doch so wie es Lindner darstellt, ist es nach dem derzeitigen Stand der Dinge nicht. In vielen Bundesländern werden gar keine Impfstoffe weggeworfen, in einigen sind es sehr wenige Dosen und in manchen Ländern liegen keine Daten vor. Wenn Impfstoffe entsorgt werden mussten, waren die Hauptgründe Probleme mit der Kühlkette oder Qualitätsprobleme der Impfstoffe.

Unsere Recherchen stützen sich maßgeblich auf Informationen und Daten aus den zuständigen Ministerien, unabhängige Quellen für die Verwendung der Impfstoffe in den Impfzentren gibt es derzeit nicht. Stichprobenartige Anfragen bei den Kommunen ergaben jedoch ein sehr ähnliches Bild. Dass massenhaft ungenutzter Impfstoff in Impfzentren liege, der nicht genutzt werde, oder gar ungenutzt entsorgt werden musste, konnten unsere Recherchen nicht bestätigen.

Aktualisierung 8. März: Die Anfrage an das zuständige Innenministerium des Landes Hessen blieb zunächst unbeantwortet. Nun antwortete ein Ministeriumssprecher auf die DW-Anfrage und die Informationen wurden eingepflegt.