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Europa Hautnah

Gerald Schubert, Radio Prag26. Januar 2007

Am 21.1.1997 wurde in Prag die Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichnet. Aussöhnung nach einer konfliktreichen Vergangenheit und gemeinsamer Blick in die Zukunft prägen das Dokument und die Beziehungen bis heute.

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Bild: AP

Mittagspause in der Nähe des Prager Goethe-Instituts. Im Restaurant um die Ecke, ein paar Schritte vom Moldauufer entfernt, stärken sich etwa fünfzehn Jugendliche aus Deutschland und Tschechien. Viel Zeit zum Essen bleibt nicht, am Nachmittag wartet im Goethe-Institut noch ein dichtes Arbeitsprogramm.

Die jungen Leute sind allesamt Mitglieder des Deutsch-Tschechischen Jugendforums. Sie machen mit beim so genannten Schulprojekt und wollen tschechischen Schülern erklären, wie sie in Deutschland später einmal für einige Zeit Fuß fassen können. Als Studenten etwa, als Praktikanten oder im Europäischen Freiwilligendienst. Die Schulung im Goethe-Institut soll den jungen Referenten das nötige Know-how vermitteln.

Tschechien: in Deutschland eine Unbekannte

Alois Tost war bereits voriges Jahr dabei – damals allerdings im deutschen Schulprojekt, sozusagen der spiegelverkehrten Variante des tschechischen. "In Deutschland muss man den Großteil der Arbeit darauf verwenden, die Leute überhaupt für Tschechien zu interessieren. Also gar nicht mal so speziell die einzelnen Möglichkeiten zu erläutern, sondern überhaupt zu sagen: warum eigentlich nach Tschechien? Denn alle wollen in die USA, nach Großbritannien, nach Frankreich und so weiter.

In Tschechien hingegen ist eigentlich schon klar, warum man nach Deutschland möchte. Da ist schon ein Grundinteresse da, bei vielen auch die Sprache. Das heißt, da gehen wir nur sehr kurz darauf ein, warum gerade Deutschland, und konzentrieren uns dann mehr auf die verschiedenen Möglichkeiten."

Verantwortung für die Vergangenheit - auf beiden Seiten

Das Jugendforum, in dem Alois und die anderen sich kennen gelernt haben, wird zum Teil vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds finanziert. Die Einrichtung dieses Fonds wiederum war einer der Beschlüsse der Deutsch-Tschechischen Erklärung, die im Januar 1997 von den damaligen Regierungschefs Václav Klaus und Helmut Kohl unterzeichnet wurde. Auch heute noch berufen sich Politiker auf diesen Text.

Gerade mal zweieinhalb Seiten lang ist das Dokument, in dem beide Staaten ihr Stück Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen – Deutschland für die Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakei und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, Tschechien für die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Grundstein für die bilateralen Beziehungen

Eine sensible Thematik, die den Unterhändlern entsprechende Formulierungskünste abverlangt hat. Einer davon war Rudolf Jindrak, heute tschechischer Botschafter in Berlin: "Das ist ein Teil von meinem Leben. Ich sage oft zu meinen Kollegen: Diese Erklärung hat mich zwei Jahre meines Lebens gekostet. Die Arbeit war wirklich sehr interessant, aber auch sehr schwierig." Elfmal haben sich die Verhandlungsteams getroffen, erinnert sich Jindrak. Erst dann fand man zu gemeinsamen Formulierungen und knackte die letzten Übersetzungsprobleme.

"Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist heute wirklich ein Grundstein der bilateralen Beziehungen. Ich denke, wir haben darin einen Kompromiss gefunden, in dem die Vergangenheit und die Zukunft aufeinander treffen. Für mich persönlich hat diese Erklärung eine große Bedeutung." Auch in Sachen Vergangenheitsbewältigung erfüllt das Dokument mehr als nur symbolische Bedeutung. So wurde der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, der durch die Erklärung geschaffen wurde, von Deutschland mit der Entschädigung von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern in Tschechien betraut. Ende September vorigen Jahres konnten die Auszahlungen an mehr als 76.000 Personen abgeschlossen werden.

Blick in die Zukunft

Im Prager Goethe-Institut, übrigens Sitz der früheren DDR-Botschaft, ist die Pause mittlerweile fast zu Ende. Nicht Vergangenheitsbewältigung, sondern die Bewältigung bürokratischer Hürden bei der Einschreibung an einer deutschen Uni steht jetzt auf dem Programm. Alena Felcmanová ist die Koordinatorin des Schulprojekts. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist für die 20-Jährige nach wie vor spannend: "Es ist immer auch ein bisschen Abenteuer. Man begegnet der anderen Kultur tatsächlich, und man sieht dann, dass wir uns alle sehr ähnlich sind."

Im Gegensatz zu den meisten ihrer Altersgenossen wissen die Mitglieder des Jugendforums auch über die Deutsch-Tschechische Erklärung ziemlich genau Bescheid. Sie wissen, dass sie gute Voraussetzungen für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen schafft, und auch für die Finanzierung konkreter Projekte. Aber eben nur Voraussetzungen - nicht mehr und nicht weniger. Ohne die Umsetzung ihrer Ziele wäre die Erklärung nur ein mühsam erarbeitetes Stück Papier. Und die Leute vom Jugendforum, die würden sich wahrscheinlich sowieso engagieren. Auch ohne den diplomatischen Vorzeigetext, zu dem sich Politiker fast aller Couleurs auch nach zehn Jahren noch mühelos bekennen.