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Erste Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland

14. Juni 2023

Wie will Deutschland künftig auf Bedrohungen und Gefahren aller Art reagieren? Nach monatelangen Verhandlungen legt die Bundesregierung hierfür nun ein Grundsatzpapier vor. Es umfasst rund 40 Seiten.

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Finanzminister Christian Lindner, Außenministerin Annalena Baerbock, Kanzler Olaf Scholz, Verteidigungsminister Boris Pistorius und Innenministerin Nancy Faeser (v.l.)  präsentieren die Nationale Sicherheitsstrategie
Kanzler Olaf Scholz (M.) präsentiert mit zwei Ministerinnen und zwei Ministern die Nationale Sicherheitsstrategie Bild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Die Grundidee der Strategie ist, erstmals alle inneren und äußeren Bedrohungen für die Sicherheit des Landes zu berücksichtigen. Also neben der militärischen Bedrohung etwa auch Cyber-Attacken, mögliche Anschläge auf kritische Infrastruktur und die Abwehr von Gefahren für den Klimaschutz.

Bundeskanzler Olaf Scholz stellte die erste Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland gemeinsam mit vier seiner Kabinettsmitglieder vor Journalisten in Berlin vor. Dabei waren noch Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Innenministerin Nancy Faeser und Finanzminister Christian Lindner.

Auswärtiges Amt hatte die Federführung

Es gehe um die ganze Palette von Sicherheit, sagte Scholz. Das unter der Federführung des Auswärtigen Amtes erarbeitete Dokument formuliere Leitlinien mit dem Ziel, "unsere Sicherheit gegen Bedrohungen von außen zu stärken". Es nehme eine Analyse des aktuellen Sicherheitsumfelds vor und leite daraus "konkrete Maßnahmen und Folgevorhaben" ab. Eine große Rolle spiele die Lage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. "Zeitenwende" sei dabei ein bestimmender Faktor, heißt es in dem Papier.

Auch Baerbock verwies auf den russischen Angriffskrieg und betonte, Frieden und Freiheit fielen nicht vom Himmel. Europa sei nicht unverwundbar. Deutschland müsse sich beim Thema Sicherheit anders aufstellen und zwar "integriert".

Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit

Die Strategie orientiert sich nach den Worten von Baerbock an drei "zentralen Dimensionen" der Sicherheitspolitik: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Zum Bereich Wehrhaftigkeit zählen die Stärkung von Bundeswehr, Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz.

Im Bereich Resilienz - also Widerstandsfähigkeit - geht es um die Verteidigung "unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen illegitime Einflussnahme von außen". Dazu sollten auch "einseitige Abhängigkeiten in der Rohstoff- und Energieversorgung" verringert und die Lieferbeziehungen diversifiziert werden.

Im Bereich Nachhaltigkeit geht es um die Bekämpfung der Klima-, Biodiversitäts- und Ökosystemkrise, die Stärkung der globalen Ernährungssicherheit und der globalen Pandemieprävention, wie aus dem Papier weiter hervorgeht.

Großer Andrang in der Bundespressekonferenz
Großer Andrang in der Bundespressekonferenz Bild: Annegret Hilse/REUTERS

Die Strategie soll ressortübergreifend Vorgaben für alle sicherheitspolitischen Herausforderungen setzen. Auch das Zusammenspiel von Bund und Ländern wird darin berücksichtigt.

Ziele gesetzt

Die Bundesregierung formuliert in der Strategie eine Reihe von Zielen: Die Verteidigungstechnologie soll auf europäischer Ebene gestärkt werden. Spionage-, Sabotage- und Cyberabwehr sollen gestärkt werden. Die Regeln zur Rüstungsexportkontrolle sollen EU-weit harmonisiert werden. Die Lage im Weltraum solle mit der Erstellung eines Weltraumlagebilds stärker in den Blick genommen werden.     

"Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie will die Bundesregierung einen kontinuierlichen Prozess des Zusammenwirkens aller staatlichen Ebenen, von Wirtschaft und Gesellschaft für die Sicherheit unseres Landes befördern und damit auch einen Beitrag zur Stärkung der strategischen Kultur in Deutschland leisten", erklärte die Regierung. Der Fortschritt der Umsetzung solle regelmäßig überprüft werden.

Zäsur für das Land

Das ist dann eine Zäsur für das Land, das sich lange in relativer Sicherheit wähnte: Beschützt vor allem von den Amerikanern und der NATO, weit weg von wirklichen existentiellen Bedrohungen. Scholz sagte dazu: Es gehe nicht nur um die Verteidigungspolitik, sondern um die ganze Palette der Sicherheit. Klar ist für Scholz aber auch: "Zentral bleibt für uns die Verankerung in der Europäischen Union und im transatlantischen Bündnis."

Streit hatte es im Vorfeld in der Regierung unter anderem darum gegeben, ob sich das Land auch neue Strukturen geben müsste: Etwa die Bildung eines Nationales Sicherheitsrates, wie ihn viele andere Länder durchaus haben. Das führte zu einem Konflikt zwischen dem Außenministerium und dem Kanzleramt. Außenministerin Baerbock hatte die Befürchtung, dass ein solches Gremium, im Kanzleramt angesiedelt, ihre Kompetenzen beschneiden würde. Und so findet sich diese Idee nicht im Text der Strategie.

Portrait Olaf Scholz in Pressekonferenz
Will die von ihm selbst postulierte "Zeitenwende" mit Leben füllen: Bundeskanzler Olaf ScholzBild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Klar ist aber auch: Wegen der angespannten Sicherheitslage werden sich die Schwerpunkte, etwa im Bundeshaushalt, verschieben: In vielen Jahrzehnten, so Bundesfinanzminister Christian Lindner, habe Deutschland "von der Friedensdividende gelebt." Was nicht anderes heißt, als dass das Land glaubte auf die Verteidigung nicht mehr so achten zu müssen. Da ist jetzt anders: Die Bundeswehr wird massiv aufgerüstet. Lindner in Berlin: "Das bedeutet, dass sich die Proportionen des Bundeshaushaltes nachhaltig verändern werden."

Fest steht: Die nationale Sicherheitsstrategie ist vor allem ein Absichtserklärung. Aber Deutschland erkennt immerhin an, dass sich die Dinge grundlegend geändert haben. 

se/ehl/thurau (phoenix, rtr, afp, dpa)