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Politik

Eine neue Verfassung für Syrien?

29. Oktober 2019

Am Mittwoch tritt erstmals eine Kommission zusammen, die eine neue Verfassung entwerfen soll. Doch Kritiker zweifeln an deren Unabhängigkeit. Sie werde an der politischen Realität nichts ändern.

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Syrien Habeet, Provinz Idlib | Präsident Baschar al-Assad
Bild: picture-alliance/AP Photo/Facebook page of the Syrian Presidency

Zwei Jahre hat die Arbeit zur Bildung der Syrischen Verfassungskommission gedauert. Nun, am Mittwoch dieser Woche, trifft sie sich zu ihrer ersten Versammlung in Genf. Überzogene Erwartungen sollte man nicht an sie stellen, gab der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, zu verstehen. Die Kommission werde die Syrien-Krise nicht lösen. Wohl aber könne sie dazu beitragen, die vielen Differenzen innerhalb der syrischen Bevölkerung zu überbrücken und gegenseitiges Vertrauen zu schaffen. Auch könne sie einen umfassenden politischen Prozess in dem Land anstoßen.

Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich optimistisch. Die syrische Regierung und die Arbeitsgruppe der Kommission hätten sich auf ein "glaubwürdiges, ausgeglichenes und umfassendes Verfassungskomitee" verständigt, das von den Vereinten Nationen unterstützt würde. Die Kommission stehe für "einen neuen Sozialvertrag, der helfen soll, ein zerbrochenes Land zu reparieren". 

Wichtig sei vor allem, dass die Arbeit an der neuen Verfassung innerhalb der syrischen Gesellschaft geleistet werde, so Pedersen. "Syrer, nicht Ausländer werden die Verfassung ausarbeiten, und die syrische Bevölkerung muss ihr auf breiter Ebene zustimmen."

Eine unabhängige Kommission?

Tatsächlich lag die Entscheidung über die Zusammensetzung der Kommission ausschließlich bei den Syrern. Der Berufungsprozess wurde auf einer Friedenskonferenz in Moskau im Januar 2018 zwischen der syrischen Regierung und der "Syrischen Verhandlungskommission" der Opposition vereinbart. Demnach bestimmt die Regierung über die Besetzung von 50 der insgesamt 150 Mitglieder. Weitere 50 Teilnehmer entsendet die syrische Verhandlungskommission, während die Entscheidung über das letzte Drittel in den Händen der syrischen Zivilgesellschaft liegt.

Syrien Idlib  Ariha Luftangriff
Der nationale Wiederaufbau: ohne westliche Hilfe kaum denkbar. Szene aus Idlib, Juli 2019Bild: picture-alliance/AA/M. Said

Es sei richtig: In der Kommission seien ausschließlich Syrer vertreten, sagt die Publizistin und Syrien-Expertin Kristin Helberg. Ausländischen Einfluss gebe es allerdings sehr wohl. "So hat etwa die Türkei verhindert, dass Vertreter der kurdischen 'Partei der Demokratischen Union' (PYD) in dem Gremium sitzen." Russland hingegen halte sich mit direkter Einflussnahme zurück. Dafür verfolge man ein weitergehendes Ziel: "Die Regierung in Moskau setzt darauf, dass die Verfassungskommission eine politische Lösung in einem Konflikt vortäuscht, der militärisch längst entschieden ist. Das soll dem Westen erlauben, sich gesichtswahrend mit Assad zu arrangieren. Denn nur dann dürfte er bereit sein, den Wiederaufbau des Landes zu finanzieren."

Der Verantwortliche für Außenbeziehungen des Kurdischen Nationalrats, Kamran Hajo, Mitglied der Kommission, sieht in der rein syrischen Besetzung keine Garantie für einen fairen Arbeitsprozess, der alle Gesellschaftsgruppen angemessen berücksichtigt. Der paritätische Charakter der Zusammensetzung täusche über die tatsächlichen Kräfteverhältnisse hinweg. Die Opposition sei in mehreren Fragen zerstritten und entscheide darum nicht durchweg einstimmig. Damit stünden deren Vertreter dem einheitlichen Block der Regierung gegenüber. "Dort gibt es 50 Stimmen, von denen nicht eine einzige Stimme aus dem Rahmen fällt. Doch dem Regime geht es nicht ernsthaft darum, eine neue Verfassung zu entwerfen, die ein neues politisches System begründet", so Hajo gegenüber dem mit der Politik des Nahen Osten befassten Internet-Magazin "Al-Monitor".

Türkei-Syrien Konflikt, Syrischer Soldat hält Assad-Portrait hoch
Der Machtanspruch des Regimes. Szene bei Kobane, Oktober 2019Bild: AFP via Getty Images

Die Sprache der Diplomatie

Können die Vereinten Nationen einen mäßigenden Einfluss auf die Regierung Assad ausüben? Der syrische UN-Vertreter Baschaar Djaafari gab sich in New York diplomatisch. Syrien arbeite mit dem Sondergesandten und anderen entscheidenden Akteuren bei der Gründung des Verfassungsgebenden Komitees zusammen, erklärte er. Die Verfassung sei die vornehmste Gesetzgebung. Sie spiegle die Weltsicht der Bevölkerung, so der Diplomat vor den Vereinten Nationen.

Djaafari pflege die Rhetorik des Assad-Regimes, sagt Kristin Helberg. Der in New York angeschlagene Ton ändere nichts an den Machtverhältnissen in Syrien selbst. Die Regierung Assad sei nicht bereit, von ihrer Macht auch nur im Ansatz zu lassen. "Das gilt erst recht jetzt, wo sie den Krieg militärisch gewonnen hat. Selbst in den Jahren der größten Bedrängnis war sie unwillig, Kompromisse einzugehen. Auch jetzt zeigt sich die syrische Delegation gesprächsbereit, während es ihr in Wirklichkeit nur darum geht, den Krieg zu gewinnen und die eigene Macht zu zementieren."

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Bemühen um Rückführung: syrische Flüchtlinge in DeutschlandBild: picture alliance/dpa/S. Pförtner

Das Interesse der Europäer

Die europäischen Politiker hätten vor allem ein Interesse, so Helberg: Sie wollten die syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückführen. "Darum gründen sie ihre Hoffnung nun auf die Kommission." Damit würden sie deren Rolle allerdings massiv überbewerten. Aufgabe der Kommission sei es, demokratische Wahlen vorzubereiten. Die aber setzten Presse- und Meinungsfreiheit wie auch die Möglichkeit voraus, sich gefahrlos politisch und zivilgesellschaftlich zu engagieren. "Davon ist Syrien nach 50 Jahren Diktatur sehr weit entfernt. Ohne diese Voraussetzungen sind Wahlen reine Augenwischerei. Das Regime hat sämtliche staatlichen Institutionen zum eigenen Machterhalt vereinnahmt und die Gesellschaft mit einer Herrschaft der Angst gleichgeschaltet. Daran wird die Arbeit der Verfassungskommission nichts ändern."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika