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Deutschland: Bauernprotest und Höfesterben

12. Januar 2024

Die Landwirte machen weiter Druck und fordern die Rücknahme aller Kürzungen. Viele Höfe mussten schon aufgeben - das zeigt eine aktuelle Studie. Und der Rückhalt in Deutschland ist groß.

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Deutschland | Bauernproteste in Nürnberg (12.02.2024)
Bauernprotest in Nürnberg: Widerstand gegen Haushaltspläne der BundesregierungBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Seit Tagen demonstrieren Bauern in Deutschland - auf Kundgebungen, mit Traktor-Sternfahrten, aber auch mit Straßenblockaden. An diesem Freitag war Nürnberg ein Schwerpunkt des Protests. 2500 Traktoren fuhren in die bayerische Großstadt. Tausende demonstrierten dort auf dem Volksfestplatz gegen die Pläne der Bundesregierung, Steuererleichterungen für Landwirte zu streichen oder abzuschmelzen. Umstritten ist, ob diese Änderungen tatsächlich für Höfe existenzgefährdend sind.

Auch ohne die geplanten Kürzungen: Der Umbruch in der Landwirtschaft ist bereits groß, das zeigt eine aktuelle Studie. Die Zahl der Agrarbetriebe in Deutschland wird sich nach Einschätzung der DZ Bank bis 2040 mehr als halbieren. Kleine Bauernhöfe müssten unter Kostendruck immer mehr großen industriellen Betrieben weichen, heißt es in den in Frankfurt am Main veröffentlichten Daten.

"Zunehmende Anforderungen durch Umweltschutz, Tierwohl und Betriebswirtschaft belasten die Bauernhöfe immer stärker. Hinzu kommt der Fachkräftemangel sowie die oftmals nicht gelöste Nachfolgeregelung bei Familienbetrieben", heißt es in der Studie.

Nische als Chance

Die Zahl von rund 256.000 Höfen im Jahr 2022 werde auf etwa 100.000 Betriebe 2040 sinken, schätzt DZ-Bank-Branchenexperte Claus Niegsch. Bei etwa gleichbleibender landwirtschaftlicher Fläche dürfte sich die Durchschnittsgröße eines Betriebs so von 64,8 Hektar auf 160 Hektar im Jahr 2040 mehr als verdoppeln: "Der bäuerliche Familienbetrieb steht zunehmend vor dem Aus", so die Erkenntnis der DZ Bank, die über die Genossenschaftsbanken stark im ländlichen Raum verankert ist.

Deutschland | Hühner eines Bio-Bauernhof in Freilaufhaltung (05.06.2022)
Bio-Bauernhof (bei Buchendorf in Oberbayern): "Spezialisierungen bieten Chancen"Bild: Klaus Wagenhäuser/imageBROKER/picture alliance

Nischen gebe es aber, so die Studie. "Vor allem die Öko-Landwirtschaft und andere Spezialisierungen, aber auch die Genossenschaftsidee bieten Chancen." Das Höfesterben in Deutschland dauert seit Jahrzehnten an. So gab es 1949 laut DZ Bank noch 1,8 Millionen Landwirtschaftsbetriebe, also rund sieben Mal so viele wie 2022, während die Betriebsfläche damals mit 7,4 Hektar nur einem Bruchteil der zuletzt üblichen entsprach.

Zum Höhepunkt der Aktionswoche werden am Montag Tausende Landwirte in der deutschen Hauptstadt erwartet. Rund 5000 Traktoren und andere Landmaschinen sollen aus dem gesamten Bundesgebiet zur Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin unterwegs sein, wie das Polizeipräsidium in Potsdam mitteilte.

Weitreichende Unterstützung für Bauern

Obwohl die Folgen der Blockaden der Bauern für den Straßenverkehr viel weiter reichen als einzelne Blockaden von sogenannten "Klimaklebern", ist der Zuspruch zum Bauernprotest in der deutschen Bevölkerung groß. Laut einer repräsentativen Umfrage haben 68 Prozent der befragten Bundesbürger Verständnis für die seit Tagen andauernden Aktionen. Das hat die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer ermittelt.

Selbst von dem jugendgeprägten Klimaprotestbündnis "Fridays for Future", das Subventionen für fossile Treibstoffe ansonsten ablehnt, bekommen die Bauern Verständnis. Die gesamte Landwirtschaft stecke in der Klemme, sagt Fridays-for-Future-Sprecher Pit Terjung dem Rundfunk Berlin-Brandenburg. Sie werde zwischen dem Handel und der Agrarindustrie "zerrieben".

Auf der anderen Seite würden gerade jetzt viele mutige Bäuerinnen und Bauern trotzdem auf eine ökologische Landwirtschaft umsteigen, sagte Terjung. Denen würden aber durch die Subventionssysteme, die vor allem große Betriebe und umweltzerstörende Praktiken honorieren, Steine in den Weg gelegt. 

Pit Terjung (06.02.2023)
Fridays-for-future-Sprecher Terjung (Archivfoto; "Zwischen Handel und Agrarindustrie zerrieben"Bild: Stefan Zeitz/IMAGO

Eine nachhaltige Agrarpolitik müsse deshalb vor allem an die Subventionen "rangehen" - und dazu gebe es viele klare Vorschläge unter anderem der Zukunftskommission Landwirtschaft. "Aber die sind leider im Landwirtschaftsministerium in der Schublade verschwunden, und die müssen jetzt ganz schnell wieder auf den Tisch und diskutiert werden", sagte Terjung. "Fridays for Future" sei nie dafür gewesen, Subventionen "über Nacht" zu kürzen. Es gehe darum, Klimaschutz und Soziales grundsätzlich zu verbinden.

Auf der großen Kundgebung am Montag in Berlin will Bundesfinanzminister Christian Lindner zu den Bauern sprechen. Am Rande der Veranstaltung wollen sich zudem die Spitzen der regierenden Bundestagsfraktionen von SPD, FDP und Grünen mit den Bauernverbänden treffen. Im Laufe der Woche will die Ampel-Koalition im Bundestag die letzten Details zum Haushalt 2024 festzurren, der Kürzungen im Agrarbereich bislang weiter vorsieht.

AR/ kle (dpa, epd, rtr, DZ Bank)

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