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Politik

Deutsche Großstädte ächten BDS

8. September 2017

Die internationale Protestbewegung zum Boykott gegen Israel stößt in Deutschlands Großstädten auf wachsenden Widerspruch. Die Städte nennen die Bewegung jetzt offiziell "antisemitisch".

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Ägypten Kampage der Organisation BDS in Kairo 2015
BDS ist eine weltweite BewegungBild: picture-alliance/AP Photo/A. Nabil

Es ist ein seit gut zehn Jahren tätiges internationales Netzwerk des Protests gegen die israelische Politik gegenüber den Palästinensern. Die Buchstaben BDS stehen für "Boycott, Divestment, Sanctions", "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen". Lange galten sie als israelkritisch oder antizionistisch. Doch deutsche Großstädte bewerten die Protestbewegung nun als "antisemitisch" und verbieten sie.

Als erstes wandte sich vor einigen Wochen die Stadt Frankfurt am Main formell gegen BDS. In Frankfurt beschloss der Magistrat, in der Stadt keinerlei Räumlichkeiten oder Flächen für BDS-Aktivitäten zur Verfügung zu stellen, und appellierte an private Vermieter, es ebenso zu halten. Vereine oder Organisationen, die die BDS-Bewegung unterstützten, sollten öffentliche Zuschüsse gestrichen werden.

"Ein wichtiges Signal"

In Frankfurt gab Bürgermeister und Kirchendezernent Uwe Becker (CDU) den Anstoß zu dem Beschluss. Er sagt der Deutschen Welle, für ihn sei die BDS-Bewegung "zutiefst antisemitisch", sie verwende bei ihren Botschaften die Sprache, "die einst Nationalsozialisten gebrauchten". Und er nennt die Ächtung durch seine Kommune ein "wichtiges Signal". Nach dem Beschluss habe er deutlich mehr Lob als Kritik erfahren – mit dem Tenor "da hat jemand wirklich verstanden, worum es BDS geht", so der 48-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle.

München Veranstaltung der Organisation BDS
Kritische Nachfragen eines jüdischen Zuhörers bei einer Rede eines BDS-Mitglieds in München führte beinahe zu Tumulten Bild: picture-alliance/Pacific Press/M. Trammer

2005 hatte es mit der BDS-Bewegung begonnen, als zahlreiche palästinensische Organisationen umfangreiche Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern äußerten. International wurde der Aufruf, israelische Produkte aus den besetzten Gebieten und Beteiligungen israelischer Unternehmen zu boykottieren, mit der langjährigen Kampagne gegen das Apartheidssystem in Südafrika begründet. Jedoch schätzten immer mehr deutsche Politiker die BDS-Bewegung als antisemitisch ein. Im Dezember 2016 beschloss der CDU-Bundesparteitag in Essen einen Antrag, der jegliche BDS-Aktivitäten missbilligt und ablehnt. Initiator war Uwe Becker von der CDU Frankfurt.

Becker selbst würde sich nach dem Beschluss des Frankfurter Magistrats weitere Voten dieser Art wünschen. "Nach Möglichkeit sollten sich zumindest die großen Städte in Deutschland und Europa entsprechend positionieren. Das sollte eine Bewegung werden." Bislang habe ihn zu dem Vorgang keine offizielle Anfrage einer anderen Stadt erreicht. "Aber bei der einen oder anderen Veranstaltung werde ich schon informell angesprochen." Beim Deutschen Städtetag, heißt es auf Anfrage, das Thema sei bekannt. Es sei im Rahmen der deutsch-israelischen Städtepartnerschaften "noch nicht diskutiert" worden.

Frankfurt, München, Berlin

Jedenfalls reagierte München sehr rasch nach Frankfurt, nun Berlin. Dabei hat die offizielle Distanzierung des Berliner Senats eine Vorgeschichte. Im Juni war es an der Humboldt-Universität bei einer Veranstaltung mit einer 82-jährigen Holocaust-Überlebenden und einer Knesset-Abgeordneten zum Eklat gekommen. Laut Medienberichten wurden sie von BDS-Aktivisten "niedergebrüllt". Mitte August überschattete dann ein Boykottaufruf der BDS-Bewegung in Berlin ein Popkultur-Festival, das die israelische Botschaft bei Reisekosten in geringem Umfang finanziell förderte. Diverse Künstler, überwiegend aus dem arabischen Raum, folgten der Aufforderung, ihre Teilnahme abzusagen. 

Harsche Kritik am Boykott des Festivals kam zunächst von Senatsseite von Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke). Er zeigte sich entsetzt. "Der Boykott ist widerlich", sagte er. Ähnlich deutlich äußerte sich seitens der Bundesregierung Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), aus deren Etat das Festival unterstützt wird. Dann fiel auf, dass sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zunächst nicht äußerte. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum drohte damit, den SPD-Politiker auf seine jährliche, international beachtete Antisemitismus-Liste zu setzen.

Erst nach einem Gespräch mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland meldete sich Müller zu Wort, und zwar ausgesprochen deutlich: "BDS steht mit antisemitischen Schildern vor Berliner Geschäften. Das sind unerträgliche Methoden aus der Nazizeit. Wir werden alles Mögliche tun, BDS Räume und Gelder für seine anti-israelische Hetze zu entziehen", erklärte er. Er will ein "rechtssicheres Raumvergabeverbot" und nennt auch die Möglichkeit eines regelrechten Verbots von BDS, für das aber der CDU-Innenminister zuständig sei. Damit folgt Müller der Linie der anderen deutschen Großstädte. Bis Freitagmittag gab es zu seinen Äußerungen von BDS in Berlin keine Bewertung.

Südafrika Protest der Organisation BDS gegen Israel
Manche sehen Parallelen zur Anti-Apartheid-Bewegung gegen das Südafrika der 80er Jahre Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/H. Isilow

Steigende Zahl von Übergriffen

Letztlich nehmen die Kommunen damit auch wachsende Sorgen der israelischen Seite und von deutschen Juden auf. Die Zeitung "Die Welt" zitierte am Freitag aus neuen Angaben der Bundesregierung zum Antisemitismus. Demnach wurden im ersten Halbjahr 2017 insgesamt 681 derartige Delikte erfasst, 27 Taten mehr als im Vergleichszeitraum 2016. Auch bei Gewaltdelikten und Fällen von Volksverhetzung gab es einen leichten Anstieg. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, nannte die Zahlen laut "Welt" erschreckend und verwies auf das Auftreten der AfD und der Pegida-Bewegung.

Der scheidende grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck hatte mit einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung die Veröffentlichung  der Zahlen angestoßen. "Die Dunkelziffer, steht zu befürchten, ist wohl deutlich höher", sagte er der "Welt". Beck drängt, wie auch diverse Nichtregierungsorganisationen, seit langem auf einen Antisemitismus-Beauftragten, der im Bundeskanzleramt angesiedelt sein solle. Im Juni hatte die Bundesregierung aber deutlich gemacht, dass es zu einer Entscheidung über einen solchen Beauftragten vor der Bundestagswahl nicht mehr kommen werde. Die Forderung dürfte jedoch nach dem 24. September rasch wieder laut werden.