Kunst und Mode
7. März 2011Das Kleid aus Tüll ist Traum und Albtraum zugleich: bodenlang, leuchtend orange, sexy. Aber an einer Seite klafft ein Loch, so als wäre eine Kanonenkugel hindurchgeflogen und hätte den Stoff feinsäuberlich herausgeschossen. "Kettensägekleid" haben die niederländischen Designer Victor & Rolf ihre Kreation genannt und dabei den Begriff des Schnittes wörtlich genommen. Das Gewand ist eines der spektakulären Objekte, die in der Ausstellung "Art&Fashion. Zwischen Haut und Kleid" zu sehen sind.
Robe und zugleich Skulptur
Manch einer rümpft die Nase: Mode gehöre nicht ins Museum, schließlich sei sie käuflich. Das ist die Kunst auch. Ein Kunstmuseum, das sich der Suche nach der Moderne im 21. Jahrhundert verschrieben habe, komme an der Mode nicht vorbei, meint Markus Brüderlin, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg. Nicht von ungefähr liegen die Begriffe "Mode" und "modern" eng beieinander. Immer wieder haben sich Künstler mit Mode beschäftigt: Der russische Konstruktivist Alexander Rodtschenko entwarf Arbeitskleidung für die neue klassenlose Gesellschaft, die italienischstämmige Modeschöpferin Elsa Schiaparelli ließ sich von Salvador Dalí und Alberto Giacometti beeinflussen. Die Idee, die dahinterstand: die moderne Welt in all ihren visuellen Facetten neu zu gestalten.
Untragbar?
Über vierzig meist phantasievolle Objekte verteilen sich auf zehn Räume des Museums. Der in Belgien lebende Christophe Coppens, bekannt für seine avantgardistischen Haute-Couture Hüte, stellt ein "Rehcape" aus schwarz-weiß kariertem Stoff aus. Wer es sich umhängt, trägt damit auch zugleich ein lebensgroßes Reh aus demselben Stoff auf seinen Schultern. Die Krönung des originellen Kleidungsstückes ist ein geweihartiges Hütchen. Verstärkt durch den kunstvoll an die Wand geworfenen Schatten des "Rehcapes", entsteht vor dem inneren Auge des Betrachters eine surreale Traumgeschichte. Sandra Backlund aus Schweden hat eine besonders warme Weste gestrickt: aus Wolle und dunkelbraunem Menschenhaar. Sie wirkt mit ihren Haarwülsten und Zöpfen wie eine Körperperücke. Charlie Le Mindus riesige, beinahe kleiderähnlichen Perücken lassen an Tiere denken. Der in London lebende Franzose entwirft übrigens auch extravaganten Kopfschmuck für die schrille Popqueen Lady Gaga.
Nur was für ExzentrikerEiner der bekanntesten Grenzüberschreiter zwischen Kunst und Mode ist Hussein Chalayan. Mode ist für den Designer nur ein Aspekt des künstlerischen Prozesses. In Wolfsburg zeigt der in England lebende Zypriote seine Installation "Microgeographie": ein Mannequin dreht sich in einem Aquarium. Sechs Bildschirme an der Wand zeigen vergrößert Details von Haar und Stoff.
Auch Walter van Beirendonck bewegt sich gekonnt zwischen Mode und Kunst. In seinen poppig-bunten Kreationen thematisiert er auf humorvolle Weise Sexualität oder das Modesystem. Die Ausstellung zeigt zum Beispiel sein Phantasie-Kostüm "The Bee" aus der Kollektion "Sex-Clown".
Viel Mode, wenig KunstWo hört die Mode auf, wo beginnt die Kunst? Die Grenzen sind fließend, wie die Ausstellung in Wolfsburg zeigt. Die Kunst scheint dabei den Kürzeren zu ziehen, die um Aufmerksamkeit buhlende Mode trumpft auf. Der rosa Plüschkopf der französisch-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois oder der wächserne Kinderschuh mit Männerhaaren des Amerikaners Robert Gober gehen beinahe unter. Haben sie lediglich eine Alibifunktion, um den Einzug der Mode in ein Kunstmuseum zu rechtfertigen? Oder sind sie Beispiele, um die Annäherung von Kunst und Mode zu demonstrieren? Wie dem auch sei - neben allem Originellen und Spektakulären hätte man sich in einer Ausstellung mit dem Titel "Art&Fashion" doch etwas mehr Kunst gewünscht.
Autorin: Susanne von Schenck
Redaktion: Sabine Oelze