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De-facto-Bann von Transfrauen im Schwimmen

20. Juni 2022

Eine neue Regel des Schwimm-Weltverbands FINA sorgt mit ihren strengen Vorschriften dafür, dass die meisten Transfrauen nicht bei Frauen-Wettbewerben auf höchstem Niveau starten dürfen.

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Transfrau Lia Thomas (r.) wurde im März College-Schwimmmeisterin
Transfrau Lia Thomas (r.) wurde im März College-SchwimmmeisterinBild: JOSEPH PREZIOSO/AFP/Getty Images

Sollten Transfrauen in Frauen-Wettbewerben starten dürfen? Kein anderer großer Weltsportverband hat diese Frage bisher so restriktiv beantwortet wie die FINA. 71,5 Prozent der Delegierten stimmten bei einem außerordentlichen Kongress des Welt-Schwimmverbands am Sonntag für eine neue Regel: Transfrauen sind künftig nur startberechtigt, wenn sie ihre Geschlechtsanpassung bereits bis zum Alter von zwölf Jahren abgeschlossen haben. Außerdem soll ihr Testosteronspiegel dauerhaft unter 2,5 Nanomol pro Liter liegen.

"Ich verstehe, warum Transgender-Athleten in dem Geschlecht ihrer Wahl antreten wollen. Aber wir sollten keinen Athleten gegenüber einem anderen bevorzugen", sagte der Kuwaiter Husain Al-Musallam, Präsident der FINA. Die Entscheidung sorgte für einen Aufschrei der Empörung unter Transgender-Menschen. Daran änderte auch die Ankündigung des FINA-Chef nichts, dass eine Arbeitsgruppe des Verbands eine sogenannte "offene Kategorie" ausarbeiten solle. Niemanden solle gesagt werden, dass sie oder er "nicht an einem Wettkampf auf höchstem Niveau teilnehmen kann", so Al-Musallam.

Details der Regel sorgen für Ausschluss

Doch genau das bedeutet die neue Regel de facto: Die meisten Transfrauen werden durch die Details von den wichtigsten Schwimmwettbewerben ausgeschlossen, einschließlich der Olympischen Spiele. Eine abgeschlossene Geschlechtsanpassung bis zum zwölften Lebensjahr dürfte die große Ausnahme sein. In Deutschland zum Beispiel dürfen sogenannte Pubertätsblocker, der erste Schritt einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie, erst ab einem Alter von etwa zwölf Jahren überhaupt verschrieben werden - und auch das nur unter strengen Auflagen. Eine Geschlechtsumwandlung per Operation wird nicht vor dem 18. Lebensjahr empfohlen.

Sind Transfrauen bei Sportwettbewerben im Vorteil? Der DW-Faktencheck anlässlich der Sommerspiele von Tokio. 

Auch den Testosteronwert hat die FINA vergleichsweise niedrig angesetzt. Zum Vergleich: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat für Transathletinnen einen Höchstwert von zehn Nanomol pro Liter festgelegt, um an Frauenwettbewerben teilnehmen zu können. Dieser Wert darf mindestens zwölf Monate vor dem Wettkampf nicht überschritten worden sein. Beim Leichtathletik-Weltverband IAAF liegt der Grenzwert bei fünf Nanomol pro Liter.

Pro: Fairness vor Inklusion

Die FINA sah sich nicht zuletzt durch den Fall Lia Thomas veranlasst, das Regelwerk zu ändern. Im März war Thomas als erste Transfrau auf der höchsten Ebene des US-College-Sports Meisterin geworden, im Rennen über 500 Yards (457 Meter) Freistil. Ihr Erfolg hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Kritiker hatten erklärt, Thomas' Konkurrentinnen seien benachteiligt worden.

Die australische Schwimm-Olympiasiegerin und mehrmalige Weltmeisterin Emily Seebohm begrüßte die neue Regel der FINA. "Jetzt können wir alle weitermachen. Wir können einfach zu dem Sport zurückkehren, den wir lieben. Wir wissen, dass wir ins Becken steigen und es ein fairer, gleicher Wettkampfort sein wird", sagte die 30-Jährige im TV-Sender "Sky News Australia". Seebohm hatte im vergangenen Jahr bei den Sommerspielen in Tokio mit der 4x100-Meter-Lagenstaffel das dritte olympische Gold ihrer Karriere gewonnen hatte. In Tokio war mit der neuseeländischen Gewichtheberin Laurel Hubbard erstmals eine Transfrau offiziell bei einem olympischen Frauen-Wettbewerb gestartet.

Transfrau Laurel Hubbard im olympischen Gewichtheberinnen-Wettkampf von Tokio
Nach drei gescheiterten Versuchen schied Transfrau Laurel Hubbard in Tokio früh ausBild: Seth Wenig/AP/picture alliance

Mit noch deutlicheren Worten als Schwimm-Olympiasiegerin Seebohm befürwortete die britische Sportministerin Nadine Dorries die Entscheidung der FINA. "Es ist einfach inakzeptabel, dass Transfrauen im Frauensport antreten", sagte die konservative Politikerin in einem Interview des Senders "LBC Radio": "Fairness sollte als Prinzip immer über der Inklusion stehen." Sie werde andere Sportverbände ermutigen, dem Beispiel der FINA zu folgen. In der vergangenen Woche hatte bereits der Radsport-Weltverband UCI seine Kriterien für eine Teilnahme von Transfrauen an Frauenwettbewerben verschärft. Der Verband senkte den maximal zulässigen Testosteronwert von fünf Nanomol pro Liter auf 2,5 und verlängerte die Frist, in der dieser Wert nicht überschritten werden darf, von zwölf auf 24 Monate. Der Weltverband World Rugby hatte im Oktober 2020 Transfrauen sogar ganz von internationalen Frauen-Rugby-Wettbewerben ausgeschlossen.  

Contra: Inklusion geht vor

Scharfe Kritik an der neuen Schwimm-Regel hagelte es dagegen in den sozialen Netzwerken aus der LGBTQ+-Szene. Die Zulassungskriterien der FINA seien "diskriminierend, schädlich, unwissenschaftlich und stehen nicht im Einklang mit den IOC-Grundsätzen von 2021", twitterte "Athlete Ally", eine US-Organisation, die sich gegen sexuelle Diskriminierung im Sport engagiert: "Wenn wir den Frauensport wirklich schützen wollen, müssen wir alle Frauen einbeziehen."

Ähnlich äußerte sich die ebenfalls in den USA ansässige Organisation "Human Rights Campaign". Die neue FINA-Regel fördere "die Diskriminierung, der Transgender-Athletinnen und -Athleten bereits ausgesetzt sind. Wir sollten Richtlinien schaffen, die Trans-Sportlerinnen und -Sportler einbeziehen - nicht solche, die versuchen, sie auszuschließen."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter