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Das gefährliche Leben der Zugvögel

14. Mai 2022

Frühling und Herbst sind die Zeiten der Vogelzüge. Der Klimawandel erschwert die gefährliche Reise. Die größte Gefahr für Zugvögel sind die Menschen. Dabei müsste das nicht sein.

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Ein Schwarm Graugänse ( Anser anser )
Gänse können fast 100 Stundenkilometer schnell fliegenBild: Michael Schöne/Star Media/Zoonar/picture alliance

Rund 10.000 Vogelarten gibt es auf der Erde, knapp die Hälfte von ihnen zählt zu den Zugvögeln: Insgesamt wandern etwa 4000 Vogelarten zwischen ihren Brutrevieren und Winterquartieren hin und her. Rund zwei Drittel der Zugvögel sind Langstreckenzieher, sie fliegen jedes Jahr Routen bis zu 20.000 Kilometer.

Ein Horsfield-Kuckuck sitzt auf einem Ast
Viel auf Reisen: der KuckuckBild: A. Audevard/blickwinkel/AGAMI/picture alliance

Und es gibt noch mehr spannende Zahlen: Der Kuckuck etwa ist acht Monate im Jahr unterwegs, Schwalben fliegen bis zu 1000 Kilometer am Tag und Störche sparen im Gleitflug bis zu 90 Prozent ihrer Energie.

Immer mehr Zugvögel gelten als gefährdet

Auf dem Flug der Zugvögel über Meer und Wüste lauern viele Gefahren. Ihr ärgster Feind aber ist der Mensch - durch seine Lebensweise, die Folgen des Klimawandels oder auch als Jäger. So gelten allein von den in Deutschland brütenden Vogelarten 43 Prozent laut der Roten Liste als gefährdet, darunter viele Zugvögel.

Abdruck eines Vogelschlags an einer Glasscheibe
Beim Zusammenprall mit Glasscheiben sterben jedes Jahr Millionen VögelBild: Freitag/Fotostand/picture alliance

Haupttodesursache für Vögel nach dem Verlust des Lebensraums sind Kollisionen mit Glasscheiben. Allein in den USA stirbt so geschätzt eine Milliarde Tiere pro Jahr. Die Vögel erkennen Spiegelungen von Bäumen oder dem Himmel im Glas nicht und fliegen in die Scheiben. Während auf der Reise schwächere Zugvögel durch die Anstrengungen verenden, tötet Glas auch kräftige Tiere mit den besten Chancen auf Nachwuchs.

Zwei wilde Schwäne fliegen an Hochhäusern vorbei
Auch Schwäne sind Zugvögel, die von den Lichtern der Stadt angelockt werdenBild: Kalizhan Ospanov/XinHua/dpa/picture alliance

Vor allem Metropolen, die auf den Zugrouten liegen, sind für die Tiere gefährlich. Da sich Vögel unterwegs auch an den Sternen orientieren, werden sie in der Nacht vom künstlichen Licht der Stadt angelockt. Statt dem Sternenlicht entgegen, fliegen die Tiere in die Städte mit ihren vielen Glasscheiben.

Ein Schwarm Stare (Sturnus vulgaris) fliegt über ein Feld mit Windenergieanlagen
Auch Windräder sind für Vögel gefährlich - aber es gibt Möglichkeiten, die Gefahr zu verringernBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Die gute Nachricht: Der Vogeltod an Scheiben kann leicht verhindert werden, etwa durch aufgedruckte Muster. Raubvogelsilhouetten zur Abschreckung haben sich in wissenschaftlichen Tests dagegen als völlig unwirksam erwiesen.

Eine aktuelle britische Studie zeigt: Zugvögel sterben besonders häufig durch Windräder, die entlang ihrer Routen stehen: etwa an der deutschen Ostseeküste, der westlichen Mittelmeerküste von Frankreich oder der Südküste Spaniens. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass es viele Orte für neue Windkraftanlagen gibt, bei denen die Tiere deutlich weniger gefährdet werden.

Hochspannungsleitungen gefährlicher als Windräder

Es gibt außerdem direkte Möglichkeiten, Kollisionen von Vögeln mit Windrädern zu vermeiden: etwa Sensoren, die die Anlagen automatisch abschaltet, wenn sich Vögel nähern. Und Forschende aus Norwegen fanden in einer Stichprobe heraus: Wird ein Rotorblatt schwarz angestrichen, erkennen Vögel die Windräder besser und meiden sie.

Ein Fischadler (Pandion haliaetus) kreist am Himmel über einer Hochspannungsleitung
An Hochspannungsleitungen sterben mehr Vögel als durch WindräderBild: picture alliance/dpa

Deutlich mehr Vögel als durch Windkraftanlagen sterben der Studie zufolge durch Kollisionen mit Stromleitungen. Besonders für Tiere, die niedrig fliegen, stellen sie eine große Gefahr dar. Auch hier könnte es helfen, die Stromkabel auffälliger zu markieren.

Drei Vögel hängen in einem Netz an der Küste des Gazastreifens
An vielen Mittelmeerstränden werden Singvögel in Netzen gefangenBild: Ali Ali/dpa/EPA/picture alliance

Doch Menschen töten Zugvögel zum Teil auch absichtlich. Allein im Mittelmeerraum werden pro Jahr gut 20 Millionen Wildvögel illegal gejagt und erlegt.

Illegale Jagd auf Wildvögel als "Delikatesse"

Ob in Ägypten, Italien, Zypern, Frankreich, Malta oder dem Libanon: In vielen Staaten rund um das Mittelmeer gelten Wildvögel als Delikatesse. Die meisten werden auf dem Schwarzmarkt an Restaurants oder Privatleute verkauft. In Netzen gefangen, mit Schnappfallen oder mit Leim, der auf Äste aufgebracht wird, verenden die Tiere meist sehr qualvoll. Die Leimrutenjagd ist in der EU verboten. Im März 2021 entschied der Europäische Gerichtshof: auch Frankreich muss sie ganz einstellen.

Zwei Singvögel kleben an Leimruten fest
Vogelfang mit Leimruten ist EU-weit verbotenBild: David Guttenfelde/AP/picture alliance

Wie der Klimawandel auf Zugvögel wirkt

Und auch der Klimawandel beeinflusst mittlerweile das Verhalten von Zugvögeln. Durch die milderen Winter sparen sich immer mehr Vögel ihre Reise und bleiben ganzjährig in ihren Brutrevieren. Darunter sind vor allem Teilzieher, also solche Vogelarten, bei denen üblicherweise manche Individuen wegziehen und andere nicht, wie etwa Rotkehlchen.

Junger Gemeiner Star (Sturnus vulgaris) wird von einem Elternteil am Gartenzaun gefüttert
Wer sich die Reise spart, kann sich im Frühling die besten Brutplätze sichernBild: Steve Young/FLPA/imageBROKER/picture alliance

Aber auch Kurz- oder Mittelstreckenflieger, etwa Stare, bleiben immer öfter das ganze Jahr in ihren Sommerquartieren. Der Vorteil: Wer im Winter im Brutgebiet bleibt, ist im Frühjahr der Erste am Nistplatz, kann die besten Reviere besetzen und sich besser fortpflanzen. Ein Nachteil für die Vögel, die zum Überwintern wegziehen.

Singende Nachtigall (Luscinia megarhynchos) in einer Buchenhecke
Der Nachtigall stehen künftig noch weitere Reisen bevor als jetzt Bild: Christian Naumann/Naturphotos/picture alliance

Vor allem Langstreckenziehern bereitet der Klimawandel große Probleme. Laut der Royal Society for the Protection of Birds müssen schon jetzt mehr als 80 Prozent der europäischen Langstreckenzieher länger und weiter fliegen, um Überwinterungsgebiete mit genügend Nahrung zu finden. Die Nachtigall, so die Forschenden, werde im Jahr 2070 vermutlich gut 800 Kilometer weiter reisen müssen als jetzt.

Ein Mönchsgrasmücken-Männchen (Sylvia atricapilla) singt auf blühenden Weißdornzweigen
Die Mönchsgrasmücke profitiert von milderen WinternBild: M. Woike/blickwinkel/picture alliance

Die Mönchsgrasmücke hat den Klimawandel schon jetzt "im Blut": Die Tiere haben neue Flugrouten und Winterquartiere im Erbgut gespeichert: Statt nach Spanien und Nordafrika, wie bis vor einigen Jahren, zieht ein Großteil der Tiere heute im Winter von Mitteleuropa nach Großbritannien. Dort macht das immer milder werdende Klima eine Überwinterung inzwischen möglich. Ebenfalls ein klarer Vorteil: die Flugstrecke ist deutlich kürzer und es lauern keine gefährlichen Leimruten oder Fangnetze.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen