1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Weihnachtsmarkt-Attentat: Ein Anschlag auf die Heimeligkeit

Gaby Reucher | Laura Döing
20. Dezember 2016

Glühweinduft und Kunsthandwerk, deutsche Gemütlichkeit: Damit war gestern jäh Schluss. Das Attentat in Berlin war auch ein Angriff auf das Beisammensein. Das zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte des Weihnachtsmarkts.

https://p.dw.com/p/2UbtF
Deutschland Sicherheit Weihnachtsmarkt Polizei
Bild: picture alliance/dpa/C. Charisius

Es riecht nach gebrannten Mandeln, nach Glühwein und süßem Gebäck. Festliche Musik schallt aus den Lautsprechern, auf Bühnen singen Kinderchöre Weihnachtslieder. Der Weihnachtsmarkt, ein Ort des Glücks und der Gemütlichkeit, wie Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti sagt. "Es ist ein Rückzug aus dem normalen Alltag und das ist es, was die Menschen lieben und was sie im Ausland in der Form so nicht finden, weshalb die Weihnachtsmärkte in anderen Ländern auch nachgemacht werden."

Das Glück dieses besonderen Ortes suchen jährlich rund 85 Millionen Menschen aus dem In- und Ausland auf deutschen Weihnachtsmärkten. Das besagen Zahlen des Deutschen Schaustellerbundes. Dieser zählte 2013 rund 1450 Weihnachtsmärkte in Deutschland. 

"Da zugeschlagen, wo man nicht Stärke, sondern Gefühl zeigt "

Genau dieses unbeschwerte Glück zu zerstören war Ziel des Attentats auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, mitten im Herzen Berlins. "Ich glaube, es ist auch der Sinn dieses Anschlags, dass er zeigen will, dass man angreifbar ist in dieser Situation. Da, wo man eben nicht Stärke, sondern Gefühl zeigt, da, wo man besonders verletzlich ist, genau da zuzuschlagen, ist das, was besonders trifft. Das ist auch das Gemeine an diesem Anschlag." Der religiöse Bezug der Weihnachtsmärkte sei dagegen nicht so relevant, meint Becker-Huberti, der früher auch Pressesprecher des Erzbistums Köln war. Denn die Weihnachtsmärkte hätten mit der christlichen Religion ursprünglich gar nichts zu tun:

Deutschland BdT Striezelmarkt in Dresden
Striezelmarkt in DresdenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Einer der ältesten Weihnachtsmärkte in Deutschland ist der Striezelmarkt in Dresden, der auf das Jahr 1434 zurückgeht. Aus dem Jahr 1628 stammt die erste schriftliche Erwähnung des weltberühmten Nürnberger Christkindlesmarkts. Die ersten Märkte im Mittelalter, so Becker-Huberti, hätten zunächst weniger Besinnliches, sondern allerlei Praktisches für Haus und Hof geboten. Denn im Winter endete die Arbeit auf den Feldern. Man musste für die kalte Jahreszeit vorsorgen und brauchte Vorräte, warme Kleidung und Gewürze.

Deshalb wurden in der Weihnachtszeit auf dem Kirchplatz Märkte abgehalten. "Wenn man von abgelegenen Höfen in die Kleinstadt kam, um etwas zu kaufen, traf man Leute, die man sonst über das Jahr hinweg kaum sah. Das hatte immer auch einen sozialen Charakter. Die Märkte boten Kontaktmöglichkeiten und die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen", erzählt Becker-Huberti.

Wie Martin Luther den Weihnachtsmarkt prägte

Die Reformation habe die Weihnachtsmärkte dann verändert: Martin Luther wollte die katholischen Heiligen abschaffen - allen voran den heiligen Nikolaus. Und das probierte er mit einer List: Die traditionelle Gabe der Geschenke am Nikolaustag, dem 6. Dezember, sollte an Weihnachten stattfinden. Auf diese Weise wollte Luther erst dem Nikolaus das Schenken wegnehmen und ihn schließlich ganz überflüssig machen, weiß der Brauchtumsexperte Manfred Becker-Huberti.

Vielerorts bringt daher nicht der Nikolaus Geschenke, sondern das Christkind am Heiligen Abend. "Wenn man nun zu Weihnachten Sachen braucht, die man nicht selbst herstellen kann, sucht man nach einer Gelegenheit und die verband sich mit den Weihnachtsmärkten, die ursprünglich auf ganz andere Waren fokussiert waren. Hier konnte man nun Spielzeug kaufen." Der moderne Weihnachtsmarkt war entstanden - auf dem es nicht mehr nur Vieh und Waren, sondern auch Schmuck für den Weihnachtsbaum und Geschenke gab.

Weihnachtsmärkte bedeuten Vielfalt

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wächst der Konsum-Reigen stetig samt Glühwein-Exzessen und viel Weihnachtskitsch auf riesigen Märkten, durch die sich die Massen drängen. Aber daneben gibt es auch viele kleine und individuelle Weihnachtsmärkte: Von Märchen-Märkten über vegane bis hin zu schwul-lesbischen Märkten ist die Auswahl in Deutschland groß. Weihnachtsmärkte sind zu einem Kultur-Exportschlager geworden. Von Osaka in Japan bis Chicago in den USA, wo es einen Ableger des Nürnberger Christkindlesmarktes gibt, sind sie mittlerweile zu finden.

Deutschland Christkindlesmarkt Nürnberg 2015
Der Christkindlmarkt in NürnbergBild: picture alliance/dpa/D. Karmann

Der Christkindlesmarkt in Nürnberg ist unter anderem für seine Lebkuchen bekannt: Die Handelsstadt war im Mittelalter ein Zentrum des Gewürzhandels. Eine junge Frau mimt in jedem Jahr das Christkind - mit blonder Lockenperücke und goldenen Flügeln. Auch auf die alte Tradition des Kunsthandwerks legt der Weihnachtsmarkt, der zu den bekanntesten im Ausland gehört, heute noch Wert, sagt Michael Fraas, Wirtschaftsdezernent der Stadt Nürnberg, der mit seinem Team auch für die Organisation des Christkindlesmarktes zuständig ist. "Im Kern ist es ein traditioneller Markt, darauf legen wir Wert. Die meisten Stände bieten auch heute noch Kunsthandwerk. Wir wollen nicht, dass der Markt eine reine Trinkmeile wird."

Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen auf den Weihnachtsmärkten

Michael Fraas hat selbst 11 Jahre in Berlin gelebt und kennt den Markt am Breitscheidplatz, auf dem Besucher nun Opfer des Anschlags wurden. "Das trifft einen natürlich auch emotional, wenn man zuständig ist für einen der bekanntesten Weihnachtsmärkte. Einige haben im Vorfeld gesagt, 'muss da denn so viel Polizei sein?'. Jetzt sagen viele 'Gut, dass die Polizei da ist'."

Nach dem Anschlag von Berlin verstärkt die Polizei vielerorts in Deutschland die Sicherheitsvorkehrungen auf Weihnachtsmärkten. In Berlin sollen mehr Polizisten unterwegs sein, zudem sollen Betonpoller an bestimmten großen Weihnachtsmärkten Zufahrten versperren. So zum Beispiel auch auf dem Dresdner Striezelmarkt. Er soll zusätzlich mit Betonklötzen und Fahrzeugsperren gesichert werden, teilte die Polizei mit.

Nicht die Angst gewinnen lassen

Michael Fraas sagt; er werde auch in den nächsten Tagen ohne Bedenken mit seinen Kindern auf den Weihnachtsmarkt gehen. Ähnlich sieht es Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti: "Ich glaube, die Menschen werden es sich nicht nehmen lassen und sie sind klug, wenn sie es nicht tun. Vorsichtig sein ist die eine Sache, die andere Sache ist, vor Angst davonzulaufen. Genau diese Angst dürfen wir nicht zeigen und wir dürfen sie nicht in unserem Herzen gewinnen lassen." Auch er will weiterhin Weihnachtsmärkte besuchen.