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Politik

Corona-Krise: Echter Hunger in Hollywood

11. September 2020

Viele US-Amerikaner leben von der Hand in den Mund. Soziale Sicherungssysteme wie etwa in Deutschland gibt es nicht. Für immer mehr Menschen werden Essensausgaben überlebenswichtig. Ines Pohl aus Los Angeles.

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USA | DW Reportage | Armenspeisungen in Hollywood
Bild: DW/I. Pohl

Die riesige Kuppel erinnert an ein Raumschiff, das irgendwo auf einem großen Parkplatz in Los Angeles gelandet ist. Das passt zu Hollywood. Jahrzehntelang war die Filmmetropole eine Traumfabrik, die die Welt in andere Welten entführte. 

Fünf Milliarden Dollar soll das neue SoFi Stadium kosten. Privat finanziert. Auf der Baustelle wimmelt es von Gelbwesten. Fast könnte man meinen, man wäre mit einer Zeitmaschine in Vor-Pandemie-Zeiten gelandet - wären da nicht die vielen braunen Pappkartons auf dem Parkplatz. Und die langen Autoschlangen, die geöffneten Kofferräume, die darauf warten, beladen zu werden.

USA | NFL - SoFi-Stadion in Inglewood, Los Angeles
Futuristischer Ort der Armenspeisung: Das neue Stadion in Inglewood, Los AngelesBild: picture-alliance/Newscom/Images of Sport

Mit einem Schlag alles anders

"Manchmal muss ich abends weinen. Weil meine Kinder mit Hunger im Bauch ins Bett gegangen sind." Maria Rojas ist 38. Bis vor kurzem hatten sie und ihr Mann ein ordentliches Auskommen, konnten mit ihren fünf Kindern ein geregeltes Leben führen. Auch halfen die Mahlzeiten, die es in der Schule gab. Bis die wegen der Pandemie geschlossen wurde.

Maria arbeitete als Friseurin, ihr Mann als einfacher Handwerker. Im März war mit einem Schlag alles anders. Hollywood machte dicht, die Touristen blieben aus, die Restaurants machten zu. Immer mehr verloren ihren Job, fast über Nacht. Die Menschen konnten sich keinen Friseur mehr leisten, und Reparaturarbeiten in den Häusern wurden selbst gemacht - oder gar nicht. Maria und ihre Familie hatten mit einem Schlag kein Einkommen mehr. Nur die Mieten sind in diesem Teil Amerikas horrend geblieben. Daran hat COVID-19 nichts geändert.

Kein Scheck von Donald Trump

Zwar verteilte Präsident Donald Trump großzügig Schecks über mehrere tausend Dollar, je nach Anzahl und Alter der Kinder und persönlich unterschrieben. Aber nur an Familien, die eine Steuererklärung eingereicht hatten. Die Rojas hatten in diesem Frühjahr andere Sorgen. Auch gibt es eigentlich Arbeitslosen-Hilfen aus Washington. Aber Maria und ihr Mann haben nicht verstanden, wie die vielen Formulare auszufüllen sind, und es dann einfach aufgegeben, sagt sie.

Sie hat sich ein wenig geschämt, als sie sich an diesem Septembermorgen aufgemacht hat, um auf den Parkplatz des Stadiums zu fahren. "Es ist das erste Mal, dass ich zu einer Essensausgabe fahre." Sie senkt den Blick auf das Lenkrad des silbernen Hyundais, der schon bessere Tage gesehen hat.

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Notwendige Nahrungsmittel für Menschen in NotBild: DW/I. Pohl

Vier Kisten, insgesamt 80 Pfund schwer, gibt es pro Familie. Mit Käse, Reis, Trockennudeln, Bohnen, Dosen, tiefgefrorenem Fleisch. Die Verteilaktion ist generalstabsmäßig geplant. Hier sind Profis am Werk, die dafür sorgen, dass die Autos zügig vorfahren und die Kofferräume aufgemacht werden. Freiwillige laden die Pakete ein, dann kann das nächste Auto kommen, ohne dass es einen möglicherweise gefährlichen persönlichen Kontakt gibt. Auch hier soll die Corona-Ansteckungsgefahr so gering wie möglich gehalten werden.

Immer mehr Hilferufe

"Die Hilferufe, die uns von hungernden Menschen erreichen, haben stark zugenommen", erklärt Michael Flood. Er ist der Geschäftsführer der regionalen Food Bank in Los Angeles. Die Vereinigten Staaten seien es gewohnt, mit Desastern umzugehen, und Menschen in Not mit Nahrungsmitteln zu helfen.

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Michael Flood im Gespräch - und immer in AktionBild: DW/I. Pohl

Aber so schlimm wie jetzt sei die Situation in Los Angeles seit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht mehr gewesen. "Wir haben leider nicht die Sicherungssysteme wie in Europa", sagt Flood. Da gebe es in den USA noch viel Luft nach oben. Mehr will er zur anstehenden Präsidentschaftswahl nicht sagen.

Flood ist aber dankbar, dass das Landwirtschaftsministerium (USDA) so schnell geholfen und vielen Farmern all die Lebensmittel abgekauft hat, die sonst verrottet wären, weil so viele Restaurants und Schulen geschlossen sind. "Wir helfen dabei, diese Lebensmittel zu verteilen und kaufen mit Spenden weitere Lebensmittel auf", erzählt er. 

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Ein Kraftakt: die VerteilaktionBild: DW/I. Pohl

Drei Stunden hat es an diesem Tag im September gedauert, um die 9000 Kisten zu verteilen. Essen für knapp zwei Wochen für 2300 Familien, sagen die Organisatoren. Vor der Pandemie versorgte seine Organisation mit Unterstützung anderer Einrichtungen 300.000 Bedürftige im Monat mit Lebensmitteln. Jetzt sind es durchschnittlich 900.000. "Wir gehen davon aus, dass es nicht so schnell besser wird", sagt Flood. "Und wer weiß, vielleicht wird es sogar noch einmal viel schlimmer." Jeder Zweite in Los Angeles sei mittlerweile in finanziellen Nöten, so Flood. Und das in einem Großraum mit über 13 Millionen Menschen.

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl