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"Humanitäre Hilfe nicht instrumentalisieren"

Kersten Knipp21. September 2016

Der Angriff auf einen Hilfskonvoi in Aleppo hat der humanitären Hilfe einen Rückschlag versetzt. Dennoch werde man weitermachen, sagt Christof Johnen vom Deutschen Roten Kreuz. Aber es brauche gewisse Voraussetzungen.

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Syrien Angriff auf Hilfskonvoi (Foto: picture alliance/newscom/O. H. Kadour)
Bild: picture alliance/newscom/O. H. Kadour

DW: Herr Johnen, in Aleppo ist ein Hilfskonvoi beschossen worden. Dabei starb auch ein Mitarbeiter Ihrer Partnerorganisation, des Syrischen Halbmonds. Haben Sie wenigstens den vorangegangenen Waffenstillstand für humanitäre Zwecke nutzen können?

Christof Johnen: Nein, denn die Sicherheitsgarantien der Kriegsparteien waren nicht so gestaltet, dass wir Lieferungen hätten riskieren können. Das grüne Licht kam dann mit dem Ende der Waffenruhe - für eben jenen Konvoi, der dann, als er seinen Bestimmungsort erreicht hatte, angegriffen wurde. Dass es sich um einen Hilfskonvoi handelte, ist natürlich besonders erschreckend.

Die Rote Kreuz- und Rote Halbmondbewegung arbeitet immer offen. Wir informieren vor unseren Aktionen alle Konfliktparteien. Erst wenn wir deren Zustimmung haben, starten wir. Auch in diesem Fall verhielt es sich so. Dennoch kam es dann zu einem Angriff. Derzeit analysieren wir die Situation und erörtern, wie nun damit umgehen.

Was wissen Sie über die Hintergründe des Angriffes?

Kaum etwas! Wir versuchen derzeit herauszufinden, was genau passiert ist - das ist ja auch in unserem Interesse. Doch die bisherigen Informationen sind zu widersprüchlich. Dennoch werden wir versuchen, mit der Partei, die diesen Angriff zu verantworten hat, ins Gespräch zu kommen. Dann werden wir mit höchster Dringlichkeit auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts drängen.

Seit Monaten sind die Menschen in dem von Rebellen besetzten Ostteil von Aleppo eingeschlossen. Wie können Sie ihnen helfen?

Die Lage im Großraum Aleppo ist seit langem dramatisch. Das gilt insbesondere für den Osten der Stadt, der von der Opposition kontrolliert wird. Er ist bereits seit Jahren schwer erreichbar. Trotzdem konnten unsere Kollegen vom Syrischen Halbmond immer noch Hilfe in das Gebiet bringen. Das war oft sehr mühsam. So etwa war es nicht erlaubt, mit Lastwagen über die Frontlinie zu fahren. Darum musste alles auf vielen kleinen Handkarren transportiert werden. Die einzelnen Karren wurden dabei bis zu zweihundert Mal hin und her transportiert. Es kennzeichnet sämtliche Konfliktparteien, dass sie die Hilfe für ihren Gegner immer als gegen sie selbst gerichtet empfinden. In diesem Fall hatten sie Angst, die Fahrzeuge könnten in die Hände des Gegners geraten.

DRK Logistikzentrum Christof Johnen (Foto: Clemens Bilan/DRK)
Christof Johnen, Leiter Internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz.Bild: Clemens Bilan/DRK

Was fehlt den Menschen im Ostteil Aleppos am meisten?

Sie brauchen vor allem Grundnahrungsmittel. Städte sind komplexe Infrastruktursysteme - man denke an Wasser, Entsorgung, Kanalisation. Wenn diese Systeme - zum Beispiel große Pumpwerke - immer weiter beschädigt werden, reichen Notreparaturen, die wir über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz durchgeführt haben, nicht mehr aus. Die Infrastruktur zerbricht immer weiter.

So ist in Aleppo und in anderen städtischen Gebieten die Trinkwasserversorgung sehr schwierig. Teils gibt es überhaupt kein Wasser oder es hat keine Trinkwasserqualität. Auch steigt die Gefahr von Erkrankungen dramatisch an. Ebenso fehlt ein Minimum von Grundsicherheit. Die Menschen leben oft genug unter Beschuss.

Wie werden Rotes Kreuz und Roter Halbmond - und womöglich auch die anderen Hilfsorganisationen - nach dem Beschuss reagieren?

Der syrische Halbmond, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und wir vom Deutschen Roten Kreuz - haben beschlossen, die Hilfskonvois für drei Tage einzustellen. In dieser Zeit wollen wir die Situation analysieren. Zugleich haben wir diesen Zeitraum beschränkt, da es ja auch keine Option ist, die Hilfe einzustellen.

In Syrien leben ungefähr eine halbe Million Menschen in tatsächlich belagerten Gebieten, aus denen sie nicht herauskommen und in die Hilfe kaum hineinkommt. Diese Menschen benötigen Hilfe natürlich am dringendsten. Fünf Millionen weitere Syrer leben in schwer zu erreichenden Gebieten. Dabei handelt es sich zwar um keinen Belagerungszustand; aber um diese Menschen zu erreichen, muss man mehrfach Frontlinien überqueren. Das erfordert sehr komplizierte Verhandlungen. Aber diese fünf Millionen Menschen brauchen auch dringend Hilfe.

Hinzu kommen über zehn Millionen weitere Menschen, die auf humanitäre Hilfe in Syrien angewiesen sind. Darum dürfen wir jetzt nicht der Logik verfallen, weil man den Eingeschlossenen nicht helfen kann, könne man auch den andern keine Hilfe mehr leisten.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Voraussetzungen, um die Arbeit der Hilfsorganisationen auch in Zukunft zu gewährleisten?

In dem Angriff auf den Konvoi hat sich einmal mehr gezeigt, dass humanitäre Hilfe in dem Konflikt sehr stark instrumentalisiert wird. Dass ist eine große Gefahr. Denn Hilfe können wir nur leisten, wenn es eine minimale Sicherheit gibt und sich die Konfliktparteien an das humanitäre Völkerrecht halten. Die Vermischung von Politik und humanitärer Hilfe ist eine große Gefahr - für unsere Mitarbeiter und für alle Menschen, die auf diese angewiesen sind.

Das Interview führte Kersten Knipp.

Christof Johnen ist Leiter des Teams Internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz.