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Chinas Kino-Rekord lässt Hollywood hinter sich

Tobias Kolonko
26. November 2020

Nach dem Ende des Lockdowns in China strömen die Leute wieder in die Kinos. Und zwar so kräftig, dass der chinesische Umsatz an den Kinokassen erstmals größer ist als in Nordamerika.

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Werbeveranstaltung für den chinesischen Science-Fiction-Film "The Wandering Earth" in Qingdao
Filmpremiere "Die Wandernde Erde" in der ostchinesischen Küstenstadt QingdaoBild: Getty Images/AFP/STR

Wie das gesamte Wirtschaftsleben hat auch die Kinobranche in China die Pandemie weitgehend überstanden und einen kräftigen Aufschwung hingelegt. Das zeigt sich besonders deutlich im Vergleich mit den USA, wo derzeit wegen weiterhin steigender Infektionszahlen in vielen Großstädten Ausgangssperren und andere Lockdown-Maßnahmen verhängt werden. Kein Wunder, dass China in diesem Jahr erstmals mehr Umsatz an den Kinokassen erzielt hat als die USA bzw. der nordamerikanische Markt. Dies geht aus von verschiedenen Filmmedien zitierten Zahlen der Beratungsfirma Artisan Gateway hervor.

Film 'Fate of the Furious in China
(Archiv) Filmplakat "Fate of the Furious 8" in ChinaBild: picture-alliance/dpa/Y. Chang

Dabei waren die Kinos auch in China fast sechs Monate lang geschlossen, und zwar bis Juli. Seit September dürfen Kinosäle aber wieder zu 75 Prozent ihrer Kapazität gefüllt werden und sind inzwischen fast wieder wie im Normalzustand. Angesichts der aktuellen Pandemie-Lage weltweit ist jetzt schon absehbar, dass China am Ende des Jahres zum ersten Mal den höchsten Umsatz an den Kinokassen erzielt haben wird. Ein Eintritt in den Großstädten wie Peking und Shanghai kann schon bis umgerechnet 15 Euro kosten.

Made in China immer beliebter

Schon vor dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus hatten Marktbeobachter vorausgesagt, dass Chinas Kinoumsatz bald der größte der Welt sein würde. Die Lust des Milliardenvolks auf Kino ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Der Umsatz der Branche betrug 2019 laut Internet Movie Database (IMDb) umgerechnet über neun Milliarden US-Dollar, 2012 war es noch weniger als eine Milliarde.

China Film Monster Hunt
Foyer eines Kinos in ShanghaiBild: picture-alliance/dpa/Imaginechina

Eine neue Entwicklung ist, dass inzwischen vor allem einheimische Produktionen die Kinobegeisterung der Chinesen befriedigen. Jene spielten auch bei der Wiedereröffnung der Kinosäle in China eine entscheidende Rolle. Anders als in den USA, wo viele Blockbuster, wie der neue James Bond, auf 2021 verschoben wurden, waren in China mit großen Budgets produzierte einheimische Filme zu sehen. Die Erzeugnisse aus Hollywood wurden offenbar nicht vermisst.

Laut IMDb kamen 2011 die fünf erfolgreichsten Filme in China aus den USA, aber in den letzten zwei Jahren war jeweils nur einer unter den Top fünf. "Ein Hauptgrund für den Erfolg der chinesischen Filme ist ihre deutlich verbesserte Qualität bei der Produktion. Special-Effects und Drehbücher sind mittlerweile auf einem sehr hohen Niveau", sagt Stanley Rosen, Experte für die chinesische Filmbranche und Professor an der University of Southern California in Los Angeles. 

Hollywood muss sich anstrengen

Die Hollywood-Studios müssen sich also etwas einfallen lassen, wenn sie mehr vom Kuchen des chinesischen Filmmarktes abhaben wollen. Die bisherigen Versuche in dieser Richtung sei noch nicht das Gelbe vom Ei gewesen, sagt Filmexperte Rosen. "In Filme wie 'Mulan', 'The Farewell' und 'Crazy Rich Asians' haben die Amerikaner versucht, durch ihre chinesischen Motive und Schauspieler Zuschauer in China zu gewinnen. Doch alle drei Filme schnitten schlechter ab als erhofft. Chinesische Zuschauer zeigen sich sehr skeptisch bei westlichen Versuchen, eine chinesische Geschichte zu erzählen."

Anders sehe das bei den typisch amerikanischen Action- und Superheldenfilmen wie "The Avengers" von Marvel Studios aus . Diese blieben in China weiterhin die beliebtesten Filme aus den USA, wenn auch, wie gezeigt, nicht mehr auf Augenhöhe mit den chinesischen Produktionen. Für zukünftige Erfolge in China müsse Hollywood sich noch stärker auf die Entwicklung der Superhelden-Serien und ähnlichem konzentrieren, meint Rosen.

Chinesische Filme keine Exportschlager

Umgekehrt tragen Einnahmen aus dem Ausland kaum etwas zum wirtschaftlichen Erfolg der chinesischen Filmindustrie bei. "Außer beim kurzen Boom von Kung-Fu-Filmen zwischen 2001 und 2006 taten sich chinesische Filme im Ausland schon immer sehr schwer", sagt Rosen. Aus jener Zeit sind vor allem "Crouching Tiger, Hidden Dragon" (deutscher Verleihtitel: "Tiger and Dragon") des Taiwaner Regisseurs Ang Lee zu nennen, der den Film mit Beteiligung des Festlands produzierte, sowie "House of Flying Daggers" vom Starregisseur Zhang Yimou vom Festland.

Science-Fiction-Film "The Wandering Earth"
Science-Fiction-Film "Die Wandernde Erde": 700 Mio. US-Dollar Kasseneinnahmen in China, lediglich zehn Mio. im Ausland Bild: picture-alliance/dpa/Imaginechina/L. Fuhua

"The Wandering Earth" (deutscher Verleihtitel: "Die Wandernde Erde") hingegen, der 2019 rund 700 Millionen US-Dollar Umsatz machte und sogar auf Netflix zu finden ist, nahm im Ausland weniger als zehn Millionen US-Dollar ein. Auch der weltweit an der Kasse erfolgreichste Film des Jahres 2020, der patriotische chinesische Streifen 'The Eight Hundred' über eine Episode aus dem chinesisch-japanischen Krieg, machte von seinen geschätzten umgerechnet 460 Millionen US-Dollar Millionen Umsatz weniger als eine Million im Ausland.

"Die einzigen Orte im Ausland, wo chinesische Filme einen gewissen Erfolg haben, sind diejenigen mit einem signifikanten chinesischen Bevölkerungsanteil, wie Singapur und Malaysia, oder Großstädte wie Los Angeles und London", erklärt Rosen. Aber von der Idee, chinesische Filme als "Soft Power" einzusetzen, um Pekings Einfluss im Ausland zu stärken, hätten sich Chinas große Filmproduzenten weitgehend verabschiedet.

Nischen-Dasein für Independent-Filme

Und wie sieht es bei den Independent-Filmen aus, die relativ unabhängig von der Parteilinie produziert werden? "Zwar sind die Independent-Filme bei Filmkritikern sehr beliebt, doch an der Kinokasse schneiden sie oft noch schlechter als die chinesischen Blockbuster ab", so Rosen. "So Long My Son" (deutscher Verleihtitel: "Bis dann, mein Sohn"), der bei der Berlinale 2019 für den Goldenen Bär nominiert wurde und die Preise für besten Schauspieler und beste Schauspielerin gewann, spielte im Ausland nur anderthalb Millionen US-Dollar ein.

69. Berlinale - Film "Di jiu tian chang" von Filmdirektor Wang Xiaoshuai
Filmcrew von "Bis dann, mein Sohn" auf der 69. BerlinaleBild: DW/J. Yan

Laut Rosen ist einer der Gründe für das schwache Abschneiden im Ausland und insbesondere in den USA, dass sich fremdsprachige Filme - auf Chinesisch oder nicht - dort generell schwer tun. Ausnahmen gibt es, der südkoreanische Film "Parasite" war 2019 zum Beispiel ein überraschender internationaler Erfolg. Ob der Oscar-Preisträger eine Welle von weiteren erfolgreichen asiatischen Filmen im Ausland auslösen kann, steht aber noch aus. Bessere Exportchancen haben laut Rosen Zeichentrickfilme, wo die chinesische Filmindustrie immer stärker werde. Doch um das Niveau von Pixar oder Disney zu erreichen, könnte es noch eine Weile dauern.