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Politik

Bulgarien: "Mazedonisch" gibt es nicht

22. September 2020

Die bulgarische Regierung will, dass die EU-Staaten die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien stoppen - bis das Kandidatenland zugibt, dass es historisch und sprachlich ein Teil Bulgariens ist.

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Hissen der EU-Flagge am Europa -ag in Nordmazedonien
09.05.2020: In Nordmazedoniens Hauptstadt Skopje werden zum Europa-Tag Landes- und Europa-Fahnen gehisstBild: DW/P. Stojanovski

Ein lange schwelender historischer Streit zwischen zwei Nachbarländern auf dem Balkan ist dabei, ein Thema für Brüssel zu werden. Denn im Dezember dieses Jahres sollen die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien beginnen.

Eigentlich hatte die Regierung des bis 1991 zu Jugoslawien gehörenden Staates, der seit 2005 EU-Kandidat ist, gehofft, alle historischen Streitereien mit seinen Nachbarn durch die Änderung des Staatsnamens von Mazedonien in Nordmazedonien beendet zu haben. Nach dem NATO-Beitritt im vergangenen März wollte sich das Land endlich auf den langen Weg zur EU-Vollmitgliedschaft machen. Aber in Bulgarien sieht man das anders.

Ein Dokument mit dem Titel "Erklärendes Memorandum über die Beziehung der Republik Bulgarien zur Republik Nordmazedonien in Verbindung mit dem EU-Erweiterungs- und dem Assoziierungs- und Stabilisierungsprozess" erregte vergangene Woche die Aufmerksamkeit nordmazedonischer Medien. Das 6-seitige Papier wurde im August 2020 aus Bulgariens Hauptstadt Sofia in 26 EU-Hauptstädte verschickt. Es erklärt die bulgarische Haltung zu mehreren historischen Fragen. Zentral dabei sind "ethnische und linguistische Eingriffe", die in Nordmazedonien in den 70 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hätten.

"Der Beitrittsprozess der Republik Nordmazedonien bietet eine veritable Chance für dessen Führung, mit dem ideologischen Erbe und der Praxis des kommunistischen Jugoslawiens zu brechen. Der Erweiterungsprozess darf die ethnischen und linguistischen Eingriffe vergangener autoritärer Regime nicht legitimieren", so das Memorandum.

Nord-Mazedonien Bulgarien Borissow zu Besuch bei Zaev in Skopje
Bulgariens Premier Bojko Borissow (li.) besucht sein nordmazedonisches Pendant Zoran Zaev in Skopje im August 2019Bild: Reuters/O. Teofilovski

"Mazedonisch": Eine künstliche Identität?

Nach offizieller bulgarischer Geschichtsschreibung sind die slawisch-stämmigen Bewohner Nordmazedoniens Bulgaren und sprechen Bulgarisch - wurden aber unter dem kommunistischen Regime in Tito-Jugoslawien (1945-91) gehirngewaschen. Dabei wurde ihnen künstlich eine neue, "mazedonische" Identität und Sprache aufgezwungen. Diese Behauptung ist nicht neu, sondern offizielle Haltung Bulgariens seit den 1950er Jahren. Aber als EU-Mitglied hat Bulgarien nun gegenüber dem EU-Kandidaten Nordmazedonien einen Vorteil, den Sofia offensichtlich ausnutzen will.

Professor Dr. Ulf Brunnbauer, der Leiter der Abteilung Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg, sagt gegenüber der DW, das Memorandum sei Bulgariens Art, "eine nationalistische Sicht auf Geschichte und Kultur eines anderen Landes und seiner Bevölkerung durchzusetzen". Brunnbauer weiter: "Es ist, als würden die Deutschen den Österreichern sagen, sie seien eigentlich Deutsche, oder wenn Dänemark die Norweger für anormal erklären würde, weil ihr Land einmal Teil des dänischen Reichs war und ihre Standardsprache später entwickelt wurde als das Dänische."

Deutschland Ulf Brunnbauer Professor
Professor Dr. Ulf Brunnbauer, der Leiter der Abteilung Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität RegensburgBild: Anna Perezolova

Existiert Mazedonien eigentlich gar nicht?

In Nordmazedonien wurde das Memorandum mit Bestürzung aufgenommen - aber auch Teile der bulgarischen Öffentlichkeit verurteilen den Text. Nordmazedoniens Vize-Premier Nikola Dimitrov sagte laut Medienberichten, Sprache sei "im 21. Jahrhundert kein Kriterium für Anerkennung und Nicht-Anerkennung in Europa". Das Recht auf Selbstbestimmung könne nicht verweigert werden.

Der bulgarische Soziologe Ivaylo Ditchev schrieb in einem Kommentar für DW Mazedonisch, die primäre Botschaft des Memorandums sei de facto, "dass Mazedonien eigentlich nicht existiert". Ditchev weiter: "Und wenn eine neue Nation sich hartnäckig weigert, sich selbst abzuschaffen - dann sieht das Bulgarien als Akt der Aggression."

Ivaylo Ditchev, Professor für Kulturanthropologie an der Universität Sofia
Der bulgarische Soziologe Ivaylo DitchevBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Fludra

Besatzung oder Befreiung?

Während des Zweiten Weltkriegs hatte das mit den Achsenmächten verbündete Bulgarien Teile des heutigen Nordmazedoniens besetzt. In der nordmazedonischen Geschichtsschreibung wird diese Periode "bulgarische faschistische Besatzung" genannt. In Bulgarien dagegen heißt es, bulgarische Truppen hätten die Brüder in Nordmazedonien "befreit".

In einer Deklaration, die das bulgarische Parlament im vergangenen Jahr annahm, wird von Nordmazedonien gefordert, den Begriff "faschistische Besatzung" nicht mehr mit Bezug auf Bulgarien in Geschichtsbüchern zu benutzen und alle derartigen Bezüge auf Denkmälern im Land zu tilgen.

Nord-Mazedonien Skopje | Coronavirus | Parlamentswahl 2020
Demokratie in Zeiten von Corona: Mitglieder einer Wahkommission während der Wahlen in Nordmazedonien im Juli 2020 Bild: picture-alliance/AP Photo/B. Grdanoski

Unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten

Derartige Probleme hätten eigentlich von einer gemeinsamen Kommission gelöst werden sollen, die nach der Unterzeichnung eines bilateralen Freundschaftsabkommens 2017 gebildet worden war. Eine Gruppe von Historikern und Erziehungsexperten aus beiden Ländern begann, an einer langen Liste strittiger Punkte zu arbeiten - und hörte damit vergangenes Jahr wieder auf. Offizieller Grund: die Wahlen in Nordmazedonien und später die Corona-Pandemie. Inoffiziell heißt es, es habe unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten gegeben.

Nun fordert die bulgarische Regierung, dass die Kommission ihre Arbeit wieder aufnimmt - und Ergebnisse erzielt. Andernfalls würde Nordmazedoniens Weg in die EU gestoppt, bevor er überhaupt begonnen hat.

Deutsche Botschafterin in Nord-Mazedonien Anke Holstein
Anke Holstein, Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in NordmazedonienBild: Dt. Botschaft Nordmazedonien

Kein Platz für bilaterale Fragen

Während sich die EU selbst bisher nicht zum neuen bulgarisch-mazedonischen Streit geäußert hat, rief Deutschland, das zur Zeit die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, beide Länder auf, alle offenen Probleme in der Historikerkommission zu lösen. Die deutsche Botschafterin in Nordmazedonien, Anke Holstein, lehnte Bulgariens Versuch ab, bilaterale Streitigkeiten im Rahmen der EU-Erweiterung zu behandeln.

"Bilaterale Probleme sollten bilateral gelöst werden", so Holstein gegenüber Radio Free Europe. Aber das wird laut Dragi Georgiev, dem Vorsitzenden des nordmazedonischen Expertenteams in der bulgarisch-nordmazedonischen Kommission, nicht einfach. "Das bulgarische Memorandum, das die moderne mazedonische Sprache und Kultur für nicht existent erklärt, ist nicht hilfreich für den Erfolg der Kommission", so Georgiev gegenüber der DW.

Bulgarien Sofia Proteste gegen Regierung
Protest gegen Korruption der bulgarischen Regierung unter Premier Bojko Borissow in Sofia am 10.09.2020Bild: DW/A. Detev

PR oder Nationalismus?

Ivaylo Ditchev und andere Analysten beiderseits der bulgarisch-nordmazedonischen Grenze halten das Memorandum für einen PR-Trick der bulgarischen Regierung unter Premier Bojko Borissow - mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit des EU-Landes nach Monaten der Proteste gegen Korruption auf andere Themen zu lenken.

Andere Beobachter widersprechen. "Die Proteste in Bulgarien haben damit nichts zu tun", schrieb Andrey Kovatchev, Mitglied des Europaparlaments für Bulgariens konservative Regierungspartei GERB in einem Kommentar für DW Mazedonisch. Auch eine andere bulgarische Regierung würde die Positionen nicht verändern. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien könnten nicht beginnen, bevor das Kandidatenland die Forderungen des EU-Mitglieds Bulgarien nicht erfülle, so Kovatchev.

Der deutsche Historiker Ulf Brunnbauer dagegen ruft Brüssel "und speziell Berlin" auf, Druck auf die bulgarische Regierung auszuüben. "Die Frage, wie Historiker oder Politiker in Mazedonien die Geschichte ihrer Nation und ihrer Sprache sehen, mag bulgarische Nationalisten wütend machen - aber sie hat absolut nichts mit den Kopenhagen-Kriterien oder irgendwelchen anderen Kriterien zu tun, die ein Kandidat für die Mitgliedschaft in der EU erfüllen muss."

Porträt eines Mannes mit grau-schwarz meliertem Bart
Boris Georgievski Boris Georgievski leitet die mazedonische Redaktion von Deutsche Welle.