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Politik

"Wir werden dich kriegen"

Esther Felden | Nina Raddy
19. Februar 2019

Immer wieder erhalten saudische Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind, Drohungen ihrer Familien. Die DW hat mit vier Betroffenen gesprochen. Im Raum steht der Verdacht, dass ihre Botschaft involviert sein könnte.

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Außenansicht der Botschaft von Saudi Arabien in Berlin
Die saudische Botschaft in Berlin war bisher nicht zu einem Interview mit der DW zum Thema bereitBild: picture-alliance/dpa/T. Vogler

"Wo versteckst du dich? Wir wissen, dass du nicht in deiner Wohnung bist." Ayasha blättert weiter. "Wir werden dich kriegen. Auch wenn du bis ans Ende der Welt gehst. Wir haben Leute, die dich ausfindig machen können."

Ayasha* sitzt barfuß in Jogginghose und T-Shirt in ihrer Küche, vor sich eine Mappe. Darin hat sie alle Droh-Nachrichten gesammelt. Ausgedruckt und von einem offiziellen Dolmetscher ins Deutsche übersetzt. In der Mappe findet sich auch diese Nachricht: "Die Botschaft hat Leute, die durch die Stadtverwaltung Informationen über dich rausbekommen können." Sie kennt die saudische Nummer. Die Drohungen stammen von ihrer Familie in Saudi-Arabien.

Screenshot mit Droh-Nachrichten an Ayasha
Whatsapp-Nachrichten an Ayasha von ihrer Familie aus Saudi-Arabien:"Antworte doch. Wo versteckst du dich.Wir wissen, dass du nicht in deiner Wohnung bist. Wir werden dich kriegen.Auch wenn du ans Ende der Welt gehst.Wir haben Leute, die dich ausfindig machen können."Bild: DW/E. Felden

Ayasha ist Anfang 30 und lebt als Flüchtling in Deutschland. Sie floh vor ihrer Familie und vor einem System, das selbst erwachsene Frauen als Unmündige behandelt. Für fast alles benötigen saudische Frauen das Einverständnis eines männlichen Vormundes.

So war es auch bei Ayasha: Wo sie auch hinging, wurde sie von einem ihrer Brüder begleitet. Oder von einem Fahrer gebracht und wieder abgeholt. Dann sollte sie einen Mann heiraten, den sie noch nie gesehen hatte. Und der ihr vom ersten Moment an unsympathisch war. Ayasha schmiedete einen gewagten Flucht-Plan. Sie habe das Handy ihres Vaters entwendet - und ihn dann gewissermaßen mit seinen eigenen Waffen geschlagen, schildert sie.

Kontrolle per "Absher"

Der Vater habe eine App benutzt, mit deren Hilfe er sie kontrollieren konnte. Es handelt sich um "Absher", ein E-Service-Programm, das auf der Internetseite des saudi-arabischen Innenministeriums angeboten wird. "Absher" ist problemlos kostenfrei im App-Store für Android und Apple erhältlich.

Screenshot der Absher-App
Bei Absher gibt es einen eigenen Bereich mit dem Titel "Reisegenehmigungen für Angehörige" - dort können Männer ihre Frauen oder Töchter registrieren Bild: DW/E. Felden

Mehr als 11 Millionen User hätten das Programm bereits installiert, wird auf der Homepage verkündet. Mit Hilfe dieser App können Männer Namen und Passnummern ihrer Frauen registrieren und dann nach Belieben Reiseverbote für sie eingeben.

Für Ayasha wurde "Absher" vom Fluch zum Segen: Es gelang ihr, das Passwort ihres Vaters für die App zurückzusetzen und ein neues zu beantragen. Dann habe sie sich selber eine Reiseerlaubnis ausgestellt und sei im August 2017 in ein Flugzeug nach Deutschland gestiegen. "Ich hatte nichts zu verlieren", sagt sie.

Als sie nach der Landung Asyl beantragte, führte ihr Weg automatisch nach Halberstadt - eine Kleinstadt im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Hier, in Halberstadt, unterhält das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Außenstelle. Es ist die einzige bundesweit, die Asylanträge aus Saudi-Arabien bearbeitet.

"Du wirst dein Leben verlieren"

Für die Dauer ihres Asylverfahrens leben die Geflüchteten in der Regel im zentralen Flüchtlings-Ankunftszentrum in Halberstadt. Die vier saudischen Frauen, mit denen die DW in den vergangenen Wochen immer wieder gesprochen hat, sind davon überzeugt, dass sie hier von anderen Geflüchteten aus dem arabischen Raum ausgehorcht wurden. Eine der Frauen erstattet im Beisein der DW eine Anzeige gegen ihren Mann in Saudi-Arabien und gegen eine ehemalige Camp-Mitbewohnerin aus Halberstadt. Anderthalb Stunden lang nehmen die Beamten ihren Bericht auf.

Konkrete Beweise fehlen. Es geht um Verdachtsmomente wie bei Nurah und Mashaael, die noch nicht so lange in Deutschland sind wie Ayasha. Schon kurz nach ihrer Ankunft ging es auch bei ihnen los mit den verstörenden Whatsapp-Nachrichten. "Denkst du, wir wissen nicht, wo du bist?", stand da plötzlich auf dem Display. Und: "Die saudische Botschaft hat uns die Informationen gegeben. Du wirst dein Leben verlieren." Beide Frauen erlebten die Drohungen als Psychoterror. "Es gibt so viele saudische Frauen, die niemals die Chance hatten, zu entkommen", sagt Mashaael. "Das hier ist die Gelegenheit für uns, ihre Stimme zu sein."

Das Bundesinnenministerium in Berlin gibt auf Nachfrage der DW an, keine Kenntnisse über mögliche Spitzel innerhalb der Ankunftseinrichtungen in Sachsen-Anhalt zu haben. Und verweist darauf, dass "der Betrieb in der Zuständigkeit der Länder" liege.

Vom Landesinnenministerium in Sachsen Anhalt bekommt die DW folgende Antwort:

"Die Problematik bezüglich saudi-arabischer Flüchtlinge ist in Sachsen-Anhalt bekannt. Die verantwortlichen Stellen haben dafür Abläufe entwickelt, mögliche Gefahrenlagen für die Betroffenen durch entsprechende Maßnahmen zu umgehen."

Welche Problematik konkret gemeint ist und was für Maßnahmen ergriffen werden, dazu erteilte das Ministerium auch auf Nachfrage keine weiteren Auskünfte.

Der grausame Tod des Journalisten Jamal Khashoggi hat ein Schlaglicht auf den saudischen Umgang mit Regimekritikern geworfen. Der im Exil lebende Khashoggi war Anfang Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul von einem extra angereisten 15-köpfigen Kommando erwürgt und zerstückelt worden. Seine Leiche wurde bis heute nicht gefunden. Die Vereinten Nationen untersuchen den Fall.

Vor wenigen Wochen sorgte außerdem die spektakuläre Flucht der 18-jährigen Rahaf Mohammed al-Kunun weltweit für Schlagzeilen. Die junge Frau wollte sich von ihrer Familie nach Australien absetzen, doch beim Umsteigen in der thailändischen Hauptstadt Bangkok wurde sie von den dortigen Behörden gestoppt.

Ihrer drohenden Abschiebung entging sie, indem sie sich im Transit-Bereich des Flughafens verbarrikadierte, via Twitter auf ihre Notlage aufmerksam machte und schließlich unter den Schutz des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR gestellt wurde. Rahaf bekam mittlerweile Asyl in Kanada.

"Unter Umständen die Todesstrafe"

Andere Fälle gehen weniger gut aus. So wie der von Dina Ali. Auch sie versuchte im April 2017 nach Australien zu fliehen. Auf den Philippinen wurde sie gestoppt und nach Saudi-Arabien abgeschoben. Seitdem fehlt von ihr jede Spur.

"Wenn Frauen gegen ihren Willen zurückgebracht werden, können sie wegen Ungehorsam und Rufschädigung angeklagt werden", erklärt Rothna Begum von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Sie könnten langjährige Haftstrafen bekommen - und unter Umständen sogar die Todesstrafe. Begum bestätigte der DW, dass Human Rights Watch Fälle bekannt sind, in denen "Frauen von saudischen Behörden unter Druck gesetzt werden, zu ihren Familien zurückzukehren".

 

Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Halberstadt
Sämtliche Flüchtlinge aus Saudi-Arabien durchlaufen ihr Verfahren bei der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in HalberstadtBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

"Ich denke, es ist die Botschaft"

Auch Stefan Paintner von der Säkularen Flüchtlingshilfe in Köln hält die Schilderung der saudischen Frauen für glaubwürdig. Auffällig ist aus seiner Sicht, wie gut die Familien der Frauen im fernen Saudi-Arabien Bescheid wissen: "Entweder ist es so, dass jede Familie sich einzeln Leute in Deutschland sucht, um die jeweiligen Frauen ausfindig zu machen", vermutet Stefan Paintner. "Oder es gibt eine zentrale Organisation, die das für die Familien erledigt. Ich denke, es ist die Botschaft. Ich habe keine Beweise. Aber diese Überwachung übersteigt ein bisschen das, was eine Familie leisten kann."

Paintner glaubt, dass in der zentralen Aufnahmestelle in Halberstadt andere Geflüchtete angeworben werden können, um der saudischen Botschaft in Berlin Bericht zu erstatten. "Ich denke nicht, dass es schwer ist, da Leute zu kriegen. Aber ich glaube, das ist kein ausgeklügeltes Agenten-Netzwerk."

"Wie auf dem Präsentierteller"

Anfang Februar 2019 sind nach Angaben des Landesinnenministeriums 146 geflüchtete Personen aus Saudi-Arabien in Sachsen-Anhalt registriert, davon haben 97 ein Bleiberecht erhalten. Doch selbst wer einen positiven Asylbescheid bekommt, muss weiter in Sachsen-Anhalt bleiben. Für alle Flüchtlinge gilt die sogenannte Wohnsitzauflage.

Konkret bedeutet das, dass Geflüchtete nach dem positiven Asylbescheid erst einmal für drei Jahre in dem Bundesland gemeldet bleiben müssen, in dem sie ihr Asylverfahren durchlaufen haben. Im Fall saudischer Flüchtlinge ist das also allein Sachsen-Anhalt. Die Konzentration erleichtert die Suche. In Halberstadt, einer Stadt mit nur 45.000 Einwohnern, seien die Betroffenen für die saudischen  Behörden "wie auf dem Präsentierteller", klagt Flüchtlingshelfer Stefan Paintner.

In begründeten Fällen sei die Aufhebung der Wohnsitzauflage möglich, bestätigt das sachsen-anhaltische Innenministerium der DW. Der Gesetzgeber lasse "im Rahmen von Einzelfallprüfungen Ausnahmen zu, von denen wir gegebenenfalls Gebrauch machen". Ayasha ist so eine Ausnahme.

Nachdem ihr Asylantrag im Oktober 2017 genehmigt worden war, bezog sie zunächst eine kleine eigene Wohnung in der Stadt Halle, knapp 100 Kilometer von Halberstadt entfernt. Doch von Anfang an habe sie sich dort nicht sicher gefühlt, berichtet sie. Einmal habe nachts ein arabisch aussehender Mann minutenlang vor ihrer Tür im Hausflur gestanden. Ayasha informierte die Polizei. Doch eine Anzeige erstatten konnte sie nicht, denn es sei ja nichts Strafbares passiert, habe man ihr erklärt.

Von der Polizei Halle ausgestellte Bescheinigung
Nachdem nachts ein Fremder vor ihrer Tür stand, ging Ayasha zur Polizei: diese Bescheinigung bekam sie auf der Wache Bild: DW/E. Felden

Im August 2018 klopfte es dann morgens an ihrer Tür. Eine verschleierte Frau stand davor. "Sie wirkte verwirrt, als würde sie Hilfe benötigen", erinnert sich Ayasha. Doch als sie die Tür öffnete, schubste die Frau sie in ihre Wohnung. Von der Seite sprang ein schwarzhaariger Mann mit Vollbart herbei. Die beiden durchsuchten die Wohnung, während Ayesha sich panisch im Bad einschloss. Sie rief wieder die Polizei und zog in ein geschütztes Frauenhaus.

"Keiner kann dich vor uns in Schutz nehmen"

Dann kamen plötzlich die Whatsapp-Nachrichten aus Saudi-Arabien. Jemand hatte ihrer Familie offenbar ihre deutsche Nummer verraten. Der Ton der Nachrichten war eindeutig. "Soll ich dir ein Geheimnis verraten, damit du weißt, dass wir dich kriegen?", stand da. "Kennst du die Leute, die in deine Wohnung gekommen sind? Wir haben sie nämlich zu dir geschickt, damit du weißt, dass wir dich kriegen können."

So ging das zwei Tage lang. Im Minutentakt. "Übrigens ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir deine neue Bleibe ausfindig machen. Keiner kann dich dann vor uns in Schutz nehmen." Ayesha sagt, dass die saudische Telefonnummer, von der aus die Nachrichten geschickt wurden, einem ihrer Brüder gehört.

Übersetzung einiger Droh-Whatsapps an Ayasha
Ayasha hat die Whatsapp-Nachrichten von einem staatlich geprüften Dolmetscher übersetzen lassenBild: DW/E. Felden

Im September 2018 verließ sie Sachsen-Anhalt und flüchtete nach Hamburg, in die Anonymität der Großstadt. Hier lebt sie jetzt mit neuem Handy und neuer Telefonnummer. Trotzdem bleibt sie wachsam. Die saudische Botschaft in Berlin war trotz mehrfacher Kontaktaufnahme bisher nicht bereit, mit der DW über die Verdachtsmomente der Frauen zu sprechen.

Mitarbeit: Hasan Hussain, arabische Redaktion der DW

*Alle Namen in diesem Text wurden von der Redaktion geändert