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Politik

Flucht aus Saudi-Arabien

Kersten Knipp | Emad Hassan
7. Januar 2019

Weil sie sich gegen ihre Zwangsheirat wehrte, wurde eine junge saudische Frau ein halbes Jahr lang von ihrer eigenen Familie eingesperrt. Dann gelang ihr die Flucht nach Thailand. Ihre Geschichte ist kein Einzelfall.

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Thailand setzt Abschiebung von saudischer Frau vorläufig aus
Bild: picture-alliance/dpa

Für Rahaf Mohammed Alqunun gibt es Grund zur Hoffnung: Nach derzeitigem Stand soll sie nicht aus Thailand nach Saudi-Arabien abgeschoben werden. Einen Tag lang hatte die junge saudische Frau in einem Hotel am Flughafen von Bangkok festgesessen, ohne zu wissen, wohin ihre Reise weitergehen würde. Zurück nach Riad, wie es die saudische Botschaft in Bangkok fordert? Oder weiter nach Australien, ihrem eigentlichen Ziel, worin sie unter anderem von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) unterstützt wird. Dorthin will sie vor ihrer Familie fliehen. Diese, so Mohammed al-Kunun, habe sie ein halbes Jahr eingesperrt, weil sie sich dagegen gesträubt habe, gegen ihren Willen zu heiraten.

"Die thailändischen Behörden haben sie dankenswerterweise nicht, wie zunächst beabsichtigt, in den Rückflug nach Kuwait gesetzt", resümiert Adam Coogle, Nahost-Experte bei HRW, den zähen Verlauf der zurückliegenden Stunden. Zunächst habe die thailändische Einwanderungsbehörde erklärt, die junge Frau nicht zurück nach Kuwait schicken zu wollen. Von dort aus wäre sie dann mutmaßlich nach Saudi-Arabien überstellt worden. Dann habe es aus dem Büro des stellvertretenden Premierministers geheißen, Thailand wolle die Frau doch abschieben. Dann schließlich hätten Mitarbeiter des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) Zugang zu Rahaf Mohammed Alqunun erhalten.

Kein Einzelfall

Rahaf Mohammed Alqunun ist nicht die einzige junge Frau, die versuchte, aus Saudi-Arabien zu fliehen. Im April 2017 wurde auf dem Flughafen von Manila die junge saudische Staatsbürgerin Dina Lasloom verhaftet. Auch sie wollte einer Zwangsverheiratung entgehen und war deshalb außer Landes geflohen. Dennoch wurde sie einen Tag nach ihrer Ankunft zurück nach Saudi-Arabien deportiert. Ihr derzeitiges Schicksal ist unbekannt. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge - sie beruft sich auf einen namentlich nicht genannten saudischen Regierungsvertreter - befindet sich Lasloom in einer Haftanstalt für junge Frauen. Die saudische Menschenrechtsaktivistin Moudi Aljohani geht hingegen davon aus, dass Lasloom verstorben sei. HRW hat keine sicheren Informationen über den Aufenthaltsort von Lasloom.

Rahaf Mohammed Alqunan
Hoffnung in Bangkok: Rahaf MohammedBild: picture alliance/AP Photo/Human Rights Watch/Rahaf Mohammed Alqunun

"Wir haben im Laufe der Jahre einige derartige Fälle dokumentiert", sagt Adam Coogle von Human Rights Watch im Gespräch mit der DW. "Es kommt immer wieder vor, dass Frauen in Saudi-Arabien misshandelt werden und ihnen ein selbstbestimmtes Leben verweigert wird, weil ihre männlichen Familienangehörigen über sie verfügen wollen." Dieser Herrschaft versuchten sich einige Frauen durch Flucht ins Ausland zu entziehen.

"Reformen müssen von innen kommen"

Der Fall von Rahaf Mohammed Alqunun sei allerdings außergewöhnlich, sagt die saudische Journalistin Arafat al-Majid, Mitglied des Stadtrats von Al-Qatif. "Es wäre ungerecht zu sagen, Rahaf stünde für ihre gesamte Generation", so al-Majid im Interview mit der DW. "Sie hat sich dazu entschlossen, sich gegen ihre Familie zu stellen. Das kommt vor, aber nicht allzu oft." Die entsprechenden Gesetze zum Umgang mit solchen Fällen würden derzeit reformiert. "Am besten wäre es, wenn das Königreich sich selbst um diese Arbeit kümmert. Druck von außen ist nur kontraproduktiv", so al-Majid weiter. Viele saudische Bürger sprächen sich für Reformen aus.

Frauen können sich auf den Staat nicht verlassen

Als Garant des Wandels wurde eine Zeit lang Kronprinz Mohammed bin Salman genannt - zu Unrecht, sagt der saudische, in England lebende Bürgerrechtler Yahya Assiri. "Es gibt diese Reformen nicht, auch wenn es einige Bewegung gibt. Dabei handelt es sich vor allem um Propaganda mit dem Ziel, das Image des Königreichs zu verbessern." Ein erster Schritt müsse darin bestehen, die saudischen Dissidenten und Aktivisten freizulassen und ihnen zuzuhören. Das geschehe aber nicht. 

Auch junge Frauen würden vor dem Zugriff ihrer Familien nicht hinreichend geschützt, so Assiri weiter. Dies müsste eigentlich der Staat gewährleisten. Wenn das aber nicht geschehe, seien die Frauen gezwungen, einen anderen Weg zu wählen - etwa die Flucht ins Ausland. "Doch auch dann hilft ihnen der Staat nicht. Sondern versucht im Gegenteil, sie nach Saudi-Arabien zurückzubringen."

Saudi-Arabien Frauen mit Abaja in Riad
Bedingt entscheidungsbefugt: Frauen in Saudi-ArabienBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Nicht selten sei das Königreich den Staaten, in denen sich die Geflüchteten aufhielten, ebenso einen Schritt voraus wie den Menschrechtsorganisationen. "Saudi-Arabien hat dafür gesorgt, dass die junge Frau festgesetzt wurde. Um das zu erreichen, lässt das Königreich sein Geld, seinen Einfluss und seine Beziehungen spielen."

Wichtig: der richtige Fluchtweg

So sind die Frauen zu großen Teilen auf sich allein gestellt. Ihre Fluchtchancen hingen ganz wesentlich von der gewählten Route ab, sagt Adam Coogle von HRW. "In einigen Fällen hatten diejenigen Frauen Erfolg, die ein Land mit einem gut entwickelten Asylsystem erreichen konnten, beispielsweise ein europäisches Land oder die USA. Frauen, die versuchten, nach Australien zu entkommen, wurden hingegen in einigen Fällen abgefangen - und zwar in jenen Ländern, in denen Saudi-Arabien diplomatischen Druck ausüben kann."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika