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KonflikteIsrael

Israel fordert Bewohner auf, Gaza-Stadt zu verlassen

Veröffentlicht 13. Oktober 2023Zuletzt aktualisiert 13. Oktober 2023

Das israelische Militär ruft zur Evakuierung des nördlichen Gazastreifens auf. Die UN warnen vor verheerenden humanitären Folgen. Außenministerin Baerbock besucht Israel.

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Gazastreifen | Palästinenser fliehen vor israelischen Angriffen aus ihren Häusern in Gaza
Palästinenser fliehen mit einem Teil ihres Hausrats aus ihrem WohngebietBild: Saleh Salem/REUTERS

Die Streitkräfte Israels haben die Zivilbevölkerung von Gaza aufgefordert, umgehend die Stadt zu verlassen. "Das Militär ruft alle Zivilisten von Gaza dazu auf, ihre Häuser zu ihrer eigenen Sicherheit und zu ihrem Schutz nach Süden zu verlassen", teilte die Armee mit. "Diese Evakuierung erfolgt zu ihrer eigenen Sicherheit", hieß es weiter.

Bis 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MESZ) sollten die Einwohner von Gaza-Stadt ihre Wohngebiete räumen.. Ein Militärsprecher schrieb in arabischer Sprache auf X, man werde eine auf einer Karte eingezeichnete Fluchtroute bis zu diesem Zeitpunkt nicht angreifen. Die Einwohner von Beit Hanun sollten nach Chan Junis gehen, heißt es in der Mitteilung. Wem die eigene und die Sicherheit seiner Familie am Herzen liege, der solle sich an die Anweisungen halten. Eine Rückkehr in den nördlichen Gazastreifen dürfe erst nach Mitteilung der Armee erfolgen. 

Zivilisten sollen Gaza-Stadt verlassen

Das Militär begründete den Aufruf damit, in den kommenden Tagen werde es weiter "in erheblichem Umfang" in Gaza-Stadt im Einsatz sein. Hamas-Terroristen versteckten sich in der Stadt in Tunneln und in Gebäuden, die von Zivilisten bewohnt würden. Man unternehme "große Anstrengungen", um Schaden von der Zivilbevölkerung abzuwenden. Aber, "es ist eine Kriegszone", betonte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari.

Tausende Palästinenser auf der Flucht

In Gaza-Stadt leben nach Schätzungen rund 1,1 Millionen Menschen, gut die Hälfte der Bevölkerung des palästinensischen Gazastreifens. Dort herrscht die militant-islamistische Hamas, die von Deutschland, den USA, der EU, Israel und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft ist. Vom Gazastreifen aus hatte die Hamas am Samstag mit ihren terroristischen Angriffen auf Israel begonnen.

Die Hamas-Behörde für Flüchtlingsangelegenheiten rief die Bewohner des nördlichen Gazastreifens auf, "standhaft in ihren Häusern zu bleiben". Augenzeugen berichteten, in Gaza habe die Hamas Menschen daran gehindert, die Stadt zu verlassen. Inzwischen konnten laut Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP aber Tausende Palästinenser Richtung Süden fliehen. Auf den Straßen waren zahlreiche Menschen zu Fuß, in Autos, mit Motorrädern oder Eselkarren zu sehen. 

Die Vereinten Nationen (UN) zeigten sich nach dem Aufruf der Armee in einer ersten Reaktion entsetzt. Stéphane Dujarric, der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres sagte: "Die Vereinten Nationen appellieren nachdrücklich an die Rücknahme eines solchen Befehls." Er warnte, ein solcher Schritt würde die bereits bestehende Tragödie in eine "katastrophale Situation" verwandeln. Eine Evakuierung dieses Ausmaßes sei unmöglich, ohne verheerende humanitäre Folgen zu verursachen. Nach UN-Angaben sind aufgrund der israelischen Gegenangriffe nach dem Terrorangriff der Hamas mehr als 423.000 Menschen im Gazastreifen aus ihren Häusern vertrieben worden.

Ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wies in Genf darauf hin, die Verlegung schwer kranker und schwer verletzter Patienten aus dem nördlichen Gazastreifen sei unmöglich. "Solche Menschen zu transportieren, kommt einem Todesurteil gleich", sagte Sprecher Tarik Jasarevic.

Das Palästinenser-Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) hat nach dem Aufruf eigenen Angaben zufolge sein zentrales Einsatzzentrum zusammen mit seinen internationalen Mitarbeitern in den Süden des Gazastreifens verlegt. Dort werde die humanitäre Arbeit fortgesetzt, teilte das Hilfswerk auf X, ehemals Twitter, mit. Es rief die israelischen Behörden dazu auf, alle Zivilisten in UNRWA-Schutzräumen, einschließlich Schulen, zu schützen.

Menschen im Gazastreifen hoffen auf Hilfe durch die UN

Die israelische Luftwaffe griff im Kampf gegen Hamas-Terroristen im Norden des Gazastreifens wieder Hunderte Ziele an. Dutzende Kampfflugzeuge hätten in der Nacht 750 militärische Ziele bombardiert, teilte das Militär mit. Darunter seien unterirdische Tunnel der Hamas, militärische Einrichtungen, Wohnsitze hochrangiger Terroristen, die als militärische Kommandozentralen genutzt würden, sowie Waffenlager. Vom Gazastreifen aus wurden laut Augenzeugen wieder zahllose Raketen Richtung Israel abgefeuert. In der Küstenstadt Aschkelon, in der Grenzstadt Sderot und weiteren Orten am Rande des Palästinensergebiets gab es an diesem Freitag wieder Raketenalarm.

Hamas: 13 Geiseln bei israelischen Angriffen getötet

Die Essedin-al-Kassam-Brigaden - der bewaffnete Arm der Hamas - teilten in einer Erklärung mit, bei israelischen Angriffen auf den Gazastreifen seien in den vergangenen 24 Stunden auch 13 aus Israel verschleppte Geiseln, darunter ausländische Staatsangehörige, getötet worden. Von unabhängiger Seite lassen sich die Behauptungen nicht überprüfen.

Reuters-Journalist im Libanon getötet

Unterdessen meldet die Nachrichtenagentur Reuters, einer ihrer Journalisten sei im Südlibanon nahe der Grenze zu Israel durch Beschuss getötet worden. Der Kameramann gehörte demnach zu einem Team, das live sendete. Zwei Reuters-Kollegen und vier weitere Medienvertreter seien verwundet worden. Der arabische Sender Al-Dschasira bestätigte, eine eigene Reporterin und ein Kameramann seien unter den Verletzten.

In dem Gebiet hatte es einen Schusswechsel zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz gegeben. Die israelische Armee bestätigte einen Angriff mit Panzer- und Artilleriefeuer auf libanesisches Gebiet. Zuvor habe es Attacken aus dem Nachbarland auf israelische Stellungen gegeben. In den vergangenen Tagen kam es immer wieder zu vereinzelten Kampfhandlungen zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär, die Sorgen vor einer weiteren Eskalation schürten. Die Hisbollah wird von den USA, Deutschland und mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft. Die EU listet lediglich ihren bewaffneten Flügel als Terrorgruppe.

Blinken fordert in Katar Distanzierung von Hamas

Die Vereinigten Staaten richten den Blick auch auf die Finanziers des Terrors. US-Außenminister Antony Blinken erklärte bei einem Besuch in Katar, es dürfe kein "business as usual" mit der Hamas mehr geben. Jedes Land müsse diese für ihre Attacken auf Israel verurteilen, sagte Blinken in Doha bei einem gemeinsamen Auftritt mit Emir Mohammed Bin Abdulrahman al-Thani. Der Golfstaat Katar gilt als einer der wichtigsten Geldgeber der Hamas.

US-Verteidigungsminister besucht Israel

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sicherte Israel bei einem Besuch weitere militärische Unterstützung zu. "Wir haben die US-Kampfflugzeugstaffeln im Nahen Osten aufgestockt, und das Verteidigungsministerium ist voll und ganz bereit, bei Bedarf zusätzliche Mittel einzusetzen", sagte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem israelischen Kollegen Joav Galant. Die Vereinigten Staaten hatten angekündigt, den Flugzeugträger "USS Gerald R. Ford" und weitere Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer zu verlegen.

Israel | Besuch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Tel Aviv
Der Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten, Lloyd Austin (rechts), mit seinem israelischen Kollegen Joav Galant in Tel AvivBild: Ariel Hermoni/IMoD/dpa/picture alliance

Baerbock appelliert an Hamas: "Lassen Sie diese unschuldigen Menschen frei!" 

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist ebenfalls zu einem Solidaritätsbesuch nach Israel gereist. An die Adresse der Hamas richtete sie mit Blick auf die von Terroristen verschleppten Geiseln "auch als Mensch und Mutter" einen emotionalen Appell: "Lassen Sie diese unschuldigen Menschen, lassen Sie diese unschuldigen kleinen Mädchen frei!"

Außenministerin Baerbock in Israel

Bei einem Treffen mit ihrem israelischen Kollegen Eli Cohen in Netivot nahe der Grenze zu Gaza verlangte Baerbock, Länder wie Katar und Ägypten, die über direkte Gesprächskanäle zur Hamas verfügten, müssten sich für die Freilassung der Entführten einzusetzen. Zuvor hatte die Grünen-Politikerin mit Angehörigen der Geiseln gesprochen. Unter ihnen ist nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt auch eine einstellige Zahl von Deutschen, die zudem die israelische Staatsangehörigkeit besitzen.

Die Ministerin betonte, Israel habe das Recht und die Pflicht, seine Staatsangehörigen zu befreien und sich im Rahmen des internationalen Rechts "gegen diesen brutalen, barbarischen Terror zu wehren". Die Gewalt der Hamas helfe keinem palästinensischen Kind und keiner palästinensischen Mutter; sie richte sich auch gegen die Palästinenser selbst.

Noch vor ihrem Abflug hatte Baerbock erklärt: "Solidarität ist für uns das oberste Gebot." Die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsraison - "und das ist unsere allererste Aufgabe".

Bundeskanzler Scholz sagt Israel volle Unterstützung zu

EU-Spitzenvertreter ebenfalls in Israel 

Auch die Präsidentinnen der EU-Kommission und des EU-Parlaments, Ursula von der Leyen und Roberta Metsola, reisten sechs Tage nach dem Großangriff der Hamas nach Israel. "Europa steht an der Seite Israels", erklärte von der Leyen nach einem Treffen mit Regierungschef Benjamin Netanjahu. "Mehr als 1300 Menschen wurden von den barbarischen Terroristen der Hamas ermordet, die gegen Israel kämpft", betonte die Kommissionchefin. "Das ist eine Kriegshandlung."

Von der Leyen hatte zuvor unter anderem den Kibbuz Kfar Aza nahe der Grenze zum Gazastreifen besucht. Dort hatte die Hamas nach Angaben von Zeugen am vergangenen Wochenende ein Massaker unter den israelischen Bewohnern angerichtet. Mehr als 100 Menschen sollen dabei getötet worden sein.

se/sti/pg/haz/fab/jj/qu/hf (dpa, afp, rtr, ap, kna, dw)