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50 Jahre Neues Deutsches Kino

28. Februar 2012

"Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen" - so lautetete 1962 das Credo junger deutscher Filmschaffender. Als "Oberhausener Manifest" ging es in die Geschichte des Kinos ein - die Spuren sind bis heute sichtbar.

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Szene aus ABSCHIED VON GESTERN (Foto: picture alliance/Mary Evans Picture Library )
Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

Es war wie bei so vielen Revolutionen. Diejenigen, die den Umsturz anzettelten, verschwanden irgendwann wieder von der Bildfläche. Nur einige wenige der ersten Barrikadenstürmer konnten sich halten. Langfristigen Erfolg sollten erst die haben, die einige Jahre später die Bühne betraten.

Die Revolution, von der hier die Rede ist, heißt "Oberhausener Manifest". Und es dürfte bis heute die wohl wichtigste Wegmarke des bundesdeutschen Nachkriegskinos sein. Zwar hat es zu diesem Umbruch im deutschen Film Vorboten gegeben, die zu Unrecht in Vergessenheit gerieten. Und auch einige Jahre später hat es spektakuläre und auch nachhaltige Veränderungen gegeben. Berühmt geworden aber ist dieses eine Manifest.

Szene aus Abschied von Gestern mit Alexandra Kluge (Foto: edition Filmmuseum)
Programmatischer Titel: "Abschied von Gestern" von Alexander KlugeBild: Edition Filmmuseum

Gegen die falsche Idylle im Heimatfilm

Was waren die Hintergründe, vor denen 26 junge deutsche Filmemacher eine Erneuerung des Spielfilms in ihrer Heimat forderten? Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 waren die künstlerischen Fäden des ehemals so großen und weltweit einflussreichen deutschen Films gekappt worden. Viele berühmte Regisseure, aber auch Autoren, Schauspieler und Kameraleute hatten während dieser Zeit das Land verlassen oder waren von den Nazis zur Untätigkeit verdammt worden. Diesen gewaltigen Aderlass hatte die Kinonation Deutschland nicht so schnell verkraften können. 1945 fehlte das wirtschaftliche und kulturelle Umfeld, in dem nachwachsende Regisseure und die Rückkehrer aus dem Exil an alte Traditionen anknüpfen konnten.

Die 1950er Jahre waren künstlerisch ein Desaster für den deutschen Film. Es dominierten Heimatfilme, die verklärend ein Bild deutscher Provinz zeichneten, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Harmlose Lustspiele, sich vor der Wahrheit drückende Kriegsfilme, seichte Unterhaltungskost – das war für viele Jahre der deutsche Film. Doch Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre regte sich Protest. Aufruhr in der deutschen Kinoszene!

Grün ist die Heide Poster (Foto: Verleih)
Feindbild HeimatfilmBild: picture alliance

Authentische Geschichten mit "echten" Menschen

Als zu Beginn der 60er Jahre das Fernsehen seinen Siegeszug antrat und dafür sorgte, dass die Kinoeinnahmen einbrachen, war es soweit. All die Wut über das desaströse Niveau des deutschen Kinos floss in das "Oberhausener Manifest" ein. "Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films entzieht einer von uns abgelehnten Geisteshaltung endlich den wirtschaftlichen Boden. Dadurch hat der neue Film die Chance lebendig zu werden", schrieben die 26. Und weiter: "Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen." Der Anspruch sah so aus: Filme sollten wieder authentisch sein, man wollte Geschichten erzählen, die von "echten" Menschen auf der Straße handelten. Dort sollte auch gedreht werden, an Originalschauplätzen. Das große Vorbild war die französische Nouvelle Vague, die kurz zuvor den französischen Film revolutioniert hatte.

Unter den 26 waren aber nur wenige Regisseure, die dauerhaften Erfolg haben sollten, die tatsächlich das umsetzten, was sie angekündigt hatten: "Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen.“ Alexander Kluge ("Abschied von Gestern", "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos") war einer von ihnen und auch Edgar Reitz ("Mahlzeiten", "Heimat"). Beide wurden zu Stützpfeilern eines neuen deutschen Kinos. Peter Schamoni sollte sich ebenfalls als Regisseur durchsetzen, der Schauspieler Christian Doermer war einer der 26, Haro Senft arbeitete als Kinderfilmregisseur, ein paar andere fanden zumindest im Jahrzehnt der Unterzeichnung Arbeit. Von den meisten anderen hörte man kaum noch etwas.

Diskussionen in Oberhausener (Foto: Aus dem Archiv der Kurzfilmtage).
Heiße Diskussion in OberhausenBild: Archiv der Kurzfilmtage

Comeback des deutschen Films auf der Kinoweltkarte

Die großen Erfolge des Neuen Deutschen Films sollten ein paar Jahre später andere feiern. Alexander Kluge wurde 1966 in Venedig für seinen Film "Abschied von Gestern" immerhin mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Dann aber sorgten Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog, Wim Wenders und Volker Schlöndorff dafür, dass Deutschland nach fast vier Jahrzehnten Abstinenz wieder auf der Kinoweltkarte verzeichnet wurde.

Doch die 26 Umstürzler aus Oberhausen hatten damals die Basis gelegt mit ihrem Manifest. Sie haben dafür gesorgt, dass Deutschland eine Kinoinfrastruktur bekam. In den Folgejahren entstanden Filmhochschulen und kommunale Kinos, die Filmförderung wurde ins Leben gerufen, eine neue Filmpublizistik knüpfte an internationales Niveau an, Film wurde wieder im Bewusstsein eines kulturinteressierten Publikums verankert. Die Unterzeichner des Oberhausener Manifests pflanzten mit ihrem Motto "Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen" die Wurzeln für das heutige Filmland Deutschland.

Szene aus Mahlzeiten mit Heidi Stroh, Georg Hauke (Foto: Studiocanal/Arthaus)
Edgar Reitz' Film "Mahlzeiten" mit Heidi Stroh und Georg Hauk war einer der frühen Erfolge der "Oberhausener"Bild: Kinowelt/Arthaus

Die Zeitschrift "Schnitt" hat im Januar ein Themenheft zum Jubiläum herausgegeben, u.a. mit einem Essay des Manifest-Unterzeichners Haro Senft: Rebellion ohne Ende?; Im Verlag Text und Kritik erscheint im April das Buch "Provokation der Wirklichkeit. Das Oberhausener Manifest und die Folgen", hrsg. von Ralph Eue und Lars Henrik Gass, ca. 350 Seiten, € 24,80.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Sarah Judith Hofmann