100 Tage vor Olympia in Peking
26. Oktober 2021Wie ist die Corona-Lage in China?
Die offiziellen Fallzahlen sind niedrig, trotzdem ist die Aufregung vergleichsweise groß. Landesweit wurden seit der vergangenen Woche Neuinfektionen im niedrigen dreistelligen Bereich bekannt gegeben. Das ist bei einer Bevölkerung von rund 1,4 Milliarden Menschen sehr gering, dennoch fielen die anschließenden Maßnahmen verhältnismäßig drastisch aus. Im Landkreises Ejin in der Region Innere Mongolei dürfen rund 35.000 Einwohner seit Montag ihre Wohnungen nicht mehr verlassen. Auch die Bürgerinnen und Bürger Pekings wurden aufgefordert, die Stadt nur noch in dringenden Fällen zu verlassen. Am Sonntag wurde der Peking-Marathon abgesagt, außerdem wurden mehrere Wohnkomplexe abgeriegelt.
Welche Auswirkungen hat die strenge Corona-Politik auf die Spiele?
Wer vollständig geimpft nach China einreist, hat es deutlich besser als die Ungeimpften. Ohne entsprechenden Infektionsschutz müssen Athletinnen und Athleten für 21 Tage in Quarantäne, so steht es in der ersten Fassung des sogenannten "Playbooks" des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Da eine dreiwöchige Isolation ohne vernünftige Trainingsmöglichkeiten jedoch alles andere als eine perfekte Vorbereitung auf den sportlichen Höhepunkt darstellt, wird wohl kaum jemand der Teilnehmenden ungeimpft nach Peking kommen.
Wer es gesund in die Olympia-Bubble hinein schafft, kann sich dort dann wahrscheinlich relativ frei bewegen - beschränkt auf Olympisches Dorf, Wettkampf- und Trainingsstätten sowie die Orte der Siegerehrungen. Die Sportlerinnen und Sportler können zwar das olympische Transportsystem zwischen den Wettkampfstätten in Peking, Yanqing und Zhangjiakou nutzen, müssen aber strenge Hygieneregeln beachten. Das umfasst unter anderem eine permanente Maskenpflicht und das Vermeiden von größeren Menschenansammlungen. Als Zuschauer sind in Peking nur Einheimische zugelassen.
Warum gibt es Kritik an den Spielen in Peking?
Dafür gibt es viele Gründe: Vor allem die Menschenrechtssituation in China ist eines Olympia-Gastgebers unwürdig. Generell herrschen in China weder Meinungs-, noch Presse- oder Religionsfreiheit. Minderheiten wie Tibeter und Uiguren haben im Reich der Mitte einen schweren Stand. Seit einigen Jahren leiden die Uiguren massiv unter der Unterdrückungspolitik des chinesischen Staates. Man geht davon aus, dass mehr als eine Million Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang in Konzentrationslagern interniert sind. Sie werden dort sogenannten "Umerziehungsmaßnahmen" ausgesetzt. Es gibt Berichte über Zwangssterilisationen und Abtreibungen, erzwungene Organentnahmen und Folter. Human Rights Watch und einige westliche Regierungen sprechen von "Völkermord".
Vertreter von Uiguren, Tibetern und der zuletzt schwer unter Druck geratenen Opposition in Chinas Sonderverwaltungszone Hongkong haben sich im Vorfeld der Winterspiele im Protest gegen die chinesischen Machthaber zusammengetan und eine Olympia-Verlegung gefordert. Zuletzt bezeichnete NBA-Star Enes Kanter den chinesischen Präsidenten Xi Jinping als einen "brutalen Diktator".
Auch Umweltschützer laufen Sturm gegen die Winterspiele in einer Stadt, die in einer Zone mit Wüstenklima liegt. In der Gegend um die chinesische Hauptstadt gibt es so gut wie nie Schnee, weil es im Winter kaum Niederschläge gibt. Gleiches gilt für die neuen Skigebiete, die in die Berge und Wälder des Nationalparks Yanqing Songshan, rund 100 Kilometer außerhalb Pekings, planiert wurden.
Welche Vorbehalte gibt es noch?
Beim Deutschen Skiverband (DSV) gab es zuletzt Befürchtungen wegen möglicher Technikspionage. Nachdem der DSV diesbezüglich Kontakt mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) aufgenommen hatte, gab es die Empfehlung der Behörde, Datenträger oder Aufzeichnungen mit sensiblen Daten etwa zum Wachsen von Skiern oder zur Materialforschung besser zu Hause zu lassen. Der deutsche Alpin-Chef Wolfgang Maier sagte, es sei geraten worden, auf mitgebrachten Geräten nur "das Notwendigste" mitzuführen. "Jeder weiß, dass seine Daten abgegriffen werden, das ist ein extrem unangenehmes Gefühl", sagte Maier.
Wie blicken die Athleten dem Event entgegen?
Neben der Vorfreude auf hochklassige Wettbewerbe auf nagelneuen oder frisch renovierten Wettkampfstätten herrscht wegen der Begleitumstände bei vielen Sportlerinnen und Sportlern auch große Skepsis. Maximilian Klein, der Beauftragte für internationale Sportpolitik beim Verein Athleten Deutschland, sagte im Deutschlandfunk, die Aktiven bewegten sich in dem Zwiespalt, einerseits nicht mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden zu wollen, andererseits aber jahrelang für Olympia trainiert zu haben.
"Die Vorfreude hält sich im Augenblick in Grenzen", gab auch Ski-Alpin-Chef Maier in der ARD zu. Genau wie viele andere Sportlerinnen und Sportler konnte sein Team vor Olympia nicht nach Peking, um sich mit den Olympiastrecken vertraut zu machen.
Anders war das bei den Shorttrackern, die in Peking Testwettkämpfe bestritten: Zwar sei die Corona-Situation in Peking "sehr, sehr streng", sagte Anna Seidel, jedoch habe sie sich in der modernisierten Halle "sehr wohl gefühlt", so die 23-Jährige. "Das Eis war sehr gut." Außerdem lobte die Shorttrackerin die Organisation: "Überall waren Leute, die man fragen konnte und die einem geholfen haben. Es war alles in allem ein rundum gelungenes Event, und man hat sich absolut sicher gefühlt."