Radio Atipiri bildet seit zehn Jahren Reporterinnen in El Alto, Bolivien, aus und trägt damit zur Veränderung der Gesellschaft bei. Camilla Hildebrandt, Projektmanagerin, sprach mit der Direktorin Tania Ayma.
Tania Ayma (links) setzt sich seit zehn Jahren dafür ein, dass benachteiligte Frauen in den Medien eine Stimme bekommen
Radio Atipiri hat in den vergangenen zehn Jahren hunderte Frauen zu Reporterinnen ausgebildet. Wie sind Sie vorgegangen?
Bereits mein Vater hat in den 1970ern Bürgerreporter ausgebildet, vor allem auf dem Land. Damals wurden aber immer nur Männer ausgebildet - die Frauen hatten schlicht keine Zeit dafür. Sie mussten die Haus- und Feldarbeit erledigen. Seine Arbeit und alle Erfahrungen, die in Lateinamerika seit den 1960ern im Bereich Kommunikation und Gesellschaft gemacht wurden, haben mich gelehrt, dass wir genau die fördern wollen, die nie eine Stimme hatten.
Das sind in Bolivien: Frauen, Kinder, Jugendliche und ältere Menschen - und vor allem diejenigen mit indigenen Wurzeln.
Genau so ist es. Schon nach dem ersten Kurs für Bürgerreporterinnen haben wir gemerkt, was für eine enorme Zustimmung wir bekommen. Erst waren es kleine Kurse, Workshops, dann längere Ausbildungsprozesse, aus denen sogar Führungskräfte hervorgegangen sind. Wie zum Beispiel auch "neue" Bartolinas, eine Vereinigung der indigenen Landfrauen. Sie geht zurück auf Bartolina Sisa (1753-1783), eine starke Persönlichkeit und Heldin der indigenen Frauen. Die Angst zu überwinden, sich in der Öffentlichkeit zu äußern - das hat sich als wichtigste Arbeit herausgestellt.
Die Frauen erarbeiten sich also ihr Selbstverständnis durch die Arbeit im Radio?
Es geht hier unter anderem um Frauen, die Spanisch weder sprechen noch schreiben können. Ihre Ausbildung erfolgte also mündlich und auf Aymara. Bei unserem ersten Kurs sind viele von ihnen bis zu fünf Stunden marschiert, nur um daran teilnehmen zu können. Ihr Selbstwertgefühl hat sich seitdem stark verbessert. Sie gingen wieder zur Schule, trauten sich zuhause mit ihren Männern zu reden, begannen ihr Familienleben zu reflektieren. Heute sind viele von ihnen Reporterinnen und Journalistinnen in anderen Medien. Sie machen Kommunikation.
Das Konzept von Radio Atipiri - ein Radio offen für alle - wurde am Anfang stark kritisiert.
Es hieß: Auf Radio Atipiri reden die jungen Leute schlecht, die Frauen können gar kein Spanisch. Wer die Kommunikation aus der elitären Sichtweise betrachtet, wird natürlich immer so denken. Ich aber habe gesagt: Lasst meinem Team etwas Zeit. Und jetzt kommen sogar Studierende aus Dänemark oder Mexiko um mit uns über unser Konzept zu reden. Über Kommunikation, die nicht nur im Radio stattfindet, sondern über Kommunikation, die Grundsätzliches im Leben verändern kann.
Zum Beispiel Gewalt gegen Frauen. Ein großes Problem für Bolivien, mit der höchsten Rate in ganz Lateinamerika. Welchen Ansatz hat Radio Atipiri, um hier etwas zu verändern?
Zunächst geht es um Information. Den meisten Frauen ist nicht bewusst, dass sie permanenter Gewalt ausgesetzt sind, es ist der Normalzustand geworden. Zweitens: Alle Gesetze und Präventions-Maßnahmen, die die Regierung ins Leben gerufen hat, reichen nicht aus. Gesetz 348 garantiert den Frauen ein Leben ohne Gewalt. Aber in El Alto gibt es kein Frauenhaus, das durch die Regierung finanziert ist, um nur ein Beispiel zu nennen. Wir machen jeden Tag Präventions-Kampagnen. Das Thema ist in jeder Sendung präsent, und wir produzieren dazu auch eine eigene Radio-Novela.
Über El Alto hört man oft: die gefährlichste Stadt Boliviens mit großen, sozialen Problemen. Aber die Menschen vor Ort lieben ihre Stadt!