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"Dem virtuellen Radsport fehlt das Flair"

25. April 2020

Lennard Kämna gilt beim Team Bora-Hansgrohe als Hoffnung für die Tour de France. Deren Start ist aktuell ungewiss. Im DW-Interview spricht der Radprofi über Zukunftssorgen und erste Erfahrungen mit virtuellen Rennen.

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Lennard Kämna Profiradsportler bei Bora-Hansgrohe
Bild: picture-alliance/dpa/M. Balk

DW: Das Digital Swiss 5 war Ihr erstes digitales Rennen. Ein Wettkampf im eigenen Wohnzimmer - wie war's?

Lennard Kämna: Es war ein spezielles Gefühl. Man guckt aus dem Fenster, sieht den Sonnenschein, fährt aber doch hier drinnen im Wohnzimmer und sieht seine Konkurrenten nur auf dem Bildschirm. Das war ganz ungewohnt und ich hoffe, dass wir bald wieder auf den normalen Rennmodus umsteigen können.

Rennen auf der Straße und Rennen auf der Rolle - was ist anders?

Das ganze Feeling ist irgendwie anders. Man fährt nicht wirklich in einem Peloton, man kämpft irgendwie mehr gegen sich selber, obwohl man auch ein paar virtuelle Figuren links und rechts neben sich hat. Es fehlt der Windschatten, es fehlt das ganze Taktische des Radsports. Virtuelle Rennen zu fahren bedeutet, einfach nur Vollgas fahren. Im normalen Rennen zählen noch andere Faktoren wie die Positionierung im Feld oder auch die Fähigkeit, mit Auge fahren zu können, also hier und da Kräfte zu schonen. Das geht im virtuellen Radsport bisher alles nicht.

Der digitale Ausreißversuch

Sie sind ein starker Zeitfahrer. Eigentlich müsste Ihnen dieser Modus doch entgegenkommen...

Ja, eigentlich müsste mir das liegen. Aber auf der Rolle zu fahren, ist doch irgendwie etwas anders. Man kann nicht die gleichen Werte abrufen wie draußen auf dem Straßenrad, gerade wenn man es nicht gewöhnt ist. Auf der Rolle wird einem sehr heiß, es fehlt der Fahrtwind. Es ist eine andere Belastung. Deswegen kann man die Maßstäbe nicht eins zu eins übertragen. Es gibt ein paar Fahrer, die können auf der Rolle gleiche oder sogar bessere Leistungswerte als auf der Straße fahren. Bei mir ist es eher umgekehrt, ich bin ein bisschen schlechter auf der Rolle. Von daher sind virtuelle Rennen nicht unbedingt auf mich zu geschnitten.

Zeitfahr-Weltmeister Rohan Dennis scheint die neue Disziplin zu lieben, er gewann die virtuelle Premiere überlegen.

Ja, das war beeindruckend. Ich hatte am Ende mehr als elf Minuten Rückstand auf ihn, das war schon ein wenig deprimierend. Im Gegensatz zu mir fühlt er sich offenbar pudelwohl auf der Rolle.

In Zeiten der Corona-Pandemie ist Radfahren mancherorts verboten. Erwartet den virtuellen Radsport jetzt ein Boom?

Ich denke, für den Hobby-Radsport hat das virtuelle Fahren eine große Zukunft. Wenn es nach der Arbeit draußen schon dunkel ist, kann man zuhause auf der Rolle fahren und virtuell sogar Rennen bestreiten. Gerade im Winter ist es eine Alternative. Aber ich glaube im Profi-Radsport ist nicht ideal geeignet. Aktuell ist es eine nette Abwechslung. Aber es fehlt das Flair eines richtigen Radrennens.

Aufgrund der Pandemie sind bis Anfang August alle großen Rennen abgesagt. Rennveranstalter geraten in finanzielle Schieflage, Fahrer-Gehälter werden gekürzt - ist der Profi-Radsport in Gefahr?

Wenn es im August wirklich wieder mit den Rennen losgehen würde, wäre das noch zu verkraften. Wenn danach aber auch alles ausfallen würde, wäre das ganz schön schade. Ein Jahr ohne Rennen können manche Teams noch überbrücken. Mein Rennstall ist gut aufgestellt, hat gute Sponsoren, die uns auch jetzt Rückendeckung geben. Aber sollte es 2021 immer noch nicht mit Wettkämpfen weitergehen, wird es sehr, sehr schwer für den Radsport.

Lennard Kämna Profiradsportler bei Bora-Hansgrohe
Zu Beginn des Jahres waren Radrennen an der frischen Luft noch möglich - Kämna bei der Algarve-RundfahrtBild: Imago Images/Panoramic International/N. Vereecken

Sind die digitalen Rennen ein Ausweg aus der Krise?

Nach meinen ersten Erfahrungen kann ich mir das nur schwer vorstellen. Man kann das alles mal ausprobieren, und in der Tat füllt der virtuelle Radsport gerade eine Lücke, die durch das Coronavirus entstanden ist. Aber ich glaube nicht, dass die virtuellen Rennen den ganzen Rennkalender ersetzen können.

1996 in Fischerhude bei Bremen geboren, begann Kämna früh mit dem Radsport. Als Zeitfahr-Weltmeister der Junioren haftete ihm früh der Ruf des Talents an. 2017 wurde er im Team Sunweb Profi und war mit damals 20 Jahren der jüngste Berufsradfahrer der Worldtour. Nach Platz zwei bei der WM in der U23 im Jahr 2017 warteten viele Beobachter auf den ganz großen Durchbruch. Doch es folgten Rückschläge, Krankheiten und eine längere Rennpause. Bei seiner Tour-de-France-Premiere 2019 ließ Kämna jedoch sein großes Talent aufblitzen und fuhr auf Bergetappen zwei Mal in die Top Ten.

Das Interview führte Joscha Weber.