1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Lahme Impfstoffverteilung hilft Omikron

Rose Patrice Birchard
28. November 2021

Impfgerechtigkeit ist wichtig, damit sich keine neuen Corona-Varianten ausbreiten, sagen die Verfechter einer besseren Impfstoffverteilung. Die EU-Länder machten vollmundige Versprechen, doch bei der Lieferung hapert es.

https://p.dw.com/p/43ZbX
Madagscar Covax COVID-19
Ankunft einer Impfstofflieferung auf MadagaskarBild: Alexander Joe/AP Photo/picture alliance

Die neue Coronavirus-Variante Omikron, die zunächst im Süden von Afrika auftauchte, verbreitet neue Angst in der Welt. Europa versteckt sich wieder einmal hinter Regeln, Flugverboten und Impfplänen. Aktivisten für eine gerechte Verteilung von COVID-19-Impfstoffen sehen in der Nachricht von der neuen, noch ansteckenderen Virusvariante ein Desaster mit Ankündigung.

Wir waren vorgewarnt

"Die Wissenschaft sagt es schon lange: Wenn große Bevölkerungsgruppen ungeimpft sind, wird das Virus mutieren", sagt David McNair, Geschäftsführer für globale Politik bei ONE, einer Organisation, die sich dem Kampf gegen extreme Armut widmet. "Es ist tragisch zu sehen, dass genau das nun passiert ist." Impfstoffe zu horten, keine globale Antwort zu finden und die Aufhebung von Patentrechten für Impfstoffe nicht zu unterstützen - all das habe zur jetzigen Situation beigetragen, so McNair. Die EU, die Länder Nordamerikas und weitere Staaten hätten die Macht gehabt, dies zu ändern. "Sie entschieden, dies nicht zu tun."

Die Apotheke der Welt

70 Prozent der Erwachsenen in der Europäischen Union sind vollständig gegen COVID-19 geimpft. In Afrika ist es nicht einmal die Mehrheit der im Gesundheitssektor arbeitenden Menschen.

Infografik Karte Covid-Impffortschritt in Afrika DE

Trotz dieses eklatanten Unterschieds betont EU-Kommissionssprecher Stefan De Keersmaecker, die EU stehe hinsichtlich der Solidarität mit dem Rest der Welt "an vorderster Front". Er weist auf das mit den USA gemeinsam getroffene Versprechen hin, dafür zu sorgen, dass 70 Prozent der Weltbevölkerung bis September 2022 geimpft sein werden. Zudem sei die EU einer der Hauptunterstützer der COVAX-Initiative, die sich für die Ausweitung der Impfstoffproduktion und die Lieferung von Impfstoffen in ärmere Länder einsetzt. Keersmaecker sagt: "Die EU ist der größte Exporteur von Impfstoffen, wir sind sozusagen die Apotheke der Welt."

Anspruch und Wirklichkeit

Wenn es aber um schnelle Lieferung des Impfstoffes geht, scheinen die großen Worte nichts wert zu sein. 300 Millionen Impfstoffdosen an ärmere Länder bis Ende 2021 zu liefern - das war das Versprechen der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Verteilt werden sollten sie über die COVAX-Initiative oder mithilfe von bilateralen Vereinbarungen. Obwohl dieses Jahr nur noch wenige Wochen hat, ist bis jetzt gerade einmal ein Drittel der Impfdosen in den betroffenen Ländern angekommen. Der DW vorliegenden Informationen zufolge waren es zum Stichtag 26. November nur 95 Millionen Impfdosen.

Wie konnte das passieren?

Unstimmigkeiten mit den Pharmaunternehmen

Die Mitgliedsstaaten schieben die Schuld für die zögerlichen Lieferungen offenbar den Pharmaunternehmen zu. "Die meisten Firmen wollen die Logistik nicht selbst übernehmen", erklärt ein EU-Diplomat, der nicht namentlich genannt werden will, der DW. "Sie denken, die Verantwortung für die Lieferung der Impfspenden liegt bei den Ländern, die die Impfdosen gekauft haben." Das Problem dabei sei, dass es sich um Impfstoffe mit komplizierten Kühlketten und Lagerbedingungen handele.

Infografik Impfversprechen EU DE

In einem geleakten Brief an die EU-Kommission, den die DW einsehen konnte, nimmt der deutsche Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Thomas Steffen, genau darauf Bezug. "Wir sind konfrontiert mit andauernden bürokratischen, logistischen und legalen Problemen", heißt es in dem Brief vom 18. Oktober. "Die Hersteller scheinen die vertragliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten auszunutzen, deren vorherige schriftliche Zustimmung einzuholen, um den Transfer von Impfstoffen zu behindern, den sie als potenziell nachteilig für ihre kommerziellen Interessen erachten."

Kommissionssprecher De Keersmaecker bestätigte zwar nicht den Eingang des Briefes, räumte aber ein, dass es Diskussionen mit den Pharmaunternehmen gebe. "Wir beobachten die Situation der Lieferungen im Hinblick auf die Verträge weiter." Dies sei ein normaler Vorgang.

Die Sicht der Pharmaunternehmen

Die Impfstoffhersteller jedoch weisen jeglichen Vorwurf, die Lieferungen zu verzögern, zurück. Das Unternehmen Pfizer schreibt in einem Statement an die DW: "Schon seit Beginn unserer Impfstoff-Entwicklung haben sich Pfizer und BioNTech dem fairen und gerechten Zugang zum COVID-19-Impfstoff verpflichtet." Man unterstütze die EU bei der Lieferung in andere Länder.

Johnson & Johnson schrieb der DW auf Anfrage: "Wir sind überzeugt, dass ein ungleicher Zugang zum Impfstoff die Pandemie nur verlängern wird". Daher dränge man die Regierungen, die den Impfstoff besitzen, "die Verteilung unverzüglich zu beschleunigen". Die Firma werde "sichere Lieferketten und logistische Unterstützung bereitstellen, damit die gespendeten Impfstoffe so schnell wie möglich in die betroffenen Länder kommen".

AstraZeneca erklärt auf seiner Internetseite, dass der Großteil der von dem Unternehmen produzierten Impfstoffe in ärmere Länder gegangen sei. Auch Moderna verkündete einen neuen Deal mit der EU, wonach mehr Dosen in ärmere Länder geschickt werden sollen.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer

Auch wenn die EU ihr Lieferziel bis Ende 2021 wahrscheinlich nicht erreichen wird, so haben die Bemühungen seit Sommer offenbar doch an Schwung gewonnen. Aurelia Nguyen, geschäftsführende Direktorin bei COVAX, sagte der DW, auch wenn die extreme Ungleichheit bei der Impfstoffverteilung immer noch bestehe, sehe sie eine neue Zeit, "in der Impfstoffe für diejenigen Länder schneller bereitstehen, die zuletzt am Ende der Lieferkette standen. Das aber bringe auch neue Herausforderungen mit sich.

Länder mit schwacher Gesundheitsinfrastruktur müssen Spenden abweisen, vor allem wenn die Impfstoffe kurz vor dem Ablaufdatum stehen oder wenn sie besondere Lager- und Verteilungsbedingungen erfüllen müssen. Man bemühe sich die "Aufnahmekapazitäten" der Länder zu verbessern, erklärte Nguyen. Sie sieht aber neue Probleme durch Flugverbote wegen der neuen Virusvariante aufziehen, da viele Impfstofflieferungen nach Afrika mit kommerziellen Fluggesellschaften abgewickelt würden.

Eine Südafrikanerin wird geimpft
Neue Flugverbote - wie kommen sie jetzt an den Impfstoff?Bild: Themba Hadebe/AP Photo/picture alliance

Welche Rolle spielt das Boostern?

Nach dem Auftauchen der Omikron-Variante rief EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Bürger auf, "jede Gelegenheit zur Impfung zu nutzen". Und sie wies auf den erhöhten Schutz durch die Booster-Impfung hin.

Dimitri Eynikel, EU-Berater bei Ärzte ohne Grenzen, sieht das massenhafte Boostern aus epidemiologischer Sicht und im Hinblick auf die Gerechtigkeit durchaus problematisch. Schon bevor die neue Variante Europa erreichte, sei die Spendenbereitschaft zurückgegangen. Länder, deren Auffrischungskampagnen gerade starteten, würden ihre Spenden verschieben. "Das ist für uns ein falsches Vorgehen. Es sollten nicht nur die gleichen Menschen mehr und mehr Impfstoff bekommen", so Eynikel.

David McNair von ONE ist sich sicher, eine globale Antwort auf die Pandemie sei so wichtig wie noch nie. Das Risiko sei, "dass die Länder wie bisher erklären, 'wir machen alle Schotten dicht, schließen die Grenzen und impfen unsere eigenen Bürger'. Damit lösen wir das Problem nicht." Insbesondere die EU-Mitgliedstaaten müssten ihre überschüssigen Impfstoffe teilen. "Wenn wir das nicht tun, werden wir in die gleiche Situation wie vor einigen Monaten kommen."

Dieser Artikel wurde von Sabine Faber aus dem Englischen adaptiert.