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Südafrika: "Was wird meine Familie essen?"

Adrian Kriesch
27. November 2021

Die in Südafrika entdeckte COVID-Variante Omikron besorgt die ganze Welt. Mehrere Länder verhängten Reise-Restriktionen. Doch in Südafrika ist die Angst vor den Maßnahmen größer als die Angst vor der Mutante.

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Südafrika Coronavirus l Markt in Kapstadt
Bild: Adrian Kriesch/DW

Der Greenmarket Square im Zentrum von Kapstadt ist seit Beginn der Pandemie ein Indikator dafür, wie schlimm die Lage im Tourismussektor gerade ist. Vor COVID war er voller Souvenirstände und Touristen. Dann gab es lange nur noch vereinzelte Stände - mittlerweile ist er wieder gut gefüllt. Trommeln, Holzschnitzereien, bunte Bilder. Doch die Laune bei den Händlern aus ganz Afrika ist im Keller. "Letzte Woche waren die Deutschen noch hier", sagt eine Kongolesin, die Taschen, Ketten und T-Shirts verkauft. "Jetzt fliegen sie nach Hause, weil sie Angst haben hier festzusitzen. Die Wirtschaft ist am Boden. Ohne Kunden kein Geschäft."

"Was werden meine Kinder essen?"

Die Nachricht von der neuen Omikron-Variante hat sich schnell verbreitet. Doch die COVID-Variante selbst macht hier kaum jemanden Angst - wohl aber die Konsequenzen. "Ich lebe von diesem Geschäft - ohne das kann ich meine Familie nicht ernähren", sagt ein Mützen-Verkäufer aus Malawi. "Ich mache mir Sorgen - was werden meine Kinder und meine Familie essen?"

Südafrika Coronavirus l Markt in Kapstadt
"Ich weiß nicht, wie es weitergeht“, sagt dieser Händler aus MalawiBild: Adrian Kriesch/DW

In kürzester Zeit haben etliche Länder darauf reagiert, dass südafrikanische Wissenschaftler eine neue Variante entdeckt haben. Die EU, die USA, Israel, Singapur, Mauritius und weitere Länder erließen innerhalb von einem Tag Reiserestriktionen für das südliche Afrika, nachdem weniger als 100 Menschen mit der neuen Variante positiv getestet wurden.

Die Omikron-Variante hat mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein - doppelt so viele wie die Delta-Variante. "Momentan haben wir weder Beweise von Patienten noch von Laborstudien, was diese Mutationen bewirken", sagt Wolfgang Preiser, Virologe an der Universität Stellenbosch. "Aber weil wir einige Mutationen von anderen Varianten kennen, können wir etwas prognostizieren: Es gibt die Sorge, dass dieses Virus dem Immunsystem ausweichen kann. Das bedeutet: Es könnte Menschen infizieren, die vorher schon infiziert waren. Möglicherweise auch Geimpfte. Und es sieht hoch übertragbar aus."

Fälle in Botswana, Hongkong, Israel und Belgien

In den nächsten Tagen und Wochen werden weitere Tests durchgeführt, um einen klareren Überblick zu bekommen. Mittlerweile konnten Fälle der Variante auch in Botswana, Hongkong, Israel und Belgien nachgewiesen werden.

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Impfaufruf an einer Kirche am Greenmarket Square. Bisher sind weniger als 25 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung geimpftBild: Adrian Kriesch/DW

Das Leben in Südafrika hat sich in den letzten Wochen fast wieder normalisiert. Bei geringen Infektionszahlen strömen seit langer Zeit wieder etliche Touristen ins Land. Doch in den letzten Tagen stiegen die Infektionszahlen an - von rund 100 am Tag Anfang November auf zuletzt mehr als 2500 Neuinfektionen. Es ist der Beginn der vierten Welle in Südafrika. Präsident Cyril Ramaphosa hat für Sonntag ein Treffen des nationalen Coronavirus-Rats einberufen.

Ob der Anstieg an der neuen Variante liegt, ist - wie so vieles - noch unklar. Preiser hält es für wahrscheinlich. Vor allem in der Region Gauteng um die Städte Johannesburg und Pretoria steigen die Fallzahlen, warnt Südafrikas Gesundheitsminister. "Wenn die Menschen in den nächsten Wochen mehr reisen werden, wird es überall sein", sagt Joseph Phaahla. Und ist kurz darauf überrascht über die Maßnahmen aus dem Ausland. Sie seien ungerechtfertigt - und gegen die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation.

Diskriminierung, Isolierung, Naivität

Südafrikas Außenministerin kritisierte die Entscheidung als "überstürzt". Und auch aus der Wissenschaft hagelt es Kritik. "Die Welt sollte Südafrika und Afrika unterstützen, statt es zu diskriminieren und zu isolieren", schreibt Tulio de Oliveira, Direktor des Centre for Epidemic Response and Innovation, auf Twitter. Der Impfstoffforscher Shabir Madhi sagt, es sei naiv zu glauben, dass Reisebeschränkungen für einige wenige Länder die Ausbreitung einer Variante verhindern können. "Die letzten zwei Jahre haben uns gelehrt: Dieses Virus kann sich auf dem ganzen Erdball ausbreiten - trotz Restriktionen."

In Südafrika werden deshalb Erinnerungen an die Beta-Variante wach. Vor einem Jahr wurde sie von südafrikanischen Wissenschaftlern entdeckt. Schon damals gab es massive Einreisebeschränkungen für Südafrikaner, der Tourismus kollabierte, die Währung verlor in kürzester Zeit massiv an Wert. Dasselbe passiert jetzt erneut.

Südafrika Coronavirus l Markt in Kapstadt
"Ohne Kunden kein Geschäft", sagt eine Händlerin aus dem KongoBild: Adrian Kriesch/DW

Der südafrikanische Staat hat sich während der Pandemie weiter hoch verschuldet. Die Schuldenlast ist mittlerweile fast so hoch wie das jährliche Bruttoinlandsprodukt. Große Finanzspritzen für die strauchelnde Wirtschaft sind also nicht zu erwarten. 

Schon gar nicht für die meisten Händler auf dem Greenmarket Square. Nur wenige hier haben als Migranten Anspruch auf staatliche Fördergelder. "Ich habe in den letzten zwei Jahren schon so gelitten", sagt der Mützen-Verkäufer aus Malawi. "Und jetzt weiß ich nicht, wie es weitergeht."