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Politik

Wo die Roten Khmer verklärt werden

Julian Küng aus Pailin und Bangkok
30. Oktober 2019

Ein Grund dafür, dass Kambodschas Langzeitpremier Hun Sen fest im Sattel sitzt, ist sein Hinwegsehen über die Verbrechen der Roten Khmer. Denn es gibt nicht wenige, die jene Schreckenszeit verklären.

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Kambodscha Pailin Straßenszene
Kleinstadt Pailin: Refugium für Veteranen des Terror-RegimesBild: DW/J. Küng

Schon während der Taxifahrt von Battambang in die Provinz Pailin kommt das Gesprächsthema unweigerlich auf die Roten Khmer. "Ich war ehemaliger Soldat unter Pol Pot”, verkündet der Fahrer stolz. Angekommen in der gleichnamigen Kleinstadt nahe der Grenze zu Thailand, biegt er in eine Seitenstraße und zeigt auf ein stattliches leicht verwittertes Anwesen. "Hier hat Ieng Sary, unser Innenminister, mit seiner Frau und seiner Tochter gelebt".

Ieng Sary war so etwas wie der Herzschrittmacher des letzten Stützpunkts der Roten Khmer. Er versorgte die Tausenden Guerillas in den Hügeln von Pailin mit Geld und Waffen aus China, um ihre letzte Hochburg bis in die späten 1990er Jahre zu verteidigen. Auch heute ist Pailin ein sicheres Refugium für Veteranen des einstigen Terror-Regimes.

"100 Prozent der Einwohner glauben hier noch immer an die Ideologie der Roten Khmer", behauptet Lem Ieang, der auf einer Terrasse im Stadtzentrum Tee trinkt. 1974 als Kindersoldat rekrutiert, diente er lange an der Seite des Chefideologen Nuon Chea. "Uns wurde beigebracht, die Nation zu lieben und gegen Korruption und Kolonialherrschaft zu kämpfen. Ich glaube immer noch an diese Ideen", sagt der 60jährige Ex-Militär.

Verherrlicht und verharmlost

Kambodscha Pailin Lem Ieang
Ex-Kindersoldat Lem Ieang: "Ich glaube immer noch an diese Ideen"Bild: DW/J. Küng

Fast 45 Jahre ist es her, seit die fanatische Revolutionsbewegung um Ieng Sary, Pol Pot und Nuon Chea die Macht ergriff, um Kambodscha in ein agrar-kommunistisches Paradies zu verwandeln. Vorangegangen war die Eroberung Phnom Penhs im April 1975 durch die Roten Khmer, die einen Bürgerkrieg gegen den pro-amerikanischen Putsch-General Lon Nol angeführt hatten.

Märkte wurden geschlossen, Telekommunikation gekappt, Geld verboten und ein großer Teil der Bevölkerung gefoltert und hingerichtet oder ausgehungert. Darunter Lehrer, Journalisten, Intellektuelle und jeder, der als ausländischer Spitzel verdächtigt wurde. Das Pol-Pot-Regime riss in weniger als vier Jahren rund zwei Millionen Kambodschaner in den Tod. "Diese Schätzungen sind doch maßlos übertrieben, und dass die meisten in den Wirren des Krieges durch vietnamesische Kugeln starben, wird verschwiegen", verteidigt Lem Ieang die Gräueltaten der Roten Khmer. "Außerdem gehört das Töten von Abweichlern nun mal zu einem kommunistischen System dazu. Wer sich weigert, seinen Teil zu leisten, muss sterben", fügt er ruhig an und schlürft an seiner Tasse Grüntee.

In Veail Vaeng, etwas außerhalb von Pailin, betreibt das Dokumentationszentrum Kambodscha, eine Nichtregierungsorganisation, ein "Field Office", wo die Verbrechen der Khmer Rouge erforscht werden. "Viele der Roten Khmer in Pailin lebten und arbeiteten in den Amtsstuben der Führungsriege um Pol Pot, Nuon Chea und Ieng Sary. Sie hatten immer genug zu Essen und mussten auch nie harte Arbeit auf dem Land verrichten. Deshalb sympathisieren sie noch immer mit der Khmer Rouge", erklärt sich Büroleiter Dany Long die Schönfärberei.

"Tochter der Roten Khmer" leitet Tourismus-Büro

Zumindest äußerlich hat sich Pailin verändert. Die Speisekarten der Restaurants sind international. Markthändler aus benachbarten Regionen bieten Mobiltelefone feil, auch einige Bankfilialen haben sich niedergelassen. Die staatliche Tourismusförderung bewirbt die Region mit "friedlichen Waldgebieten" und "schönen Wasserfällen". Mit keinem Wort wird die Rote-Khmer-Historie des Ortes erwähnt.

Das findet die Staatsbedienstete Yan Yann eigentlich schade, die im Tourismusbüro Pailin ausländische Gäste empfängt. "Ich würde mir wünschen, dass es hier ein Museum gibt, dass die guten Taten der Roten Khmer beleuchtet. Der Traum der Roten Khmer lebt in unseren Herzen weiter", sagt die 31-Jährige ganz ernsthaft.

Kambodscha Pailin Yan Yann
Gästebetreuerin Yan Yann: Glaubt an "gute Taten" der Roten Khmer Bild: DW/J. Küng

Von ihren Nachbarn wird sie respektvoll "Tochter der Roten Khmer" genannt. Denn ihr Vater ist ein bekannter Veteran. Auch er war bis zu seinem Ruhestand in der örtlichen Regierung tätig, wie die meisten seiner Genossen. Lange hatten die Roten Khmer das Sagen in Pailin, auch nach dem Ende ihrer Schreckensherrschaft.

Nachdem König Sihanouk (gest. 2012 im Pekinger Exil) Ende der 1990er Jahre den Guerillas um Ieng Sary Straffreiheit zusicherte, tauschten sie ihre rotweiß-karierten Krama-Schals gegen Militäruniformen der königlichen Armee ein. Die Macht gaben sie aber nicht aus der Hand. Zuerst übernahm Pol Pots Leibwächter Y Chhien die Führung der Grenzregion. Nach Korruptionsvorwürfen gab er den Gouverneursposten an den ehemaligen Dschungelkämpfer Koeut Sothea weiter, der bis 2018 amtierte.

Oppositionspolitikerin mit Khmer-Rouge-Vergangenheit

Der jetzige Gouverneur Phan Chanthol hat anders als seine Vorgänger keinerlei Vergangenheit bei den Roten Khmer. Er ist ein strammer Parteisoldat von Hun Sens Kambodschanischer Volkspartei aus dem Süden des Landes. "Für mich macht der Führungswechsel eigentlich keinen großen Unterschied. Der Regierungsapparat von Hun Sen unterdrückt Andersdenkende fast genauso wie damals die Roten Khmer", sagt die oppositionelle Lokalpolitikerin Ven Dara von der verbotenen "Nationalen Rettungspartei".

Kambodscha Pailin Ven Dara Lokalpolitikerin
Oppositionspolitikerin Ven Dara kritisiert selektive Anklageerhebung gegen Ex-Rote Khmer Bild: DW/J. Küng

Sie hat selbst mehrmals für das Gouverneursamt in Pailin kandidiert. Als Nichte des berüchtigten Rote-Khmer-Militärchefs Ta Mok, Beiname "der Schlächter", mangelt es ihr an roten Wurzeln zwar nicht. Ihre Forderung, dass neben ihrem Onkel, der 2006 während der Haft starb, noch weitere Funktionäre angeklagt werden sollen, hat sie beim Pailiner Stimmvolk aber unwählbar gemacht.

"Auch Ministerpräsident Hun Sen und Parlamentspräsident Heng Samrin gehören auf die Anklagebank", sagt die 60-Jährige in ihrem Exil in Thailand. Für sie war nicht alles schlecht unter Pol Pot und dessen Getreuen: "Genau so wie zu Zeiten der Roten Khmer lässt Hun Sen keine demokratischen Verhältnisse zu. Aber die Roten Khmer haben zumindest für soziale Gerechtigkeit gesorgt und die Korruption bekämpft."

Karte Kambodscha DE

Im Gespräch wird deutlich: Ihre Verachtung für Hun Sen beruht nicht nur auf dessen Unterdrückung der Demokratie in Kambodscha: Sondern auch auf der Tatsache, dass er zu jenen (ehemaligen) Roten Khmer gehört, die sich auf die Gewinnerseite schlagen konnten.

"Macht euch keine Sorgen"

Hun Sen war selber Kommandant der Roten Khmer, bevor er sich 1977 rechtzeitig mit Hanoi verbrüderte, um nach der vietnamesischen Invasion 1979 das Land mit harter Hand zu regieren. Politische Opposition wird unterdrückt, regierungskritische Medien stummgeschaltet und das unliebsame Sondertribunal, dass die Verbrechen der Khmer Rouge juristisch aufarbeiten sollte, wurde gedrosselt und richterlich beeinflusst. 13 Jahre brauchte der von den Vereinten Nationen gestützte Strafgerichtshof, um ganze drei Führungsmitglieder der Roten Khmer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie wegen Völkermord an vietnamesischen bzw. muslimischen Minderheiten zu verurteilen.

Nach den Urteilen gegen Khieu Samphan und Nuon Chea im November 2018 machte die Regierung Hun Sen klar, dass damit ein Schlussstrich unter die juristische Aufarbeitung der Roten-Khmer-Verbrechen gezogen wurde; weitere Prozesse werde es nicht geben. Dies bekräftigte Vizepremier Sar Kheng auch bei einem Besuch in einer ländlichen Provinz im Norden: "Weil hier auch einige Veteranen der Roten Khmer leben, wird es keine weiteren Untersuchungen geben. Macht euch keine Sorgen."