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Ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang eröffnet Museum

David Crossland / lk13. September 2016

Voller Hakenkreuze und NS-Symbole ist sie eines der größten erhaltenen Bauwerke aus der Zeit des Nationalsozialismus. Hier sollten junge Männer zur Nazi-Führungselite geschult werden. Wie, zeigt eine neue Ausstellung.

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Deutschland Burg Vogelsang in der Eifel. Foto: Oliver Berg dpa/lnw
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Der Ausblick ist fantastisch: Burg Vogelsang liegt umgeben von bewaldeten Hügeln hoch über der Urfttalsperre auf dem Berg Erpenscheid in der Eifel. 60 Jahre lang war der Ort Tabu und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Von 1946 bis 2006 diente sie zunächst einige Jahre als britische, danach Jahrzehnte als belgische Kaserne und Truppenübungsplatzes. Nach der Schließung des Standorts sollte die gigantische Anlage zivil genutzt werden. Doch die Behörden wussten nicht, was sie mit dem Ort voller Nazi-Symbole und -Statuen anfangen sollten. In einem sogenannten "Kultraum" etwa befindet sich auf dem Boden ein Hakenkreuz. Außerdem gibt es einen fünf Meter hohen germanischen Fackelträger, ein Wandbild von muskelbepackten arischen Athleten im Schwimmbad, und die zwei Eingangstürme zieren Reliefs von teutonischen Rittern.

Historiker sind sich einig, dass Orte wie dieser gerade in der heutigen Zeit von besonderer Bedeutung sind. Denn die Generation, die den Krieg und seine Folgen miterlebt hat, stirbt langsam aus, und der Rechtspopulismus erhält neuen Auftrieb in den USA, in Europa, in Deutschland. "Die Besucher werden mit der Frage konfrontiert: 'Was habe ich damit zu tun?' Wenn man sich aber die politischen Entwicklungen heute ansieht, versteht man, wie wichtig ein solcher Ort ist", sagt Gabriele Harzheim, die als Wissenschaftsreferentin im Schloss Vogelsang arbeitet, der DW.

Einst NS-Schule für Partei-Elite

Die neue Ausstellung, die am Sonntag (11.09.2016) eröffnet wurde, ist Teil eines Langzeitprojekts mit einem Etat von 45 Millionen Euro, das die Gebäude vor dem Verfall bewahren soll. Auch ein Museum über die heimische Tierwelt soll hier eröffnet werden.

Vogelsang war eine von drei Schulen des NS-Regimes, die qualifiziertes Personal für die Verwaltung und Parteikarrieren ausbilden. Ein großes Teil des Lehrplans bestand aus körperlicher Bewegung, um dem sportliche Ideal nachzueifern, das die Skulpturen an und im Gebäude verkörperten.

Die meisten der 2000 Schüler, die hier ausgebildet wurden, kamen aus der unteren Mittelschicht. Vor Hitlers Machtergreifung hatten viele von ihnen weder Arbeit noch Lebensperpektive gehabt. Auch deshalb wurden sie mit dem Versprechen auf einen schnellen Aufstieg in der Partei in das vierjährige Ausbildungsprogramm geködert.

Eine akademische Vorbildung brauchten die Schüler, die zwischen 20 und 40 Jahre alt waren, im Schloss Vogelsang nicht. Verheiratete Bewerber wurden bevorzugt. Denn der Reichsleiter der NSDP und Gründer der Einrichtung, Robert Ley, war überzeugt: Wer mit 25 noch nicht verheiratet ist, ist zu unentschlossen, um eine Führungsposition zu übernehmen. Unverheiratete Männer wurden darum aufgefordert, zu heiraten. Und tatsächlich fand die ein oder andere prunkvolle Hochzeitsfeier in der trutzigen Burg statt.

Die Burg Vogelsang liegt in der Eifel bei der Urfttalsperre. Foto: David Crossland
Die Burg Vogelsang liegt in der Eifel bei der UrfttalsperreBild: DW/D. Crossland

"Vogelsang gab seinen Schülern das Gefühl, zur Elite zu gehören“, sagt Frank Engehausen von der Universität Heidelberg. Der Historiker war an der Konzeption der neuen Ausstellung beteiligt. "Sie hatten spezielle Uniformen, wurden hofiert, und wenn sie innerhalb Deutschlands verreisten, wurden sie als zukünftige Spitzenpolitiker präsentiert."

Wie die NS-Ideologie zum Genozid führte

In Vorträgen wurde den jungen Männern eingetrichtert, dass die deutsche Rasse anderen überlegen sei, dass sie kein Mitleid haben und dem NS-Regime blinden Gehorsam entgegenbringen sollten.

Die Ausstellung präsentiert anschaulich, wie genau diese Haltung zu Krieg, Völkermord und Euthanasie geführt hat. Fotografien zeigen lächelnde Männern in ihren Uniformen bei der Arbeit und beim Sport. Außerdem können Besucher auf interaktiven Displays Zeugenaussagen von Holocaust-Opfern ansehen.

Auch die Architektur spielte eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der Ideologie: So waren die Gemeinschaftsräume im Schloss Vogelsang feudal und aufwändig dekoriert, wohingegen die Kasernen und Wohnheime spartanisch blieben. So sollte betont werden, dass die Gemeinschaft wichtiger als das Individuum sei. Der Nationalsozialismus wurde mit Fackelzeremonien in der Kultkammer wie eine Religion gelebt. An der Wand stand eine Statue des "neuen deutschen Mannes" mit den Namen der "Märtyrer", die beim gescheiterten Münchner Putsch durch Hitler im Jahr 1923 gestorben waren. Die Statue selbst gibt es nicht mehr, erhalten geblieben ist ein Hakenkreuz im Boden, das aber verdeckt gehalten wird.

Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, war es vorbei mit der Elite, und die meisten Schüler wurden zu gewöhnlichen Soldaten in der Armee. Bis zu 70 Prozent von ihnen kamen dabei um. Einige der Vogelsang-Schüler wurden in die besetzten Teile der Sowjetunion geschickt, um für das NS-Regime in der Verwaltung zu arbeiten. Sie waren beispielsweise bei der Auswahl der Juden beteiligt, die als Zwangsarbeiter eingeteilt wurden, und sollten außerdem jeglichen Widerstand unterdrücken.

Vogelsang wird als Informationsstätte erhalten

Als Vogelsang im Jahr 2006 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, forderten einige dazu auf, die ehemalige Wirkungsstätte der Nationalsozialisten zu zerstören. Auch wurde kritisiert, dass so viel Geld in den Erhalt des monumentalen Gebäudes gesteckt wurde.

"Wenn solche Orte geschlossen werden oder verfallen, dann verliert man ein Stück Erinnerung und Geschichte," sagt John Lennon, Direktor des Moffat Zentrum für Reisen und Tourismus Business Development in der Glasgow Caledonian University.

Albert Moritz, Geschäftsführer von "Forum Vogelsang IP", das die Entwicklung des Aufbaus beaufsichtigte, ergänzt, der Ort habe ein enormes Potenzial, um künftige Generationen zu informieren und historisch zu bilden. "Es ergänzt die KZ-Gedenkstätten, weil es hilft, zu erklären, wie der Nationalsozialismus zustande kam."

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hingegen ist der Meinung, dass der Staat der Pflege von Opferstätten wie den Konzentrationslagern Vorrang geben solle. Der Präsident des RZentralrates, Josef Schuster, sagte der DW, Deutschland habe eine Verpflichtung, Denkmäler für die Opfer in Deutschland und Polen zu bewahren, da "diese Einrichtungen Empathie mit den Opfern schaffen, etwas, das auch die kommenden Generationen entwickeln sollten". Er fügte hinzu: "Nur wenn das gewährleistet ist, ist es aus unserer Sicht gerechtfertigt, Millionen in die Standorte der Täter zu investieren."

Neues Interesse für NS-Orte

Nichtsdestotrotz gehört Vogelsang zu denjenigen ehemaligen Wirkungsstätten der Nationalsozialisten, in deren Erhalt in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel Geld investiert worden ist. Dies ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die wachsenden Besucherzahlen und deutet von dem neuen Interesse in Deutschland, NS-Orte für künftige Generationen zu erhalten.

Nach dem Krieg lag der Fokus darauf, Konzentrationslager im Gedenken an das Leid der Opfer zu bewahren. Viele Jahre waren ehemalige NS-Wirkungsorte entweder nicht zugänglich, weil sie als Militärbasis von alliierten oder deutschen Truppen benutzt wurden. Oder aber sie wurden gemieden, weil die deutsche Gesellschaft diesen Teil ihrer Vergangenheit lieber ruhen lassen wollte.

Als 1989 der Kalte Krieg endete und viele alliierte Truppen abgezogen wurden , waren viele solcher Orte plötzlich zugänglich. Hinzu kam eine wachsende Neugier von jungen Deutschen, warum ihre Eltern und Großeltern Hitler gefolgt waren. Gleichzeitig wurde es jedoch immer notwendiger zu verhindern, dass ehemalige NS-Orte zu Pilgerstätten für Neonazis wurden. Die regionalen Behörden standen und stehen diesbezüglich heute teilweise immer noch vor einem Dilemma.

NS-Ordensburg Vogelsang Ausstellungs- und Bildungszentrum. Foto: David Crossland
Körperliche Ertüchtigung war wichtig für die Nazis und Sport ein Hauptfach in VogelsangBild: DW/D. Crossland

"Kein Neonazi wird sich in Vogelsang wohl fühlen"

Seit mehr und mehr ehemalige Nazi-Stätten wieder geöffnet werden, sind sich Museumsdirektoren und Tourismusbeauftragte bewusst, dass sie damit auch "dunklen Tourismus" anziehen könnten: Neonazis etwa, die durch die makabre Pracht des NS-Regimes fasziniert sind.

"Wir alle sind vom Bösen, das ein Mensch einem anderem Menschen antun kann, fasziniert", sagt John Lennon vom Glasgower Moffat Zentrum für Reisen und Tourismus Business Development. "Aber die Orte sind gut beschildert, die Motivation der Besucher ist eine ganz andere Frage. Der deutsche Ansatz zur Dokumentation gehört zu den führenden Ansätze in der Welt."

Und der Historiker Frank Engehausen sagt, er sei "sehr zuversichtlich, dass sich kein Neonazi in der Ausstellung Vogelsang wohlfühlen würde". Doch es gibt Neonazis, die den Ort besuchen. In der Vergangenheit haben sie Banner mitgebracht und Fotos von sich vor der riesigen Statue des Fackelträgers gemacht.