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Politik

Wird die Briefwahl in den USA ein Desaster?

15. August 2020

Die Briefwahl ist eines der umstrittensten Themen vor der Präsidentenwahl in den USA im November. Auf dem Prüfstand steht auch die Post-Behörde. Die DW gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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USA: Briefwahlbox in Fairfield, Connecticut
Die Wahlzettel per Briefwahl selbst abgeben: Briefwahlbox in Fairfield, Connecticut Bild: DW/C. Bleiker

Warum spricht plötzlich jeder über die Briefwahl?

In den USA entscheiden die Bundesstaaten darüber, wie Wähler ihre Stimmen abgeben. Deshalb unterscheidet sich die Form von Bundesstaat zu Bundesstaat. So halten beispielsweise Colorado, Hawaii und Washington seit Jahren hauptsächlich Briefwahlen ab. Hier hat eine Mehrheit der Menschen Erfahrung mit dem Postversand ihrer Stimmzettel.

Aber in vielen anderen Staaten brauchte man bisher eine offizielle Entschuldigung, um Briefwahl zu beantragen. Wer das beispielsweise in Connecticut möchte, der musste nachweisen, dass er am Wahltag auf Reisen oder grundsätzlich unfähig für den Gang zur Urne ist. Doch COVID-19 hat alles auf den Kopf gestellt. 

In Staaten, in denen eine Bescheinigung nötig war, reicht nun eine pauschale Erklärung. "Wir werden per Briefwahl abstimmen", sagt der Juraprofessor William Dunlap, der aufgrund seines Alters zur Corona-Risikogruppe zählt. Er und seine Frau wollten "nicht in ein Wahllokal gehen, in dem so viele verschiedene Menschen die Wahlmaschinen berühren". Briefwahl fühle sich da sicherer an. Weil Connecticut seine Regeln schon geändert hat, wird der 76-Jährige die Wahllokale meiden können. Aber Senioren in Staaten wie Texas, New York oder South Carolina brauchen immer noch einen triftigen Grund, um ihre Stimme mit der Post zu verschicken. 

USA | Professor William Dunlap in seinem Haus in Connecticut
William Dunlap will nicht wählen, wo "so viele Menschen die Wahlmaschine berühren"Bild: DW/C. Bleiker

Wie funktioniert die Briefwahl?

Auch das unterscheidet sich von Staat zu Staat. Vor allem variiert das Verfahren, wie die Stimmzettel verschickt werden. In einigen Staaten erhält jeder registrierte Wähler automatisch einen Stimmzettel. In anderen Staaten erhalten registrierte Wähler einen Antrag, den sie zurücksenden müssen, wenn sie per Post abstimmen wollen.

Um es noch verwirrender zu machen: Es gibt mehrere Möglichkeiten, seinen Stimmzettel zu verschicken. Zum einen wäre da der übliche Briefkasten, in den auch andere Post kommt. Eine zusätzliche Option ist eine spezielle Briefwahlbox, die viele Städte im Vorfeld des Wahltages am 3. November aufstellen wollen. Das ist besonders praktisch für Menschen, die keinen Fuß in ein überfülltes Wahllokal setzen möchten, aber auch nicht darauf vertrauen, dass die Post ihren Wahlzettel korrekt befördert.

Warum sollten US-Amerikaner ihrer Post nicht vertrauen?

Es hat schon früher Probleme gegeben. So zum Beispiel bei den Zwischenwahlen zum Kongress 2018, als Tausende Briefwahlstimmen nicht mehr rechtzeitig zur Auszählung zugestellt wurden.

Der United States Postal Service (USPS) ist eine Behörde der Vereinigten Staaten. Mehr als eine halbe Million Menschen sind hier angestellt. Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen werden sie voraussichtlich deutlich mehr gefordert sein als im Jahr 2018, denn die Zahl der Briefwähler dürfte explodieren. 

Dazu kommt: Der Chef der Bundespost, Louis DeJoy, hat die Strukturen der Behörde verändert, um Kosten zu senken. So entfernte er die beiden obersten Führungskräfte, die das Tagesgeschäft überwachten. Zuvor hatte er Zustellern verboten, Überstunden und Extrafahrten zu machen, um die Post auszuliefern. DeJoy ist bekannt als Verbündeter von US-Präsident Donald Trump und viele Kritiker werfen ihm vor, die Behörde absichtlich zu schwächen.

USA | Julie Strauss Carey vor einem Wahllokal in Connecticut
"Es gibt Leute, die wollen, dass unsere Wahl chaotisch verläuft": Julie Strauss CareyBild: DW/C. Bleiker

"Wenn die Post mit der gleichen Effizienz arbeitet wie immer, dann sollten wir keine Probleme bekommen", sagte die Sozialarbeiterin Julie Strauss Carey aus Connecticut. "Aber es hat viele Veränderungen gegeben, und das ist besorgniserregend. Es gibt Leute, die wollen, dass unsere Wahl chaotisch verläuft."

Trump hat die Post jüngst als "einen Witz" bezeichnet. Im Wirtschaftssender Fox Business hat er diese Woche auch offen zugegeben, kein weiteren Mittel für die Post bereitstellen zu wollen, wie es die Demokraten als Teil des nächsten Corona-Konjunkturpakets fordern - sie wollten das Geld ja nur, um "Millionen und Abermillionen Stimmzettel" zu befördern. In Anspielung auf die schwierigen Verhandlungen über das Konjunkturpaket fügte der Präsident hinzu: "Wenn wir uns nicht einigen, bedeutet das, dass sie das Geld nicht bekommen. Das bedeutet, dass sie keine flächendeckende Briefwahl haben können." 

Die flächendeckende Briefwahl würde bedeuten, dass jeder registrierte US-Wähler einen Stimmzettel für die Präsidentschaftswahlen zugeschickt bekommt. Allerdings liegt so eine Option nicht einmal auf dem Tisch. Trump hat bereits mehrmals deutlich gemacht, dass er gegen jede Art von Briefwahl ist.

Wie wahrscheinlich ist Wahlbetrug?

Folgt man Donald Trump, dann ist Wahlbetrug ein großes Problem der Briefwahl. Über Twitter ließ er verlauten, dass es möglich sei, Stimmzettel zu stehlen oder gefälschte Zettel zu drucken.

Es gibt jedoch keine Beweise dafür, dass dies in der Vergangenheit in größerem Umfang geschehen ist. "Ich würde eine Abstimmung per Post nicht als betrugsanfällig bezeichnen", sagte Charles Stewart, Gründungsdirektor des Election Data and Science Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT). "Nur weil mehr Menschen per Post abstimmen, wird das die Wahl nicht unfairer, ungenauer oder betrügerischer machen."

Viele Experten glauben, dass Trump das Thema immer wieder aufgreift, um die Wahlergebnisse zu diskreditieren, bevor überhaupt Stimmen abgegeben wurden. "Er tut alles, damit seine Anhänger dem Ergebnis nicht vertrauen", sagt Sheri Berman, Professorin für Politikwissenschaft am Barnard College in New York City. "Sein ständiges Gerede über Betrug macht es wahrscheinlicher, dass die Leute glauben, dass etwas nicht richtig gelaufen ist, wenn die Ergebnisse im November nicht nach seinem Geschmack sind."

USA | Anforderungsbogen für einen Briefwahl-Stimmzettel für die Vorwahl in Connecticut
Briefwahl in Connecticut: Statt umständlicher Entschuldigungen ein einfacher AntragBild: DW/ I. Pohl

Welche logistischen Hürden gibt es?

Die Stimmzettel werden auf Spezialpapier gedruckt, um Betrug zu verhindern. Außerdem werden sie in speziellen Umschlägen verschickt. Die Bundesstaaten müssen mehr Mitarbeiter einstellen, um die Umschläge zu öffnen, die Stimmzettel zu zählen und die Unterschriften zu prüfen. In einigen Fällen sind dafür sogar spezielle Geräte nötig. An einigen Orten übernehmen Maschinen die Auszählung. Hier muss neues Personal geschult werden. All das erfordert zusätzliche finanzielle Mittel, denn die Gemeinden und Staaten sind wegen der Pandemie bereits knapp bei Kasse.

Wie lange dauert die Auszählung?

Wenn Biden oder Trump mit großem Vorsprung gewinnt, gibt es das Ergebnis wohl schon am 3. November - auch wenn noch nicht alle Stimmzettel ausgezählt sind. Je näher die Stimmen für Trump und Biden beieinander liegen, desto größer sind die Chancen, dass in der Wahlnacht noch kein Gewinner feststeht. Experten gehen bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen möglicherweise sogar von Wochen aus, bis die endgültigen Ergebnisse vorliegen.

Laut Charles Stewart vom MIT Election Data and Science Lab treffen die Resultate aus ländlichen Wahlbezirken in der Regel schneller ein. Das würde bedeuten, dass Trump als republikanischer Kandidat schon früh an der Spitze erscheinen könnte. Später, wenn die Stimmen aus größeren, städtischen Bezirken eingehen, könnte Biden möglicherweise deutlich aufholen. Bei einer solchen Entwicklung, so der Politikwissenschaftler, könnte Trump die Ergebnisse infrage stellen - vor allem, wenn sich dies über Tage oder sogar Wochen hinzieht.

So eine Situation beunruhigt den Juraprofessor William Dunlap. "Es bleibt abzuwarten, wie seine Anhänger dies aufnehmen würden", sagte Dunlap. "Es könnte zu Massenwiderstand und Gewalt auf den Straßen führen."

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker