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Politik

Wieso deutscher Müll eben doch im Meer landet

24. Januar 2019

Viel zu selten werden Abfälle wiederverwertet. Das sagen sogar Vertreter der Recycling-Branche. Plastikmüll wird massenhaft nach Asien exportiert, wo er - oft illegal - verklappt wird. Aktueller Hotspot ist Malaysia.

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Plastikmüll in Indonesien
Eine Müllsammlerin sucht auf einer Halde auf der indonesischen Insel Java nach importiertem PlastikabfallBild: Getty Images/U. Ifansasti

"Der Brotaufstrich für die ganze Familie" steht auf einem ausgeblichenen gelben Plastikdeckel. Gefunden haben ihn Mitglieder der Umweltorganisation Greenpeace auf einer riesigen Mülldeponie in Malaysia. Rund 10.000 Kilometer Luftlinie trennen den Plastikdeckel nun von der deutschen Mülltonne, in die er wohl einmal geworfen wurde. Vermutlich in gutem Glauben, dass er doch recycelt, also wiederverwertet werde.

Stattdessen: von Deutschland nach Malaysia. Hat das deutsche Recyclingsystem also versagt? "Es versagt insofern, als es nicht wirklich allen Plastikmüll, den es einsammelt, auch recycelt"", sagt Manfred Santen, Diplom-Chemiker und Experte für Plastikmüll bei Greenpeace. Die Deutschen sind zwar Weltmeister im Trennen. Aber nicht alles, was im Gelben Sack landet, wird auch wiederverwertet. Häufig wird es nur verbrannt." Statistiken zufolge, sagt Santen, würden davon höchstens 15 Prozent wiederverwertet.

"Utopische Recyclingquoten"

Offiziell liegt die Wiederverwertungsquote bei 36 Prozent. Doch Kritiker sprechen von einem "Schönrechnen". Laut dem neuen Verpackungsgesetz sollen bis zum Jahr 2022 in Deutschland sogar 63 Prozent aller Kunststoffabfälle wiederverwertet werden. Doch das hält Peter Kurth, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), für utopisch: "Mit jedem Zalando- oder Amazon-Paket landen billigste Materialien in deutschen Mülltonnen. Aber Firmen, die Kunststoffe herstellen, nehmen Rezyklate nur dann, wenn sie preislich und qualitativ mit Rohöl mithalten."

BdTD Malaysia Plastikmüll, illegale Recycling-Fabrik in Jenjarom
Landet hier auch Plastikmüll aus Deutschland? Eine illegale Recycling-Fabrik im malaysischen JenjaromBild: Reuters/L. Seng Sin

Kurth ist ein glühender Recyclingbefürworter. Wenn er von hochwertigen Plastikfolien spricht, die sich hervorragend wiederverwerten lassen, schwingt Begeisterung in seiner Stimme. Kurth streitet gar nicht ab, dass es Probleme in der Kreislaufwirtschaft gibt. Deren Kern sei aber nicht das deutsche Recyclingsystem an sich, sondern das verwendete Plastik, vor allem die Verwendung verschiedener Kunststoffe in einem Produkt: "Wenn eine einzige Verpackung aus 20 bis 30 verschiedenen Materialien besteht, dann ist Recycling teuer und die Endprodukte lassen sich kaum verkaufen."

Südostasien, Mülldeponie des Westens

Was nicht wirtschaftlich recycelt werden kann, werde zum großen Teil verbrannt, etwa in Anlagen der Chemie- oder der Zementindustrie, sagt Kurth, wo sie als Ersatzbrennstoff immerhin noch Öl und Gas ersetzten. Es gibt aber mehr Plastikabfall, als alle Zement- und Chemieanlagen in Deutschland benötigen. Was in Deutschland keine Abnehmer findet, sagt Kurth, das werde nach Asien verkauft.

Noch vor zwei Jahren wäre der gelbe Brotaufstrich-Deckel vermutlich in China gelandet. Dort hatte man jahrelang Müll aus westlichen Staaten importiert, um daraus Rohstoffe zu gewinnen. Doch im Dezember 2017 legte Peking eine strenge Verunreinigungsgrenze für Plastikabfall fest und importiert seitdem nur noch hochwertige Kunststoffabfälle. Das kam einem Importstopp gleich, auch für deutschen Plastikmüll.

Infografik Plastik Produktion nach Regionen DE

Wurden 2017 aus Deutschland noch mehr als 340.000 Tonnen Kunststoffabfälle nach China verschickt, waren es 2018 nach Schätzungen des BDE nur noch 16.000 Tonnen - ein Rückgang um 95 Prozent. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts schnellten Anfang 2018 die Exporte deutscher Plastikabfälle nach Indien, Malaysia und Indonesien dafür deutlich in die Höhe.

Lungenkrank durch Müllverbrennung

Laut Greenpeace landeten in Malaysia allein von Januar bis Juli 2018 rund 754.000 Tonnen weltweiter Plastikabfälle. Größter Mülllieferant sind demnach die USA mit mehr als 195.000 Tonnen; es folgen Japan und Großbritannien. An vierter Stelle: Deutschland mit gut 72.000 Tonnen.

Zwar würden legale Kunststoffimporte auch in Malaysia sortiert, vielfach aber landeten selbst hochwertige Kunststoffe auf Müllhalden, sagt Greenpeace-Chemiker Santen: "In diesen Ländern besteht eben keine wirkliche Müllwirtschaft." Die Deponien seien meistens ungesichert, bei Stürmen oder starken Regenfällen gelange Material unkontrolliert in die Umwelt, und damit oft auch ins Meer.

Laut Greenpeace wird zudem ein erheblicher Teil das Plastik in Malaysia von nicht zugelassenen Betrieben abgenommen, die die Abfälle in verlassenen Gebäuden und improvisierten Deponien lagern, zwischen Garnelen- und Fischfarmen vor sich hindümpeln lassen oder illegal im Freien verbrennen. Oft geschehe dies in der Nähe von Wohngebieten, deren Bewohner nicht nur über beißende Gerüche klagten, sondern immer häufiger unter Atemwegs- und Lungenerkrankungen litten.

Plastikmüll in Indonesien
Gefahr für Mensch und Umwelt: Dort, wo es keine Müllwirtschaft gibt, wird Plastik mitunter illegal im Freien verbranntBild: Getty Images/U. Ifansasti

Lokale Müllentsorgung - nötig oder unmöglich?

Die Umweltorganisation fordert deswegen von der deutschen Recyclingwirtschaft, die Kapazitäten so zu erhöhen, dass alles was hier anfällt, auch hier verarbeitet werden kann, erklärt Müllexperte Santen. Jenseits der Umwelt- und Gesundheitsgefahren, die die Kunststofftransporte in Asien verursachten, sei es außerdem ganz und gar nicht nachhaltig, den Plastikmüll um die halbe Welt zu verschiffen.

BDE-Geschäftsführer Kurth widerspricht. Zwar schmerze es ihn "fast physisch", deutsches Plastik auf asiatischen Deponien zu sehen. Ein Exportverbot sei dennoch nicht statthaft: "Wir verkaufen Schrott, Altpapier, Altglas und eben auch Plastikabfälle - wollen Sie das in jedem Land einer eigenen Recyclingindustrie zuführen? Die haben kleine Länder gar nicht." Bei Sekundärrohstoffen auf nationale Grenzen zu beharren, während Primärrohstoffe ganz selbstverständlich auf der ganzen Welt gekauft würden, sei ein grundlegend falsches Verständnis vom Recycling, empört sich Kurth.

Hersteller und Politik in der Pflicht

In einem anderen Punkt sind sich Greenpeace-Mann Santen und der BDE-Chef einig: Die gesamte Verpackungsindustrie mit ihren vielen Wegwerfprodukten müsse neu überdacht werden. "Firmen wie Nestlé oder Unilever überschwemmen Südostasien mit sogenannten Tagesrationen ihrer Produkte, in Tütchen zur Einmalbenutzung - wohl wissend, dass es dort keine vernünftige Müllentsorgung gibt", sagt Santen. "Die gelangen dann als Müll in die Umwelt." 

Infografik Verpackung Abfall Gesamt in der EU NEU! DE

Von der Politik erwarte Greenpeace, dass sie die Plastikproduktion eindämmt. Der Fünf-Punkte-Plan von Bundesumweltministerin Svenja Schulze für weniger Plastikmüll verfolge zwar eine "gute Absicht". Das Problem aber sei, dass dieser auf freiwillige Initiativen der Industrie setzt, sagt Santen: "Und ob das wirklich klappt, wagen wir zu bezweifeln."

BDE-Chef Kurth appelliert direkt an die Unternehmen: "Ich wünsche mir, dass die Kunststoffindustrie mit Materialien arbeitet, die recyclingfähig sind oder aus einem Recyclingprozess stammen - zumindest überwiegend." Auf anderes, wie den schwer recycelbaren schwarzen Kunststoff, solle ganz verzichtet werden. Besonders der Handel habe dabei eine Steuerfunktion, meint Kurth: "Wenn der Einzelhandel sagt, 'bestimmte Dinge nehme ich nicht mehr ins Sortiment', dann dauert es zwei Tage und die Lieferanten haben umgestellt."

"Es gibt einen Bewusstseinswandel"

Und wir Verbraucher? Klar, auch die seien gefragt, sagen Entsorgungsfachmann und Umweltschützer einhellig. Aber wenn das Angebot überwiegend aus Wegwerfmaterial bestehe, habe der Verbraucher wenig Chancen, findet Santen. Dennoch gebe es derzeit einen Bewusstseinswandel. "Immer mehr Menschen sehen, welche Ausmaße dieser Plastikverbrauch hat, wie sehr die Umwelt vermüllt und wie sehr die Meere verdreckt werden", sagt Santen. "Ich denke, dadurch ändern sich die Verhaltensweisen der Verbraucher. Und ich hoffe, dass wir dadurch perspektivisch des Plastikmülls doch noch Herr werden."

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen