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Wie marode sind Afrikas Bahnstrecken?

Clarissa Herrmann | Henri Fotso
16. September 2019

In der Demokratischen Republik Kongo ist ein Güterzug entgleist - viele blinde Passagiere kamen ums Leben. Der Unfall ist leider kein Einzelfall. Die Ursachen für den Sanierungsstau auf der Schiene sind vielfältig.

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Kenia Schienenverkehr
Dieser Junge hat sich getraut, mit dem "Lunatic Train" durch Kenia zu reisen (Archiv)Bild: picture-alliance/Godong/P. Lissac

In der Demokratischen Republik Kongo ist es nicht einfach, von einer Stadt in die andere zu kommen - als blinder Passagier mit einem Güterzug mitzufahren, ist für viele Menschen Alltag. Ein jähes Ende hatte solch eine Reise am frühen Donnerstagmorgen, als in der Provinz Tanganyika ein Güterzug entgleiste.

Zahlreiche Menschen sind bei dem Zugunglück ums Leben gekommen. Über die Zahl der Toten unter den blinden Passagieren kursieren verschiedene Angaben: Zunächst ist von 50 Opfern die Rede, einige Medien berichten gar von bis zu 100 Toten. Aber der kongolesische Minister für humanitäre Angelegenheiten, Steve Mbikayi, berichtigt einige Stunden später im DW-Gespräch: "Uns wird von zehn Toten und 30 Verwundeten berichtet." Zur Konfusion sei es gekommen, "weil einige der Verwundeten mit den Toten verwechselt worden waren". Provinzgouverneur Zoé Kabila zieht am heutigen Freitag auf Twitter die "definitive Bilanz" mit 14 Toten und 18 teils schwer Verletzten.

Marodes Schienennetz, mangelnde Infrastruktur

Zur Unglücksursache sagt Mbikayi: "Es kam wegen Überlastung zu dieser Entgleisung." Der Minister vermutet: "Die blinden Passagiere waren sicherlich illegale Einwanderer, die sich auf diese Art und Weise fortbewegen." Die DR Kongo verfügt nur über wenige Transportsysteme, das Schienennetz und Züge sind völlig veraltet. Helmut Asche, Professor für Afrikastudien an der Universität Mainz, sagt im Gespräch mit der DW: "Im Grunde ist es ein Wunder, dass es im Kongo überhaupt immer noch funktionierende Teilstrecken gibt." Da es oftmals keine andere Fahrgelegenheit gibt, würden auch Güterzüge ganz selbstverständlich für den Personenverkehr mitgenutzt.

Äthiopischer Güterzug in Ost-Addis Abeba verunglückt
Nach diesem Güterzug-Unglück im April 2019 in Äthiopien wurden nur Sachschäden gemeldetBild: DW/Mekonne

Auch der kongolesische Journalist Marcel Ngoy sagt, dass dieser Unfall auf den maroden Zustand der Eisenbahn und der Waggons zurückzuführen ist. Er fordert die neue kongolesische Regierung zum Handeln auf. Ministerpräsident Sylvestre Ilunga Ilunkamba war selbst Chef der SNCC (Société Nationale des Chemins de fer du Congo), der kongolesischen Eisenbahngesellschaft. "Ilunkamba kennt also den Stand der Technik, den Zustand der Lokomotiven und sogar die gesamte Ausrüstung, die es gibt", sagt Ngoy. Die sehr alten Eisenbahnstrecken müssten dringend repariert werden, sagt der Journalist und warnt vor einer weiteren Verschlechterung ab Oktober: "Ich glaube, dass wir mit dem Beginn der Regenzeit sehr vorsichtig sein müssen, sonst werden diese Eisenbahnkatastrophen weiter zunehmen."

Die meisten Strecken stammen aus der Kolonialzeit

Erst im März waren in der Provinz Kasai 34 Menschen ums Leben gekommen, als ein Güterzug mit blinden Passagieren auf einer Brücke über dem Fluss Luembe entgleist war. Es handelte sich um einen 52 Jahre alten Zug, der keine Passagiere hätte befördern dürfen. Aber auch anderen Länder in Subsahara-Afrika kennen das Problem: In Kamerun beispielsweise erinnern sich viele an das Eisenbahnunglück von Éséka, das im Oktober 2016 fast 80 Todesopfer forderte.

Der Afrika-Experte Helmut Asche erklärt dies damit, dass die Eisenbahnen auf dem Kontinent schon immer das Stiefkind unter den Verkehrssystemen gewesen seien. Die meisten Strecken stammen noch aus der Kolonialzeit. "Sie waren auch nicht besonders nützlich, weil sie meistens nur darauf ausgerichtet waren, Rohstoffe aus dem Landesinnern der alten Kolonien zum Hafen zu bringen", sagt Asche. Und nach der Unabhängigkeit habe man sie oft verfallen lassen. Noch mehr kritisiert er allerdings die westlichen Gebernationen, die weder in neue Eisenbahnsysteme noch in die Unterhaltung der alten investiert hätten: "Sie haben nie investieren wollen, weil sie den afrikanischen Regierungen im Grunde nicht zugetraut haben, irgendwelche öffentlichen Verkehrssysteme ordentlich zu betreiben und von der Ideologie getrieben waren: Wenn überhaupt, dann müsse das der Privatsektor können."

Great Uhuru Railway Tansam -Bahn 60er Jahre
In den 1960ern reisten vor allem Weiße in der Luxusklasse der "Tansam"-Bahn durch Tansania und SambiaBild: picture-alliance/Zumapress/Keystone Pictures USA

Schiene versus Straße

Neben den westlichen Ländern ist China ein großer Investor auf dem Kontinent. Schon Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre finanzierte die Volksrepublik die Tansam-Bahn, die von Daressalam in Tansania nach Kapiri Mposhi und weiter in die sambische Hauptstadt Lusaka führt. Die westlichen Geberländer hingegen hätten den Straßenbau forciert, sagt Asche - und somit auch den Ausbau weiterer geplanter Bahnnetze verhindert. Als Beispiel nennt er ein Vorhaben der 1980er Jahre aus Burkina Faso: Der damalige Präsident Thomas Sankara wollte die schon existierende Bahn von Abidjan (Elfenbeinküste) nach Ouagadougou verlängern: "Nämlich bis ins Nachbarland Niger. Da ist sie bis heute nicht angekommen - im Grunde wegen des massiven Widerstandes der westlichen Geber, die sich lieber auf den Straßenbau verlassen haben."

Auch heute ist es vor allem China, das in das afrikanische Schienennetz investiert - wie die die 2016 eröffnete Eisenbahnstrecke von der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba nach Dschibuti oder die neue eingleisige Strecke quer durch Kenia, entlang einer kolonialen Eisenbahnlinie, für die sich wegen ihres katastrophalen Zustands längst den Spitznamen "Lunatic Train" (Irren-Zug) durchgesetzt hatte. Das erste Teilstück zwischen Mombasa und Nairobi ist seit 2017 in Betrieb, schon in wenigen Jahren sollen Züge nach Malaba in Uganda rollen.

Kenia Zugverbindung Standard Gauge Railway SGR zwischen Mombasa und Nairobi
Einweisung in eine neue Diesellok auf der Strecke Nairobi-MombasaBild: picture-alliance/Xinhua/S. Ruibo

Nach wie vor sind die Investitionen aber nur punktuell. "Der Kongo ist ja ein Sinnbild dafür, dass es überhaupt keine terrestrische Ost-West-Verbindung in Afrika gibt", sagt Helmut Asche. "Sie kommen in Afrika nirgendwo - und eben auch nicht im Kongo, also mitten im Zentrum des Kontinents - mit irgendeinem Verkehrsmittel plausibel und einigermaßen manierlich von West nach Ost." Solche Korridore gäbe es nur im südlichen Afrika. Um das zu ändern, müsste eine Entschlossenheit her, in ein derartiges Vorhaben auch mal ein paar Milliarden Dollar zu investieren, sagt der Afrika-Experte. Beim jetzigen Diskussionsstand könne er diese aber nicht erkennen. 

Fahrt ins Ungewisse? Chinesische Bahnstrecken in Afrika