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Im Sog der Coronakrise

Nicolas Martin
1. April 2020

Noch sind die Corona-Fallzahlen in Entwicklungs- und Schwellenländern überschaubar. Wirtschaftlich hat die Pandemie aber bereits erhebliche Konsequenzen. Und das dürfte nur ein Anfang sein.

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Brasilien Hafen von Santos
Bild: Getty Images/AFP/N. Almeida

Abstand halten - in Deutschland, Frankreich oder den USA ungewohnt, aber machbar. In den engen Slums von Neu-Delhi, den Favelas von Rio oder den Townships von Südafrika ist das aber aus Platzgründen schon fast unmöglich.

Noch sind die Fallzahlen in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern relativ niedrig. Dennoch ist klar: Das Virus hat die Welt erreicht. Vielerorts laufen Gegenmaßnahmen: Indien hat seine 1,3 Milliarden Einwohner für drei Wochen unter Hausarrest gestellt. In Südafrika kontrolliert die Armee die Ausgangssperren. Andere Länder hingegen reagieren langsamer: So sind die Straßenmärkte in Myanmar noch immer überfüllt, der Präsident von Tansania lässt Gebetshäuser geöffnet und Brasiliens Staatsoberhaupt nennt das Virus ein "Grippchen".

Unabhängig von der Entwicklung der Corona-Fälle, wirtschaftlich sind viele Länder schon jetzt in Mitleidenschaft gezogen. Die Viruskrise treffe die Schwellenländer mit voller Wucht, schreibt die Analyseabteilung der Deka-Bank - das ist das Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen-Gruppe. 

Auch der Ökonom Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel sorgt sich. "Natürlich ist unser Blick nun erst mal auf unsere Situation gerichtet." Doch im ureigenen Interesse sollte das nicht so bleiben. "Nach Corona könnte die armutsgetriebene Migration weltweit stark zunehmen", so der Experte für Entwicklungs- und Schwellenländer.

Die Schuldenuhr dreht sich von alleine

Wie schlimm es die Länder wirtschaftlich trifft, das hänge von drei Faktoren ab: Schon jetzt seien viele Investoren hektisch aus den Währungen der Schwellen- und Entwicklungsländer in den Dollar geflohen. "Das Kapital ist in wenigen Tagen blitzschnell aus diesen Ländern verschwunden. Der Dollar ist die Fluchtwährung", sagt Langhammer im Gespräch mit der DW. Die Folge: Die ausländischen Währungen verlieren im Vergleich zum Dollar an Wert. Die Dollar-Schulden verteuern sich.

Prof. Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel
Prof. Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel Bild: Privat

Zweitens rechnen viele Länder in ihren Haushalten mit deutlich höheren Rohstoffpreisen. Der Preisverfall mache ihnen zu schaffen. "Länder wie Nigeria, Brasilien oder auch Südafrika hoffen auf einen schnellen Anstieg, um neue Devisen ins Land zu holen". Drittens trifft fast alle Länder die geringe Nachfrage aus China. "Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir diese drei negativen Faktoren alle auf einmal", so Langhammer. Darüber hinaus sind Länder, für die der Tourismus wichtig ist - wie beispielsweise in Thailand - von der Krise hart getroffen. Für sie könnte es sogar noch länger dauern, wieder an Einnahmen zu gelangen, als für Länder, die in die globalen Lieferketten integriert sind.

Die nächsten Finanzkrisen?

Auch die Deka-Bank revidiert bereits ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr für Asien von 5,3 Prozent auf 2,8, und für Lateinamerika von einem auf minus 1,7 Prozent. Seit der Corona-Pandemie gaben viele Landeswährungen stark nach. Der mexikanische Peso und der russische Rubel werteten in den vergangenen vier Wochen zum US-Dollar um bis zu 20 Prozent ab, der südafrikanische Rand und der brasilianische Real um jeweils rund elf Prozent.

Während Europa und die USA gigantische Hilfspakete schnüren, bleibt offen, wie Entwicklungs- und Schwellenländer die Einbußen durch das Virus kompensieren und den sozialen Frieden garantieren wollen. Indiens Corona-Hilfspaket von 38 Milliarden Euro wirkt gegen das Zwei-Billionen-Programm der USA mickrig.

Der Harvard-Wissenschaftler und frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Kenneth Rogoff warnte in einem Interview mit dem Magazin Cicero: "Viele Schwellenländer werden merken, dass sie zu hohe Schulden aufgenommen haben." In der Folge wird es schwer, Mittel für Hilfspakete zu mobilisieren. Schwellenländer, die noch Kredite am internationalen Kapitalmarkt bekommen, könnten sich übernehmen und auf eine Finanzkrise zusteuern. "Das ist nicht auszuschließen, wenn die Nachfrage aus China nicht schnell wieder anläuft, die Rohstoffpreise nicht steigen und der Dollar die Fluchtwährung bleibt", so Langhammer.

Wer wird den Schwellenländern helfen?

Für die ärmsten Länder hat der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller wegen der Corona-Krise einen Schuldenerlass gefordert. Zwar könnte das generell entlasten, an der Art und Weise, wie sich die ärmsten Ländern Geld beschaffen, ändere es aber nichts. Denn dabei sind sie nicht auf Bewertungen an den Finanzmärkten angewiesen, sondern auf Töpfe von Organisationen.

Ein Schuldenschnitt ergebe deshalb vor allem bei den Schwellenländern Sinn, so Langhammer. Dazu müssten die international tätigen Banken aber bereit sein. "Das ist in der Geschichte noch nicht häufig vorgekommen. Außerdem werden die Banken natürlich auch auf ihre schwierige Situation wegen der Corona-Krise in ihren Heimatländern verweisen und staatliche Hilfen einfordern."

Am Ende könnten vor allem die Gelder internationaler Organisationen als Ressourcen bleiben. In einer vorsichtigen Berechnung spricht die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, von 2,5 Billionen Dollar, die allein die Schwellenländer benötigten. Der IWF arbeite an einer schnellen Antwort, heißt es aus Washington.

Bereit stehen könnten auch die vor allem von China finanzierten neuen Finanzierungsinstitutionen. Dazu zählen die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank und die New Development Bank der BRICS-Staaten. "Ob die noch so viel Geld haben, da habe ich meine Zweifel", sagt Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. "Wenn die Chinesen es bereitstellen können, dann zu eigennützigen Zielen."

Für die Entwicklungs- und Schwellenländer bleibt also zu hoffen, dass die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ausreichen - denn schon jetzt sind die wirtschaftlichen Schäden enorm. Angesichts der schnellen Verbreitung des Virus sieht es derzeit aber eher nach einer menschlichen Tragödie aus. So warnte auch die Welthungerhilfe vor den massiven Folgen in den ärmeren Regionen der Erde: "Es ist davon auszugehen, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten dort viele Tote beklagen müssen", so die Chefin der Organisation.