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Wenn das Herpesvirus erwacht

10. Mai 2022

Einmal mit einem Herpesvirus infiziert, schlummert es im Körper und wartet auf die nächste Chance. Forscher haben nun entdeckt, wie sich das Virus reaktiviert. Das könnte auch für die Long-COVID-Forschung wichtig sein.

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Augenpartie mit Windpocken
Die erste Infektion mit einem Herpesvirus kann unangenehm sein. Richtige Probleme macht die permanente Reaktivierung.Bild: Dave Thompson/PA Wire/picture alliance

Die Windpocken sind ein anschauliches Beispiel. Verursacher der juckenden Hautbläschen ist eines der neun bekannten Herpesviren, die den Menschen infizieren und krank machen können, das Varizella-Zoster-Virus. Es ist weltweit verbreitet und vor allem als Kinderkrankheit bekannt. Meistens stecken die Kleinen die Infektion gut weg, ein paar Narben bleiben vielleicht vom Kratzen. Und das Virus, das bleibt auch.

Die Varizella-Zoster-Variante des Herpesvirus richtet sich in den Nervenzellkörpern ein, den sogenannten Ganglien. Es kann Jahre oder Jahrzehnte später wieder erwachen und sich in Form einer Gürtelrose zurückmelden. 

Neben dem Varizella-Zoster-Virus gehören zur Familie der Herpesviren auch die Herpes-simplex-Viren des Typs 1 und 2. Sie sind weltweit bekannt, weil sie für die schmerzenden Lippenbläschen und Genitalherpes verantwortlich sind. Auch das Cytomegalievirus ist weit verbreitet und kann vor allem bei immunsupprimierten Menschen zu schweren Komplikationen und Schädigungen von Organen führen.

Das Epstein-Barr-Virus und das Kaposi-Sarkom-assoziierte Herpesvirus wiederum können Tumore verursachen. Die Humanen Herpesviren 6 (häufig noch unterteilt in A und B) und 7 sind ebenfalls weit verbreitet und lösen beispielsweise das als Kinderkrankheit bekannte Dreitagefieber aus.

Herpes und Gürtelrose - krank durch Viren

"Das Wichtigste an Herpesviren ist, dass sie nach der Primärinfektion ein Leben lang latent im Körper bleiben", sagt Lars Dölken, Virologe an der Universität Würzburg. Dölken nennt damit die wichtigste Gemeinsamkeit dieser Viren-Familie. Er möchte gemeinsam mit Forscherkollegen verstehen, welcher Mechanismus hinter dem plötzlichen Erwachen der Pathogene steckt und hat dafür das Humane Herpesvirus 6A (HHV-6A) unter die Lupe genommen. Das Ergebnis hat das Forscherteam in einer Studie in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht: Sie entdeckten nicht weniger als einen bisher unbekannten zellulären Mechanismus, mit dem sich das Virus aus dem Schlaf holt.

Zwischen Schlafen und Wachen

Wer sich zum ersten Mal ein Herpesvirus einfängt, merkt oft nicht mal etwas davon. Die Probleme bereitet meist die wiederholte Reaktivierung des Virus. Dafür nutzt es häufig eine Phase, in der das Immunsystem des Wirts schon an anderen Fronten kämpft. Das kann eine Erkältung sein, ebenso wie starke körperliche und psychische Belastungen. Besonders anfällig sind Menschen mit HIV oder auch Transplantationspatienten.

HHV-6A baut sich in das Genom der menschlichen Zelle ein und überdauert dort in der Latenzphase, bis sich eine gute Gelegenheit zum erneuten Angriff und damit zur Vermehrung für das Virus bietet. Dann macht sich eine bestimmte Mikro-RNA ans Werk und reaktiviert das Virus.

"Fast alle Herpesviren bilden ihre eigenen Mikro-RNAs, die für die Viren extrem wichtig sind. Es gibt aber kein Beispiel für ein Herpesvirus, wo die Mikro-RNA derart fundamental ist", sagt der Virologe Dölken. "Wenn wir diese eine virale Mikro-RNA ausschalten, dann ist das Virus - ein bisschen unpräzise ausgedrückt - tot."

Eine virale Mikro-RNA als Masterregulator

Mikro-RNA ist, anders als beispielsweise mRNA, nicht dafür zuständig, den Bauplan für bestimmte Proteine zu tragen - sie gehört zu den nicht-kodierenden RNAs. Stattdessen greift die virale Mikro-RNA in den Stoffwechsel bestimmter menschlicher Mikro-RNAs ein und hemmt deren Entwicklung.

In der Folge wird die Produktion von sogenannten Typ-I-Interferonen gestört. Das sind Botenstoffe, mit dem die Zelle dem Immunsystem die Anwesenheit von Viren meldet. "Das ist aber sicher nicht der einzige Mechanismus, der gestört wird", sagt Dölken. Mit ihrer Untersuchung hätten die Forschenden erst an der Oberfläche gekratzt.

Die virale Mikro-RNA macht es den Herpesviren möglich, dem Immunsystem zu entkommen, genauer gesagt, den B- und T-Zellen, die infizierte menschliche Zellen eliminieren. "Diese Zellen erkennen körperfremde Proteine - beispielsweise die eines Virus.

"Die Herpesviren schaffen es aber mit Hilfe von RNA, die Wirtszellen umzuprogrammieren und zu ihrem Vorteil zu nutzen, ohne dass unser erlerntes Immunsystem, also B- und T-Zellen, eine Chance haben, die Zelle als infiziert zu erkennen", erklärt Dölken.

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Die Entdeckung der einen entscheidenden viralen Mikro-RNA, des "Masterregulators" wie Dölken sie nennt, machte es den Forschern im Zellkulturversuch nicht nur möglich, die Reaktivierung des Herpesvirus zu verhindern.

Die Erkenntnisse und weitere Forschungen könnten in Zukunft umgekehrt auch helfen, latente Zellen im Körper zu reaktivieren, die das Immunsystem dann erkennen und unschädlich machen kann. "Bevor man ein Organ transplantiert, wäre es gut, die latent mit Herpesvirus infizierten Zellen ausschalten zu können", sagt Dölken.

Die Würzburger Virologen könnten mit ihrer Forschung auch zur Lösung eines anderen Problems beitragen: Long-COVID. Da Herpesviren häufig ein ohnehin schon geschwächtes Immunsystem überfallen, haben Wissenschaftler sie auch im Verdacht, an den verschiedenen Krankheitsbildern von Long-COVID beteiligt zu sein. "Eine naheliegende Vermutung ist, dass aufgrund der Corona-Infektion Herpesviren reaktiviert werden und dadurch Sekundärschäden entstehen", sagt Dölken. Noch gibt es mehr Fragen als Antworten. Aber immerhin auch schon ein paar Hauptverdächtige. HHV-6 zählt dazu.