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PolitikEuropa

Polen spart beim Deutschunterricht

Magdalena Gwozdz-Pallokat
25. Januar 2022

Polens Parlament kürzt die Mittel für den herkunftssprachlichen Unterricht der deutschen Minderheit. Das frei werdende Geld soll in Polnischunterricht für Polen in Deutschland fließen.

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Grundschule in Grodzisko (Schlesien) in Polen
Bisher werden in der Grundschule von Grodzisko/Grodisko drei Stunden pro Woche auf Deutsch unterrichtet Bild: nspgrodzisko.edu.pl

Agnieszka Kala bereitet ihre Schüler, deren Eltern und sich selbst auf ein düsteres Szenario vor: die Schließung der Grundschule im 700-Einwohner-Dorf Grodzisko (deutsch: Grodisko) unweit der Stadt Opole (deutsch: Oppeln). In diesem Teil Oberschlesiens leben besonders viele Angehörige der deutschen Minderheit in Polen. Seit Jahren ist Kala Leiterin der Dorfschule. "Wenn unsere Schule stirbt, dann stirbt auch das Dorf", da ist sich die 40-jährige Germanistin sicher. Denn die Bildungseinrichtung sei das kulturelle Zentrum des Ortes.

Jedes der 36 Schulkinder in Grodzisko nehme am deutschsprachigen Unterricht teil, so Kala - obwohl sich nur knapp über die Hälfte der Einwohner zur deutschen Minderheit zählten. Bisher sei drei Stunden pro Woche auf Deutsch unterrichtet worden, nun soll die Stundenzahl auf nur eine reduziert werden - das Aus für die Schule, wie die Lehrerin betont. Denn: "Die Mittel, die wir für den Minderheitssprachen-Unterricht auf Deutsch bekommen, helfen uns dabei, die Schule überhaupt aufrecht zu erhalten. Sie fließen nicht nur direkt in den Deutschunterricht, sondern auch in die Stromrechnung oder die Heizkosten. Es ist quasi unsere Rettung", so Kala. Viele Schulen seien in einer ähnlichen Situation, fügt sie hinzu.

Karte Polen Oppeln Grodisko DE

Im Dezember hatte der Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, entschieden, die Fördermittel für den herkunftssprachlichen Unterricht der deutschen Minderheit um rund zehn Millionen Euro zu kürzen - ein Fünftel der gesamten Fördersumme. Die Entscheidung erfolgte im Rahmen einer Abstimmung über den Haushalt 2022. Unter den zahlreichen Änderungsanträgen waren auch solche, die den Unterricht verschiedener Minderheits- und Regionalsprachen in polnischen Schulen kürzen wollten. Inzwischen ist klar, dass es einzig um das Deutsche geht.

In Polen gibt es viele Regional- und Minderheitensprachen, etwa Litauisch, Ukrainisch, Slowakisch oder auch Kaschubisch, eine slawische Sprache, die in der Gegend um Gdansk/Danzig gesprochen wird. Auch die Kaschuben hatte die Haushaltsvorlage aufgeschreckt. "Angesichts der immer wieder auftauchenden Falschinformationen über die Kürzungen der Mittel für den Unterricht der Sprachen aller Minderheiten und Gruppen, einschließlich des Kaschubischen, lege ich die Begründung der Änderung vor, aus der klar hervorgeht, dass die Kürzung nur die deutsche Sprache betrifft", stellte daraufhin Polens Bildungsminister Przemyslaw Czarnek in einem Tweet klar.

Die frei werdenden Gelder sollten für den Polnischunterricht in Deutschland eingesetzt werden, der dort nicht in ausreichendem Maße angeboten würde, betont der Initiator der Kürzung, Janusz Kowalski. Der aus Opole stammende Abgeordnete der Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska), eines Koalitionspartners der regierenden Partei PiS, äußert sich häufig zu deutsch-polnischen Themen - und das meist als scharfer Kritiker des Nachbarlandes.

Die Symmetrie der deutsch-polnischen Beziehungen

Für Kowalski ist Polen ein Vorbild für den Umgang mit nationalen Minderheiten - und Deutschland das genaue Gegenteil. Der Politiker wirft der Bundesrepublik vor, sie finanziere den Polnischunterricht als Herkunftssprache nicht und erkenne überhaupt eine polnische Minderheit im Land nicht an. "Lassen Sie uns die Symmetrie der deutsch-polnischen Beziehungen wiederherstellen!", twitterte er unlängst.

Diesen Vorwurf wies der deutsche Botschafter in Polen, Arndt Freytag von Loringhoven, umgehend zurück. Er verwies zudem auf eine Stellungnahme des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Bernd Fabritius. Darin bezeichnet Fabritius die Behauptung, dass es in Deutschland ein Angebotsdefizit beim herkunftssprachlichen Unterricht für zugewanderte Polen gebe, als "unzutreffend" - und erinnert daran, dass Polen in Deutschland nicht den Status einer nationalen Minderheit haben.

"Auch der von Bildungsminister Czarnek im Sejm erhobene Vorwurf, Deutschland zahle null Euro für die Förderung des Polnischunterrichtes, ist unzutreffend", so Fabritius weiter. Die Bundesregierung unterstütze die polnischen Mitbürger, die Sprachförderung erfolge dabei auf Länderebene, weil in Deutschlands föderalem System Bildung und damit auch Sprachförderung Ländersache sei. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen etwa erhielten derzeit knapp 5100 Schülerinnen und Schüler herkunftsprachlichen Polnischunterricht.

"Rein antideutscher Charakter"

Rafal Bartek, der Vorsitzende der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD), zeigt sich im Gespräch mit der DW besorgt. Er habe bis zum Schluss gehofft, dass der Bildungsminister sich gar nicht bewusst gewesen sei, welche Konsequenzen die Kürzung der Subventionen für die Minderheitenpolitik in Polen habe. "Mit dieser Aussage hat er aber bestätigt, dass das Ganze doch einen rein antideutschen Charakter hat und dass der Bildungsminister jetzt Außenpolitik betreibt, indem er die polnischen Staatsbürger deutscher Nationalität als Geiseln nimmt."

Rafal Bartek
Rafal Bartek ist Vorsitzender der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD)Bild: M. Gwozdz-Pallokat/DW

Grundsätzlich betreffe die Minderheitengesetzgebung in Polen heute eigentlich alle Minderheiten, so Bartek weiter. Die aktuelle Entwicklung jedoch würde in der Praxis bedeuten, dass es zukünftig eine Gesetzgebung für die deutsche Minderheit gebe - und eine zweite für alle anderen Minderheiten. "Das wäre natürlich ein Rechtsbruch und eine klare Diskriminierung der deutschen Minderheit", so der SKGD-Vorsitzende.

Leidtragende: Kinder und Lehrer

Zur deutschen Minderheit bekennen sich in Polen rund 150.000 Menschen. Derzeit profitieren landesweit ca. 50.000 Schülerinnen und Schüler vom Fach "Deutschunterricht als Minderheitensprache". Man müsse jedoch keinen deutschen Familienhintergrund haben, um daran teilzunehmen, betont die Schuldirektorin Agnieszka Kala. Die Bildungseinrichtungen hätten gar kein Recht, die nationale Herkunft ihrer Schülerinnen und Schüler zu überprüfen. Der Deutschunterricht für die Minderheit stehe also jedem Kind offen.

Agnieszka Kala
Die 40-jährige Germanistin Agnieszka Kala leitet die Grundschule in Grodzisko/GrodiskoBild: Privat

"Als ich den Tweet von Bildungsminister Czarnek las, spürte ich eine Mischung aus Wut und Erschütterung. Diese Kürzung wurde über unsere Köpfe hinweg beschlossen. Keiner hat sich die Mühe gemacht, mit den Betroffenen zu reden", so Kala. Die antideutsche Rhetorik der aktuellen polnischen Regierung leitet sie aus der schmerzlichen deutsch-polnischen Geschichte ab. "Am Ende werden wir Lehrer die Leidtragenden sein - und alle Kinder."

Die Pädagogin hat eine Petition an die Regierung aufgesetzt, die bereits von fast 7000 Eltern unterschrieben wurde. "Ich hätte nie erwartet, dass ich Zeiten erlebe, in denen man uns einen Teil unserer Identität wegnimmt. Die Eltern unserer Schüler sind polnische Staatsbürger. Sie zahlen Steuern in Polen, arbeiten hier - und jetzt sollen sie um einen elementaren Teil ihrer selbst beraubt werden. Der Vorschlag des Ministers ist verfassungswidrig und unvereinbar mit den Menschenrechten", so Kala.

Auch die Schülerinnen und Schüler der Dorfschule von Grodzisko wollen Widerstand leisten. Zu Weihnachten bekam Bildungsminister Czarnek Postkarten von ihnen - in polnischer und deutscher Sprache. Sie wünschten ihm "Frohe Weihnachten". Etwas, das deutsch- wie polnischsprachige Polen feiern. Jeder anders. Und doch alle vereint.

Magdalena Gwozdz-Pallokat
Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen