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Es hat keine Bedeutung mehr, wer Pole und wer Deutscher ist

22. Juli 2004

- Der Alltag in der Region Oppeln

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Krakau, 17.7.2004, DZIENNIK POLSKI, poln.

Das nachbarliche Leben der Polen und der Deutschen verläuft erstaunlich normal. Es ist sogar teilweise langweilig und es wäre am besten, wenn dies so bliebe.

Über die Region Opole (Oppeln) wird nur dann viel berichtet, wenn sich jemand genauso komisch benimmt wie der Staroste aus Strzelce Opolskie (Groß Strehlitz), der empfahl, das polnische Staatswappen von dem Gebäude des Kreisamtes zu entfernen. Der Lärm, der durch diese Aktion hervorgerufen wurde, zeugt von der Empfindsamkeit der polnischen Öffentlichkeit. Und es ist gut so. Das Problem besteht jedoch darin, dass wir normalerweise nur über Ausnahmefälle diskutieren. Der Lärm ist nämlich imstande das zu verbergen, was man als eine eher langweilige Normalität, d.h. den Alltag bezeichnet.

"Wird dort überhaupt noch Polnisch gesprochen? Solche Fragen, die nicht als Witz gemeint sind, bekommen manchmal die Bewohner der Region Opole zu hören. Die Menschen, die in Krakau oder in Warschau wohnen und viel von den Sensationen über die Ausrutscher der Politiker und der sowohl polnischen als auch deutschen Aktivisten hören, stellen sich die Region Opole als ein polnisch-deutsches Pulverfass vor, das jeden Moment explodieren kann. Aber unter den Menschen, die direkt betroffen sind, d. h. die in der Woiwodschaft Opole leben, erweckt diese Frage die wenigsten Emotionen.

Die Gemeinde Bierawa (Reigersfeld) bildete damals solch einen "Ausnahmefall", wie ihn heute die Stadt Strzelce Opolskie bildet. "Ja, es gab eine Auseinandersetzung, na und?", fragen heute rhetorisch Polen und Deutsche.

Alles begann mit der Schule in dem Dorf Kotlarnia (Jakobswalde). In der ganzen Gemeinde Bierawa sollten die Deutschen die absolute Mehrheit, d. h. 80 Prozent der insgesamt über acht tausend Einwohner bilden. Aber die Wahrheit ist, dass in dem Dorf Kotlarnia die Polen überwiegen, die aus ganz Polen hierher kamen, um in dem benachbarten Bergwerk zu arbeiten. Die Ortschaft unterscheidet sich von den anderen Ortschaften in der Gemeinde vor allem dadurch, dass die Mehrheit der Einwohner in Wohnblocks und nicht in gepflegten Häusern mit Gärten lebt.

Nach den Reformen im Bildungswesen 1999 kochte es in dem Dorf Kotlarnia. Die deutschen Gemeindebehörden wollten die Schule in diesem Dorf schließen. Der Grund dafür waren Prognosen, die besagten, dass es an Schülern mangeln wird. Dann begann der Ärger. Nach Kotlarnia kamen Journalisten aus ganz Polen und einer der Bewohner sagte, angesichts der Tatsache, dass die Deutschen die Schule schließen wollen, werde er einen Verband der polnischen Minderheit gründen. Eine lokale Auseinandersetzung, in der es um eine Schule ging und von denen es viele in ganz Polen gibt, wurde an die große Glocke gehängt und daraus entstand ein nationales Problem. "Wir haben die Schule verteidigt, weil ich dies als einen Angriff auf die Polen interpretiert habe. Im Endeffekt kam es nicht zur Registrierung der polnischen Minderheit, aber die Deutschen haben gelernt, dass man uns nicht auf die leichte Schulter nehmen kann", sagt Jerzy Antonowicz, der Initiator der Idee, eine polnische Minderheit zu gründen. (...)

Zwei Jahre später kam Bierawa schon wieder in die Schlagzeilen. Diesmal ging es um das Statut der Gemeinde. Anstatt der Floskel, die in allen anderen Gemeinden angewendet wird, die besagt, dass "die Einwohner der Gemeinde eine Selbstverwaltung bilden", wurde vorgeschlagen festzuschreiben, dass "die Selbstverwaltung von Menschen polnischer, deutscher sowie anderer Nationalität gebildet wird". Die Polen haben protestiert und behauptet, dass solch eine Formulierung die innere Spaltung nur fördern würde. Der polnisch-deutsche Konflikt wurde schon wieder allgemein bekannt. Der Erfinder dieser neuen Formulierung, Joachim Niemann, der damalige Vorsitzende des Gemeinderates, wird noch heute nervös, wenn man ihn daran erinnert: "Stimmt das vielleicht nicht? Wir haben niemanden dadurch diskriminieren wollen. Wir haben lediglich die Nationalität erwähnt", sagt er.

Für dieses Statut stimmten dann die Räte der deutschen Minderheit, von denen es drei Mal so viele gab wie polnische. Dieses schon verabschiedete Dokument wurde jedoch von dem Woiwoden der Region Opole abgelehnt. Die Sache wurde dann beim Obersten Verwaltungsgericht Polens verhandelt, das die Argumentation von Herrn Niemann ablehnte. "Seit dieser Zeit beschäftige ich mich nicht mehr mit den Angelegenheiten der Gemeinde", sagt Joachim Niemann, der heute Vorsitzender der Soziokulturellen Verbände der Deutschen in Polen ist.

Er behauptet, dass er weg ging, weil er müde war und dass dieser ganzen Angelegenhit ohne Grund eine nationale Bedeutung zugeschrieben wurde. In Wirklichkeit handelte sich doch um seinen Konflikt mit dem Dorfschulzen, Henryk Chromik.

Es war damals auch kein Geheimnis, dass sich der Dorfschulze (damals noch Mitglied der deutschen Minderheit) und der Vorsitzende nicht ausstehen konnten. Die Auseinandersetzung um das Statut der Gemeinde wurde auch damals als eine der Elemente des Konfliktes zwischen den beiden angesehen. In dieser Zeit begann jedoch noch eine, diesmal aber kriminelle Affäre in dieser Gemeinde. Der Dorfschulze, sein Stellvertreter und eine der Angestellten der Stadtverwaltung wurden beschuldigt, gestohlene Wagen zu legalisieren (die Gerichtsverhandlung dauert bis heute an). Eine andere Auseinandersetzung, die kurz danach folgte, führte dazu, dass die Einwohner endlich "nein" sagten.

Bei den Wahlen zur Selbstverwaltung wurde Henryk Chromik zwar zum Dorfschulzen gewählt, aber damals gehörte er der deutschen Minderheit nicht mehr. Das Ergebnis der Wahlen zum Gemeinderat war jedoch eine große Überraschung für alle: Sieben Mandate bekamen die Mitglieder eines Komitees um den Schulzen, weitere vier Mandate bekamen Polen, die Mitglieder eines Unabhängigen Wahlkomitees waren, und ein Mandat bekam ein parteiloser Kandidat. Die Deutschen, die bis zu diesem Moment uneingeschränkt in dieser Gemeinde regierten, bekamen nur drei Mandate. Somit wurde auch die deutsche Gemeinde Bierawa zu einer Gemeinde, die von Nicht-Deutschen regiert wird.

Arnold Karasch und Zygfryd Kubilla machen am Freitag Nachmittag das, was die Mehrheit der Einwohner der Region Opole macht, d. h. sie säubern Haus und Hof. Sie mähen den Rasen um das Denkmal für die Einwohner der Gemeinde Bierawa, die während der beiden Weltkriege gefallen sind.

"Polen? Heute ist weder für uns noch für sie von Bedeutung, wer man ist", sagen die beiden Herren fast im Einklang und fügen hinzu: "Gleich nach dem Krieg, als wir zur Schule gingen, haben sie uns "Goebbels-" oder "Hitlerjungen" beschimpft, weil keiner von uns Polnisch sprach. Wir hatten früher zwar irgendwelche einzelnen polnischen Wörter von den Omas zu Hause gehört, aber plötzlich mussten wir in dieser Sprache lernen und sprechen. Die ersten Jahre waren für uns wie ein Albtraum. Aber heute? Wer denkt noch darüber nach?"

Zygfryd Kubilla fügt hinzu, dass sein Schwiegersohn Pole ist: "Ich kann stolz auf ihn sein, weil das ein ruhiger und kluger Mensch ist", sagt er.

Die beiden Herren sind davon überzeugt, dass die Polen viel von ihnen gelernt haben: "Sie lernten Ordnung", behauptet Arnold Karasch und fügt hinzu. "Früher haben sich unsere landwirtschaftlichen Betriebe von einander unterschieden. Heute sieht das niemand mehr. Was haben wir von ihnen? Ich mag die polnische Küche gern. Die Milch, die Käsesorten... Bei uns gab es das früher nicht."

Auf die Frage "Wer wirklich die einheimischen Einwohner von Schlesien sind?", antwortet Zygfryd Kubilla: "Das ist eine Region, in der man seit Jahrhunderten sowohl Polnisch als auch Deutsch sprach. Nur die Verwaltung hat sich hier geändert. Die Schlesier ordneten sich traditionsgemäß dem unter, der gerade hier regierte..."

Jozef Pietruszka, der einige Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg in Bierawa zur Welt kam, lebt bis heute hier: "Von mir aus könnte hier ein Pole, oder ein Deutscher oder sogar ein Franzose regieren... Wichtig ist nur, dass der Mensch, Mensch bleibt", sagt er.

Jan Slezak sagt "Guten Tag" auf Polnisch mit einem schlesischen Akzent. (...) Er erzählt, dass er aus der Ortschaft Kluszkowiec in der Nähe von Nowy Targ (Region Malopolska - MD.) stammt: "Dort wurde ich geboren im Jahre 1942. Dann kamen meine Eltern hierher. Ich habe tatsächlich einen schlesischen Akzent, aber deswegen, weil ich hier aufgewachsen bin. Die Mehrheit meiner Kumpel waren Schlesier. Ich erinnere mich an keine Probleme. Ich kenne Polen, die Ordnung lieben und Deutsche, die trinken und Chaoten sind. Auseinandersetzungen? Wir leben doch dicht beieinander und haben keinen Grund für Konflikte. Wenn jemand über Probleme zwischen Deutschen und Polen sprechen möchte, dann findet er sie wahrscheinlich nur unter Politikern", sagt Jan Slezak.

Joachim Konsek ist 41 Jahre alt. Seit der Kindheit wohnt er in Proszkow (Schöneiche), 15 km von Opole entfernt. Die polnische Sprache begann er erst Ende der sechziger Jahre zu lernen: "In meinem Elternhaus sprach man Deutsch. Die polnische Sprache lernte ich erst im Kindergarten. Mein Elternhaus war ein typisch schlesisches Haus, in dem viele Generationen lebten. Der Großvater verdiente das Geld und war Oberhaupt der Familie, aber die Fäden im Hause zog die Großmutter. Es war traditionell und konservativ", sagt er. (...) und fügt hinzu: "Draußen habe ich noch den schlesischen Dialekt von meinen Kollegen gelernt, weil man bei uns zu Hause kein Schlesisch sprach". (...)

Nach der Grundschule kam Joachim Konsek auf eine staatliche Fachschule für Gartenbau. Dort traf er seine zukünftige Frau Halina, die in Brzeg (Brieg) wohnte. Ihre Familie kam aber in die Region Opole aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten.

"Ich hatte keine Vorurteile. Mir war bewusst, dass in der Region Opole auch Deutsche leben, aber ich achtete nicht darauf. Es war für mich völlig natürlich, dass jemand eine fremde Sprache benutzen kann. Meine Großeltern sprachen manchmal auch Ukrainisch miteinander. Die Großmutter musste sogar den Großvater rügen, auf der Straße kein Ukrainisch zu sprechen. Dann kam ich nach Proszkow. Und jetzt - stellen Sie sich nur vor - Polen, das Jahr 1981 und sowohl auf der Straße, als auch in den Geschäften wie auch an der Haltestelle hört man die deutsche Sprache. Ich war schockiert", erzählt Halina Konsek.

Joachim Konsek erinnert sich, dass ihn die Schwiegereltern sehr gut aufnahmen. (...) Heute wohnt die Familie Konsek samt zwei Söhnen und der Mutter von Joachim in einem großen Haus des Großvaters in Proszkow. "Das Haus ist weder deutsch noch polnisch: "Wir haben die Sitten und das Essen vermischt und das nicht nur an Sonntagen. Zu Hause hört man zwei Sprachen, weil die Mutter kein Polnisch mehr spricht, seitdem sie aufgehört hat zu arbeiten. Man kann sich mit ihr also nur auf Deutsch verständigen. Das stört jedoch niemanden", sagt Joachim.

"Ich verstehe sehr viel Deutsch, aber ich kann nur wenig sprechen. Immer noch lerne ich den schlesischen Dialekt. (...), sagt Halina Konsek.

Das, was für die Generation von Halina und Joachim Konsek eine Ausnahme war, ist für ihre Kinder völlig normal. Mateusz Konsek, der 15 Jahre alt ist, spricht außer der polnischen noch die deutsche und die englische Sprache. Den schlesischen Dialekt lernte er - wie sein Vater - von seinen Kameraden. Er sagt, dass weder für ihn noch für seine Kollegen die Nationalität von Bedeutung ist: "Wir können uns zwar damit ärgern, wer aus Opole und wer aus einem kleineren Ort stammt, aber es gibt keine Unterscheidung zwischen Polen und Deutschen", sagt Mateusz Konsek. (sta)