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'Vatileaks': Mehr Fragen als Antworten

Wulf Wilde30. Mai 2012

Nach der Verhaftung des persönlichen Kammerdieners des Papstes gehen die Vermutungen um die Hintergründe von "Vatileaks" weiter. Der Skandal zieht weite Kreise, es gibt kaum Fakten und viele Spekulationen.

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Papst Benedikt XVI.
Bild: dapd

Es geht um Intrigen, Verrat und Geheimdokumente und klingt fast wie ein Kriminalroman: Der persönliche Kammerherr von Papst Benedikt XVI., Paolo Gabriele, soll der Maulwurf gewesen sein, der über Monate vertrauliche Informationen aus dem Vatikan an die Öffentlichkeit gebracht hat: Über Korruption, Vetternwirtschaft und Missmanagement sowie ein angebliches Mordkomplott gegen den Papst.

Mit der Festnahme Gabrieles in der vergangenen Woche hat die vom Vatikan selbst als "Vatileaks" bezeichnete Affäre ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. "Die Verhaftung des Butlers ist der dramatische Höhepunkt dieser Affäre, weil es gar keinen geben kann, der noch näher dran ist am Papst", sagt Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteuer der Katholischen Nachrichten-Agentur.

Kaum jemand war so nah am Papst wie sein Kammerherr

Seit 2006 stand Gabriele Papst Benedikt XVI. zur Seite. Der 46-jährige Vater von drei Kindern ist vermutlich der einzige Mensch, der - wie die italienische Zeitung 'Libero' schrieb - Benedikt XVI. im Pyjama erlebte. Er half dem Pontifex beim Ankleiden, bediente ihn beim Essen und bereitete sein Schlafzimmer vor. In der Öffentlichkeit war er oft an der Seite des Papstes zu sehen, etwa wenn er diesen zu seinen Generalaudienzen begleitete oder versuchte, den Pontifex vor dem Regen zu schützen.

Als "Maggiordomo", der päpstliche Kammerdiener, gehörte Gabriele neben den Privatsekretären Georg Gänswein und Alfred Xuereb sowie vier Ordensfrauen zu den nächsten Mitarbeitern des Kirchenoberhaupts, zur sogenannten Päpstlichen Familie. Dieser Fakt und das vor einer Woche erschienene Buch "Sua Santità" (Seine Heiligkeit) des TV-Journalisten Gianluigi Nuzzi brachte die Ermittler wohl auf seine Spur.

Maulwurf aus der Päpstlichen Familie

Denn dieses Buch mit vertraulicher Korrespondenz des Papstes und neuen Vatileaks-Enthüllungen enthält auch Faksimiles von Dokumenten, die im Zusammenhang mit der Joseph Ratzinger-Papst-Benedikt-XVI.-Stiftung stehen, etwa eine von Papstsekretär Gänswein verfügte Überweisung von der Ratzinger-Stiftung für die Vatikanbank IOR. Diese Schriftstücke waren nicht für die Archive des Heiligen Stuhls bestimmt und dort auch nicht registriert, sie konnten damit nur vom Schreibtisch des Papstes oder seines Privatsekretärs stammen.

Der Täter musste also einer der wenigen Menschen sein, die Zugang zur päpstlichen Wohnung haben. Die Durchsuchung der Privaträume Gabrieles bestätigte den Anfangsverdacht; angeblich soll die Gendarmerie vier Kisten mit vertraulichen Dokumenten sichergestellt haben. Ausgestanden ist die Sache für den Kirchenstaat mit der Verhaftung Gabrieles aber noch lange nicht. Denn noch gibt es zu Vatileaks und der Verhaftung des Kammerdieners mehr Fragen als Antworten.

A view of the building at left which hosts the Vatican bank, formerly knows as the Institute for Religious Works, IOR, inside the Vatican, on Monday, Feb. 7, 2011. (ddp images/AP Photo/Domenico Stinellis)
Nicht wirklich transparent - die geheimnisumwitterte Vatikanbank.Bild: AP

Wem nützt die Intrige?

Da der Vatikan mit weiteren Informationen geizt, haben Verschwörungs- und Komplotttheorien in den italienischen Medien Konjunktur. Weitgehende Einigkeit besteht nur darüber, dass Gabriele wohl kein Einzeltäter war. "Es handelt sich um eine einfache Person, die nicht den Willen und die Möglichkeit hat, das alles alleine zu organisieren. Ich glaube, dahinter gibt es jemanden, vielleicht auch Hochrangigen, der ihn angestiftet hat", - davon ist der Vatikanexperte der Turiner Tageszeitung 'Stampa', Marco Tosatti, überzeugt.

Ein italienischer Kardinal sei im Zuge der Ermittlungen unter Verdacht geraten, schrieb unter anderem die Tageszeitung 'Corriere della Sera' - was Vatikansprecher Federico Lombardi umgehend dementierte. Die Spekulationen über einen Machtkampf innerhalb der Spitze der Kurie gehen dennoch weiter. Mehrere italienische Tageszeitungen veröffentlichten Interviews mit anonymen Gesprächspartnern, die an der Weitergabe von Informationen aus dem Vatikan beteiligt gewesen sein sollen.

Ziel der Aktivitäten sei es, ein Gegengewicht zur Übermacht von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone zu schaffen, berichteten die anonymen Quellen übereinstimmend. Bertone verhindere die Aufdeckung korrupter Machenschaften seiner Gefolgsleute. Aus diesem Grund soll er unter anderem den Gouverneur der Vatikanstadt abgesetzt und als Nuntius nach Washington geschickt haben. "Diese Versetzung war der Anfang", zitierte die römischen Zeitung 'La Repubblica' einen anonymen Informanten, der sich ebenfalls als "Maulwurf" bezeichnete.

Kardinal Tarcicio Bertone (Quelle: dpa)
Nummer zwei im Vatikan: Kardinal Tarcisio BertoneBild: picture-alliance/dpa

Ring-Eifel: Es geht um mehr Transparenz im Vatikan

Auch der Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur Ring-Eifel glaubt, dass sich "Vatileaks" vor allem gegen Kardinalstaatssekretär Bertone und dessen Regierungs- und Kommunikationsstil richtet. "Der ehemalige Gouverneur hat zuviele Leute vor den Kopf gestoßen und wurde deshalb nach Washington versetzt. Das hat vermutlich für diese Gruppe oder dieses Netzwerk den Ausschlag gegeben, zu handeln", so Ring-Eifel. "Ein Mann, der Effizienz und Transparenz fordert und auch durchsetzen wollte, wird quasi strafversetzt, weil er gegen die herrschende Mentalität vorgeht.

Die These vom Machtkampf weist er der Vatikan-Experte jedoch zurück. "Das würde ja voraussetzen, dass es zwei unterschiedliche Gruppen gibt, die um die Macht im Vatikan kämpfen. Das kann ich nicht erkennen. Es geht eher um unterschiedliche Stile des Regierens und des Informierens", meint Ring-Eifel. "Ich glaube, dass da tatsächlich mehrere Leute dran beteiligt waren. Leute, denen es um mehr Transparenz im Vatikan geht. Das dürfte das Hauptmotiv für diese Leute gewesen sein."

Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur.
Ludwig Ring-Eifel glaubt nicht an einen Machtkampf im Vatikan.Bild: DW-TV

Licht ins Dunkel kann wohl nur Gabriele bringen. Nach anfänglichem Schweigen hat sich der ehemalige Kammerdiener bereit erklärt, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten. Vatikansprecher Lombardi kündigte am Dienstag an, dass der Beginn der formellen Befragungen für "Ende dieser oder Anfang kommender Woche" vorgesehen sei. So lange wird in Rom und Italien wohl weiter wild über Intrigen, Verrat und Machtkämpfe spekuliert werden.