Von der Leyens Playlist für den Zapfenstreich
15. August 2019"Großer Zapfenstreich, halt!" In Reih' und Glied kommt der Stabsmusikkorps hinter dem Begleitkommando und den Fackelträgern zum Stehen. Niemand regt sich, eine ungewohnte Stille im sonst hektischen Berliner Polit-Betrieb. Das höchste militärische Zeremoniell, ein fast 200 Jahre altes Ritual, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Überraschend zackig auch der Musikeinsatz, der nach dem Kommando "Serenade!" beginnt.
Beim heutigen Zapfenstreich werden an dieser Stelle "Wind of Change" von den Scorpions, Mozarts "Ave Verum" und "Ode an die Freude" aus Beethovens 9. Sinfonie zu hören sein. Bis zu vier Lieder dürfen sich scheidende Justizminister, Bundeskanzler oder Bundespräsidenten zum Programmpunkt "Serenade" wünschen. Es ist der menschelnde Teil dieser steifen Abendveranstaltung, die ohne viele Worte auskommt. Stattdessen setzt die Playlist ein Statement - und was könnte in der Tat intimer sein, als der Einblick in den Musikgeschmack eines Politikers. Das Musikkorps der Bundeswehr, ein herausragendes 100-Soldaten-starkes Blasorchester, zieht dabei notengetreu mit. Zugegebenermaßen wirken jedoch gerade Rock-Klassiker in diesem steifen Umfeld manchmal unfreiwillig komisch.
Ironie und Tränen
Durchweg stilvoll klang "My Way" von Frank Sinatra bei der Verabschiedung von Kanzler Gerhard Schröder 2005. Als auf ein Trompetensolo stimmträchtig das Blasorchester einsetzt, schießen dem selbstbewussten, streitbaren SPD-Politiker die Tränen in die Augen. Mit "Smoke on the Water" gab Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ein letztes Statement ab. Der Vorwurf, seine Doktorarbeit sei ein Plagiat, zwang ihn 2011 zum Rücktritt. Mit dem Deep-Purple-Song holte der Hardrock-Fan Guttenberg ungewohnte Klänge aus dem Bläserensemble der Bundeswehr. Einen selbstironischen Akzent setzte auch Thomas de Maizière 2014 mit "Live is Life" der österreichischen Rockband Opus. Seine Amtszeit 2011 bis 2013 war recht turbulent und endete mit der Affäre um die Riesendrohne "Euro Hawk".
Soundtrack der Veränderung
Nun wird seine Nachfolgerin verabschiedet: Ursula von der Leyen, die erste Frau im Bundesverteidigungsministerium und Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr. Seit 2013 war von der Leyen im Amt, wollte frischen Wind in die verkrusteten Strukturen bringen, den Rüstungssektor reformieren. Dafür mag "Wind of Change", einer ihrer Musikwünsche, stehen. 1989 als Lied zur sowjetischen Perestroika geschrieben, wurde es zur unerwarteten Hymne der Wendezeit. "Der Song hat eigentlich nur eine Hoffnung skizziert, eine Momentaufnahme, hier verändert sich jetzt was. Hier ist ein Aufeinanderzugehen möglich", sagte Scorpions-Sänger Klaus Meine in einem DW-Interview.
Ursula von der Leyen hat sicherlich im Verteidigungsministerium für ziemlich viel "Wind des Wandels" gesorgt: Unter ihrer Führung stieg der Verteidigungshaushalt von 21 auf 43 Milliarden Euro, die Rüstung sollte modernisiert, die Bundeswehr umgebaut und der Bestand digitalisiert werden. Doch ein Aufeinanderzugehen, wie Sänger Klaus Meine die Aussage seines Song beschrieb, war es kaum. So attestierte sie 2017 der Bundeswehr nach rechtsextremen Vorfällen ein grundsätzliches "Haltungsproblem", was ihr die Mehrheit der Truppe recht übel nahm.
Christliche Werte und Blick nach vorn
Vielleicht hat sie diesen Song auch eher aufgrund ihres Heimatbezugs gewählt: Die Scorpions stammen aus Hannover, von der Leyen lebt auf einem Familienanwesen in der Region Hannover. In "Ave Verum", einem weiteren Musikwunsch, könnte sich die christliche Grundüberzeugung der 60-Jährigen widerspiegeln. Hierbei handelt es sich um Mozarts Vertonung eines mittelalterlichen Gebets in lateinischer Sprache, eines seiner bekanntesten Werke. Von der Leyen ist in einem protestantisch geprägten Elternhaus aufgewachsen. Als Verteidigungsministerin hielt sie unter anderem 2017 bei einem Friedensgottesdienst des Evangelischen Kirchentages eine Predigt.Auf ihrer Playlist steht außerdem noch die "Ode an die Freude". Der letzte Satz aus Beethovens 9. Sinfonie ist Europahymne und sicherlich ein Verweis auf die neue Arbeitsstelle als EU-Kommissarin. Ein unglaublicher Karriereschritt, dennoch wird sie ihre frühere Arbeitsstelle noch nicht los: Der sehr kostenintensive Einsatz externer Berater brachte ihr einen Untersuchungsausschuss ein, vor dem sie wahrscheinlich auch als EU-Kommissarin noch aussagen muss. Vielleicht ist es daher auch kein Wunder, dass sich bei ihrem abschließenden musikalischen Statement, anders als beispielsweise bei Vorgänger Guttenberg, der nur ungern aus dem Amt schied, kein klassischer Militärmarsch findet.