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PolitikGlobal

UN-Nachhaltigkeitsziele: Agenda 2030 deutlich im Rückstand

20. September 2023

Konflikte zwischen dem Globalen Süden und westlichen Industrieländern haben den UN-Nachhaltigkeitsgipfel 2023 in New York überschattet.

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UN-Generalsekretär António Guterres im Anzug gestikuliert an einem Rednerpult, neben ihm ein Plakat "SDG Summit 2023"
UN-Generalsekretär António Guterres forderte eine "Aufholjagd" beim UN-Gipfel für NachhaltigkeitBild: Jason Szenes/UPI Photo/newscom/picture alliance

Im Jahr 2015 haben sich die Vereinten Nationen 17 Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Bis 2030 soll die Welt frei sein von Hunger und Armut; alle Menschen sollen Zugang zu Bildung, sauberem Wasser und verlässlicher Energie haben. Auch die Gleichstellung von Frauen und Männern oder die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad gehören zu den erklärten Nachhaltigkeitszielen.

Jetzt, zur Halbzeit, ist klar: Die meisten dieser Ziele werden verfehlt. Laut einer UN-Halbzeitbilanz gibt es bei mehr als 30 Prozent der Ziele keinerlei Verbesserung oder sogar Rückschritte. Wenn es so weitergeht wie bisher, werden im Jahr 2030 nach UN-Angaben noch immer mehr als 600 Millionen Menschen hungern.

Afrikanische Frau im traditionellen Gewand füllt Gefäße an einem Brunnen in einer wüstenartigen Umgebung
Bei einigen Zielen kommt die Weltgemeinschaft kaum voran - oder macht sogar RückschritteBild: Caro Trappe/picture alliance

Johannes Varwick ist Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen an der Universität Halle. Er beschreibt gegenüber DW das Problem der Nachhaltigkeitsziele so: "Die Ziele waren sicher ambitioniert, wären aber mit dem entsprechenden politischen Willen nicht vollkommen unerreichbar gewesen. Es haben aber zu wenige Staaten die Verpflichtungen wirklich ernst genommen." Ein Problem sieht er darin, dass internationale Politik "immer kurzfristig und krisengetrieben" sei. "Krisen wie die globale Finanzkrise 2008, die Pandemie oder nun der Ukrainekrieg haben die Prioritäten verschoben. Das ist einerseits nachvollziehbar, anderseits eben kurzsichtig."

Kritik: Deutschland spart bei Entwicklungshilfe

Trotzdem haben sich die 193 Nationen in einer politischen Erklärung erneut zu den Zielen bekannt. "Wir werden mit Dringlichkeit handeln, um die Vision (der Agenda 2030) als Aktionsplan für Menschen, den Planeten, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft zu verwirklichen, der niemanden zurücklässt", heißt es darin. UN-Generalsekretär António Guterres forderte eine "Aufholjagd", um die Ziele doch noch zu erreichen.

Auch die Bundesregierung macht Druck. "Die Zeit drängt", mahnte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede. Deutschland stehe dafür ein, die Ziele "weiterhin ganz oben auf der internationalen Agenda zu halten". Mehr Tempo fordert auch die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht vor leeren Sitzreihen bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung.
Bundeskanzler Olaf Scholz in der Generalversammlung - vor weitgehend leeren RängenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Doch Kritiker machen nicht zuletzt Berlin für mangelnden Fortschritt verantwortlich. Das katholische Hilfswerk Miserior etwa kritisiert, es sei "kein ermutigendes Zeichen", wenn im nächsten Bundeshaushalt 15 Prozent weniger für Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen seien. Auch das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" kritisierte die Kürzungspläne. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer sagte im Sender Phoenix über den Gipfel: "Alle machen große Versprechen und am Ende gehen sie nach Hause und machen nicht, was notwendig ist." Auch in Deutschland sei kein entscheidender Richtungswechsel erkennbar.

Machterosion des Westens

Während Bundeskanzler Olaf Scholz in New York vor fast leeren Rängen sprach, zog in der Generaldebatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Aufmerksamkeit auf sich. Er nutzte seine Rede für eine dringende Warnung vor russischer Aggression. Doch die Dominanz des Ukraine-Kriegs auch bei den Vereinten Nationen ist einer der Konflikte innerhalb der Weltorganisation. Die Länder des Globalen Südens werfen den westlichen Staaten vor, sie nähmen diesen Krieg zu wichtig und vernachlässigten darüber Dinge wie die weltweite Armutsbekämpfung.

Vorübergehend hatten Russland und zehn weitere Länder vor allem aus dem Globalen Süden mit einer Blockade der gemeinsamen Gipfelerklärung gedroht. Sie hatten beklagt, Sanktionen schadeten ihrer Entwicklung. Zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer haben den russischen Einmarsch in der Ukraine nicht verurteilt und tragen die Russland-Sanktionen des Westens nicht mit.

Soldat steht vor den rauchenden Trümmern eines Hauses
Krieg in der Ukraine: Für viele Schwellen- und Entwicklungsländer nur einer von vielen Konflikten und nicht oberste PrioritätBild: Genya Savilov/AFP

Johannes Varwick sieht hier eine Machtverschiebung weg vom Westen und hin zu autoritären Staaten wie Russland und China. "Dem politischen Westen fehlt es an Gefolgschaft. Dies zeigt insbesondere das zunehmend bedeutsame BRICS-Plus-Format, dass sich auch als Kampfansage an den Westen verstehen lässt. Auch das jüngste Treffen der G-77 plus China in Havanna zeigt den wachsenden Gestaltungsanspruch des Globalen Südens." Trotzdem sieht er keine wirkliche Alternative zur UN: "Wir haben nichts Besseres als die Vereinten Nationen."

Deutsche Initiativen

Wie geht es weiter mit den Nachhaltigkeitszielen? Die Bundesregierung hat dazu Initiativen gestartet. Bundeskanzler Olaf Scholz und Entwicklungsministerin Svenja Schulze haben in New York zu einer Konferenz im kommenden Juni in Hamburg eingeladen, um mit Regierungsvertretern aus dem Globalen Norden und dem Globalen Süden sowie führenden Vertretern aus Privatwirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen "Lösungen für die notwendige sozial-ökologische Transformation zu entwickeln", wie es hieß.

Außerdem bereitet Deutschland, das gerade seine 50jährige UN-Mitgliedschaft feiert, zusammen mit Namibia den für kommendes Jahr geplanten UN-"Zukunftsgipfel" vor. Vielleicht geht ja von der Zusammenarbeit dieser beiden sehr unterschiedlichen Länder das Signal aus, dass Nord und Süd tatsächlich gemeinsam Ziele definieren und dafür kämpfen können.

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik