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PolitikEuropa

Ukraine aktuell: Özdemir sagt Hilfe bei Landwirtschaft zu

10. Juni 2022

Agrarminister Özdemir und Gesundheitsminister Lauterbach besuchen die Ukraine. Sjewjerodonezk steht nach wie vor unter schwerstem Beschuss. Frankreich verspricht weitere Waffenlieferungen. Ein Überblick.

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Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (r.) und sein ukrainischer Kollege Mykola Solskyj
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (r.) und sein ukrainischer Kollege Mykola Solskyj in KiewBild: Andreas Stein/dpa/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Özdemir und Lauterbach sagen Hilfe zu
  • Sjewjerodonezk weiter unter starkem Beschuss
  • Ukraine spricht von massiven russischen Verlusten
  • Macron verspricht weitere Waffenlieferungen
  • Bundesrat winkt Bundeswehr-Sondervermögen durch
  • Putin vergleicht sich mit Peter dem Großen

 

Bundesagrarminister Cem Özdemir hat der Ukraine deutsche Hilfe zum Aufrechterhalten der Landwirtschaft und der Exporte trotz des russischen Krieges gegen das Land zugesichert. "Der Erfolg der ukrainischen Landwirtschaft ist nicht nur für die Ukraine wichtig, er ist für uns alle wichtig", sagte der Grünen-Politiker bei einem Besuch in einem Agrarkolleg in Nemischajewe bei Kiew mit Blick auf fehlende Getreidelieferungen für die weltweite Ernährungssicherung.

Özdemir kam zum Auftakt mit seinem Amtskollegen Mykola Solskyj in Kiew zusammen. Im Gespräch ging es auch darum, alternative Wege für Agrarexporte angesichts der von Russland blockierten ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer zu finden. Er teile die Skepsis in der Ukraine, dass Russland angeblich bereit wäre, Korridore über das Schwarze Meer zu ermöglichen, sagte Özdemir. "Das wäre für die Ukraine Kamikaze, sich auf das Wort (des russischen Staatschefs Wladimir) Putin zu verlassen, ohne dass es glaubwürdige, wirksame militärische Garantien gibt, dass die Sicherheit der ukrainischen Häfen und der Schiffe abgesichert ist."

Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj liegen derzeit bis zu 25 Millionen Tonnen Getreide auf Halde. Im Herbst könnte die Zahl auf 75 Millionen Tonnen steigen. 

Özdemir: Solidarität zeigen und sehen, wie wir helfen können

Als konkrete Hilfen kündigte Özdemir unter anderem 500.000 Euro zum Ausbau von Laborkapazitäten in Ismajil an der Grenze zu Rumänien an, um die Abfertigung von Agrarexporten zu beschleunigen. Zudem will Deutschland fünf Millionen Euro für Tierarzneimittel bereitstellen.

Lauterbach in Lwiw

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte in Lwiw (Lemberg), das Land brauche humanitäre Hilfe "genauso dringend wie unsere militärische Unterstützung". Konkret geht es um die Versorgung Schwerstverletzter mit Brandwunden. Außerdem will die Bundesregierung beim Aufbau von Container-Werkstätten zur Herstellung von Prothesen helfen. "Dies ist der Beginn einer andauernden Zusammenarbeit", erklärte der Gesundheitsminister.

Ukraine | Lviv | Bundesgesundheitsminister Lauterbach | Viktor Lyaschko
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (r.) mit seinem ukrainischen Kollegen Viktor LjaschkoBild: Thomas Koehler/Photothek.De/BMG/picture alliance

Lauterbach berichtete weiter, auf Vermittlung seines Hauses über die Bundesärztekammer hätten sich 200 Chirurgen und Notfallmediziner für einen Einsatz in der Ukraine angeboten. Sie wollten dort "so schnell wie möglich" zum Einsatz kommen. 

Bundesregierung verurteilt Todesstrafe für ausländische Kämpfer

Die deutsche Regierung hat scharfe Kritik an den Todesurteilen gegen drei ausländische Kämpfer in einer von pro-russischen Rebellen kontrollierten Region in der Ostukraine geäußert. Die Berichte über die Urteile seien "erschütternd", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin. Die Bundesregierung verurteile die Gerichtsentscheidungen. Es zeige sich "einmal mehr die volle Missachtung Russlands für elementare Grundsätze des humanitären Völkerrechts". "Angehörige von bewaffneten Kräften und eben auch Angehörige, die auf Seiten der Ukraine kämpfen, sind unabhängig von der Staatsangehörigkeit sogenannte Kombattanten und ihnen gilt ein ganz besonderer Schutz nach dem humanitären Völkerrecht", fügte der Ministeriumssprecher hinzu. Zur Frage, ob auch Deutsche Gefangene der Separatisten sind, habe er "keine Erkenntnisse". 

Selenskyj spricht von schwieriger Lage

Der ukrainische Präsident Selenskyj bezeichnet die Lage im Krieg gegen Russland als weiterhin schwierig. "Die Frontsituation über den Tag - ohne wesentliche Änderungen", sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft in Kiew.

Die strategisch wichtige Stadt Sjewjerodonezk, das benachbarte Lyssytschansk und andere Orte im Donbass, die die russischen Angreifer derzeit als Schlüsselziele im Osten ansähen, könnten sich wirksam verteidigen, erklärte der Präsident. "Wir bewegen uns allmählich in der Region Charkiw voran und befreien unser Land."

Kämpfe in Sjewjerodonezk

Zur Lage im Süden der Ukraine sagte Selenskyj: "Wir haben eine gewisse positive Wirkung im Gebiet von Saporischschja, wo es möglich ist, die Pläne der Eindringlinge zu durchkreuzen." Auch in Richtung Mykolajiw halte die Verteidigung.

"Sie sterben wie die Fliegen"

Der Luhansker Gouverneur Serhij Hajdaj schreibt in seinem Telegram-Kanal, Sjewjerodonezk stehe weiter unter starkem Beschuss. Die russische Armee habe mit der Eisarena eines der Symbole der Stadt zerstört. "Sie haben das Gebäude mit Granaten beschossen", postet Hajdaj gemeinsam mit einem Bild von schwelenden Ruinen des Gebäudes. Nach seinen Angaben beklagen die Angreifer jedoch wesentlich mehr Verluste als die Ukrainer. Die russische Armee habe die Überreste von Einheiten aus der Teilrepublik Burjatien im Fernen Osten Russlands abgezogen. "Sie sterben wie die Fliegen."

Die russischen Streitkräfte attackierten nach eigener Darstellung in der Nacht mehrere militärische Ziele. Auf dem Flughafen Dnipro sei Luftfahrtechnik der ukrainischen Streitkräfte mit Boden-Luft-Raketen vernichtet worden. Im Raum Charkiw habe man auf Werkstätten zur Reparatur von Waffentechnik gezielt, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. An der Front seien zudem mehr als 500 ukrainische Soldaten getötet und zahlreiche Munitionsdepots vernichtet worden. Zudem berichtete Konaschenkow über den Abschuss von zwei Kampfjets und fünf Drohnen. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich nicht unabhängig prüfen.

Macron verspricht Waffen - und mehr

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat der Ukraine die Lieferung weiterer schwerer Waffen für ihren Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg zugesichert. In einem Telefonat mit Präsident Selenskyj erkundigte sich Macron nach den Bedürfnissen in Bezug auf militärische Ausrüstung, politische und finanzielle Unterstützung sowie humanitäre Hilfe.

Der ukrainische Präsident Selenskyj (rechts) empfing in Kiew seinen französischen Kollegen Macron wenige Tage vor dem russischen Angriff
Der ukrainische Präsident Selenskyj (rechts) empfing seinen französischen Kollegen Macron kurz vor dem russischen AngriffBild: Thibault Camus/AP/picture alliance

Frankreich hat der Ukraine bereits rund ein Dutzend "Caesar"-Haubitzen geliefert und ukrainische Soldaten in Frankreich in der Bedienung der Geschütze trainiert. Die auf Lastwagen montierten "Caesar"-Geschütze mit einem Kaliber von 155 Millimeter können Ziele bis auf eine Entfernung von 40 Kilometern präzise treffen. Außerdem stellte Frankreich Panzerabwehrraketen des Typs "Milan" zur Verfügung. Frankreichs neue Außenministerin Catherine Colonna hatte bei einem Besuch in Kiew Ende Mai gesagt, auf die Forderung der Ukraine nach der Lieferung schwererer Geschütze werde es eine "konkrete Antwort" geben.

Ukrainischer Botschafter fordert Klarheit bei Waffenlieferungen

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, weiß nach eigener Darstellung nicht, wann die jüngst von der Bundesregierung zugesagten Waffen geliefert werden. Es sei noch unklar, wann die Mehrfachraketenwerfer "Mars" aus Beständen der Bundeswehr übergeben würden, sagte Melnyk der Berliner Zeitung "Tagesspiegel". Dieses Waffensystem brauchten die ukrainischen Truppen am dringendsten. Man müsse die "enorme militärische Überlegenheit" Russlands endlich brechen.

Die Luft-Luft-Rakete Iris-T des Industrie- und Rüstungskonzerns Diehl
Die Luft-Luft-Rakete Iris-T des Industrie- und Rüstungskonzerns Diehl Bild: Daniel Karmann/picture alliance/dpa

Zudem reiche eine Einheit des Luftabwehrsystems "Iris-T" nicht aus. Die Ukraine brauche mittelfristig mindestens zehn weitere solche Systeme samt Munition, um ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken. "Das könnte zum Game-Changer werden. Es wäre ein Präzedenzfall, wenn Deutschland zum ersten Mal keine alten, sondern wirklich moderne schwere Waffen liefert."

"Russland klar als Bedrohung benennen"

Die osteuropäischen NATO-Staaten sind dafür, dass das westliche Militärbündnis in seinem neuen strategischen Konzept Russland klar als Bedrohung benennt. Man wünsche sich einen entsprechenden
Beschluss beim nächsten Gipfeltreffen der Allianz in Madrid Ende Juni, sagte Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis als Gastgeber eines Gipfels der neun östlichen NATO-Staaten in der  Hauptstadt Bukarest. 

Die Staaten begrüßen den geplanten NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands. Dies würde die  Abschreckunsgwirkung sowie die Ostflanke der Allianz stärken, sagte Iohannis weiter.

Rasmussen: "Diktatoren zu beschwichtigen, führt nicht zum Frieden"

Der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen betrachtet den russischen Einmarsch in die Ukraine als eine Fortsetzung der Besetzung der Schwarzmeer-Halbinsel Krim im Jahr 2014. Damals habe man nicht stark genug reagiert, sagte Rasmussen auf dem Kopenhagener Demokratie-Gipfel seiner Stiftung Alliance of Democracies. Man habe weiter russisches Öl und Gas gekauft, Russland die Olympischen Spiele und die Fußball-WM ausrichten lassen und Präsident Wladimir Putin ermöglicht, mit all dem durchzukommen. "Wir haben die Lektionen der Geschichte nicht gelernt: Diktatoren zu beschwichtigen führt nicht zu Frieden. Es führt zu Krieg und Konflikt."

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen
"Schlüsselmoment für die freie Welt": Ex-NATO-Generalsekretär Anders Fogh RasmussenBild: Soeren Stache/dpa/picture alliance

Dieses Jahr habe Putin gedacht, wieder damit durchzukommen. Er habe sich aber darin getäuscht, sagte Rasmussen weiter. Dies sei ein Schlüsselmoment für die freie Welt. "Der einzige Ausweg für Putin ist der Weg heraus aus der Ukraine", so der frühere dänische Regierungschef. Wenn die Russen aufhörten zu kämpfen, würde es keinen Krieg mehr geben - wenn die Ukrainer dies jedoch täten, würde es keine Ukraine mehr geben.

Bundesrat winkt Bundeswehr-Sondervermögen durch

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg hat auch Deutschland massive Investitionen in seine Armee angekündigt. Nach dem Bundestag billigte der Bundesrat mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit die entsprechende Grundgesetzänderung und die Einrichtung eines Sondervermögens. Damit dürfen unter Umgehung der sogenannten Schuldenbremse Kredite von 100 Milliarden Euro aufgenommen werden, um die Streitkräfte besser auszurüsten.

Mit dem Geld sollen in den kommenden Jahren neue Flugzeuge, Hubschrauber, Schiffe, Panzer und Munition angeschafft werden. Es geht aber auch um Ausrüstung wie Nachtsichtgeräte und Funkgeräte. Einige Rüstungsprojekte sind bereits angeschoben, darunter der geplante Kauf von F-35-Tarnkappenflugzeugen sowie die Beschaffung von 60 schweren Transporthubschraubern des Modells CH-47F für den Lufttransport von Soldaten und Material. 

Putin und Peter der Große

Russlands Präsident Wladimir Putin sieht Parallelen zwischen seiner Politik und jener Peters des Großen. Die Erfolge des Zaren im Großen Nordischen Krieg (1700-1721) und die schlussendliche Niederlage Schwedens führten zur Vormachtstellung im Ostseeraum und zum Aufstieg Russlands zur europäischen Großmacht.

Putin sagte nach dem Besuch der Ausstellung "Peter der Große: Geburt eines Reiches" in Moskau, als der Zar St. Petersburg gegründet und zur russischen Hauptstadt ernannt habe, habe "keines der Länder in Europa dieses Gebiet als zu Russland gehörend anerkannt". Dabei habe der Zar "gar nichts genommen - er hat es zurückgeholt". Ein solches "Zurückholen" sei auch heute Aufgabe der Verantwortlichen in Russland, führte der Kremlchef in offensichtlicher Anspielung auf die Offensive in der Ukraine aus.

se/jj/AR/rb/ie (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.