1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAfrika

Terror verschärft Hunger im Sahel

Martina Schwikowski Mitarbeit: Chrispin Mwakideu, Brahima Tounkara
20. Oktober 2020

Die humanitäre Krise in Mali, Burkina Faso und Niger weitet sich aus. Terror und COVID-19 verschlimmern die Lage. Neue Hilfszusagen sollen Abhilfe schaffen. Doch Lobbyorganisationen drängen auf langfristige Ansätze.

https://p.dw.com/p/3kC6o
Dürre in Niger
Bild: ABDELHAK SENNA/AFP/GettyImages

Militärische Gewalt, Armut, Verstöße gegen Menschenrechte und verheerende Folgen des Klimawandels - die Lage in der Sahelzone ist katastrophal. Die Grenzregionen zwischen Mali, Burkina Faso und Niger in Westafrika stehen im Zentrum der laut UN-Angaben am schnellsten wachsenden humanitären Krise der Welt. Die Entwicklung in der zentralen Sahelzone stand daher am Dienstag im Mittelpunkt einer Geberkonferenz in Kopenhagen. Die Vereinten Nationen, Deutschland und die Europäische Union waren zusammen mit Dänemark die Gastgeber der virtuellen Gespräche zur Lage in diesen Ländern. Das Ergebnis: Neue Zusagen, die sich laut einer ersten Einschätzung des UN-Nothilfekoordinators Mark Lowcock auf rund 1,7 Milliarden US-Dollar (rund 1,4 Milliarden Euro) für dieses und die kommenden Jahre belaufen dürften.

Alle bisherigen Versuche, die fragile Region zu stabilisieren, sind laut Experten weitgehend gescheitert. Vielmehr sorgen terroristische Überfälle in den Ländern für eine Zuspitzung der humanitären Krise - die Region wird mehr und mehr zu einer Brutstätte für Terror und bewaffnete Konflikte. Auch das an Niger angrenzende Nord-Nigeria spielt in diese Gemengelage mit hinein. Die islamistische Terrororganisation Boko Haram ist in Nigeria für tödliche Angriffe verantwortlich, die viele Menschen zur Flucht in die Nachbarländer zwingt und dort die Flüchtlings- und Nahrungskrise verstärkt. 

Nigeria Maiduguri | Flucht vor Boko-Haram | Flüchtlingslager
Der Terror der Boko-Haram-Miliz hat viele Nigerianer zu Vertriebenen gemacht. Manche fliehen auch ins benachbarte NigerBild: Ute Grabowsky/Imago Images

Hungerkatastrophe unter Corona-Beschränkungen

Hilfsorganisationen müssten dringend Zugang erhalten - sonst würden Tausende Menschen in der zentralen Sahelzone weiter ins Elend gestürzt, warnte Anfang dieser Woche das Welternährungsprogramm (WFP). "Wir sind sehr besorgt angesichts der Lage in der Zentralregion des Sahel", sagt Bettina Lüscher, Chefsprecherin des WFP, im DW-Interview. "Die Länder Burkina Faso, Mali und Niger stehen vor einer großen Krise, die sich durch COVID-19 absolut verschlimmert hat. In manchen Teilen Burkina Fasos stehen Menschen vor einer akuten Hungerkatastrophe, das ist etwas, was nur sehr selten passiert."

Bewaffnete Konflikte, Überflutungen und wirtschaftliche Probleme tragen laut Lüscher zur allgemeinen Anspannung bei, die Menschen wüssten nicht, wie sie weitermachen sollten. Allein in den drei Ländern Burkina Faso, Mali und Niger seien mehr als sieben Millionen Menschen akut von Hunger betroffen: "Sie wissen nicht, wo die nächste Mahlzeit herkommt", sagt die WFP-Sprecherin. "Wir glauben, die Zahl könnte auf 13 Millionen ansteigen. Gerade in Corona-Zeiten ist das ein Riesenproblem." Die Gründe liegen auf der Hand: Die Arbeit der Helfer sei schwierig, sie würden häufig überfallen, die Lastwagen der Organisation kämen in manche Gebiete gar nicht erst hinein.

Burkina Faso Sensibilisierung gegen COVID-19
Die Corona-Pandemie macht auch in Burkina Faso Schutzmaßnahmen nötig. Das erschwert den Transport von HilfsgüternBild: Ali Bokoum

"Die Welt darf den Sahel nicht vergessen"

Rasant wachsende Zahlen an Vertriebenen verschärfen die Lage. "Viele Menschen sind auf der Flucht und haben keine Möglichkeit, sich selbst zu versorgen", sagt Ivo Brandau, Sprecher des UN-Amtes für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) in Westafrika. "Die Zahl der Vertriebenen ist zwanzigmal höher als im letzten Jahr. Jetzt sprechen wir von 1,6 Millionen Binnenflüchtlingen", so Brandau im DW-Interview. Sie alle benötigten eine Unterkunft, Essen, Wasser und Zugang zu sanitären Anlagen. Mit den bisher zur Verfügung stehenden Nothilfemitteln sei das nicht zu bewältigen.

Lesen Sie auch: Gastkommentar: Humanitäre Hilfe für den Sahel ist Krisenvorsorge

Für Lüscher sendet die aktuelle Geberkonferenz ein wichtiges Zeichen: "Die Welt darf den Sahel nicht vergessen." Sonst drohe die Region, ganz im Chaos zu versinken, der Terrorismus nehme weiter zu - mit gravierenden Konsequenzen für die internationale Sicherheitslage. "Wir müssen mehr in Entwicklungshilfe investieren mit Fokus auf Friedensaktionen." Beobachter drängen darauf, auch das terrorgeplagte Nordostnigeria nicht aus dem Blick zu verlieren, wo sich viele Bauern in Flüchtlingslager in den Städten flüchten mussten. "Die akute Bedrohung durch Hunger ist deutlich spürbar", sagt der ehemalige Landwirtschaftsbeamte Hamza Umar Usman in der Stadt Maiduguri. "Die Preise auf den Märkten sind hoch, weil die meisten Bauern ihr Land wegen der Unsicherheit nicht bestellen konnten. Auch jetzt können die häufigsten Getreidesorten nicht angebaut werden."

Statt Fokus auf Militär: Lokale Projekte fördern

Ekkehard Forberg, Friedensexperte bei der internationalen Kinderhilfsorganisation World Vision, empfindet die derzeitige Situation ebenfalls als extrem fragil. Er plädiert für mehr Initiativen in den Dörfern, die einen langfristigen Friedensprozess auf den Weg bringen sollen. "Momentan hungern 900.000 Kinder in Mali, Niger und Burkina Faso, und COVID wird noch eine Weile bleiben.", sagt Forberg im DW-Interview.

Bundeswehr EUTM
Auch die deutsche Bundeswehr beteiligt sich an der Ausbildung von Soldaten in MaliBild: picture alliance/dpa/Bundeswehr/F. Bärwald

Es müsse daher auch in langfristige Projekte investiert werden, die die Vermeidung von Konflikten im Visier haben. Besonders in Mali, wo sich auch die Bundeswehr in Friedensmissionen engagiert, sieht er die Gefahr einer Stagnation. Er halte nichts von den Ideen, durch nationale Armeen Sicherheit zu vermitteln, der Aufbau militärischer Ausbildungs- und Unterstützungskonzepte habe nicht zum Erfolg geführt. Da sei lediglich an Symptomen herumgedoktort worden. Daher seine Forderung: "Wir müssen die Menschen vor Ort, die Dorfbewohner trainieren, auch die Angehörigen ethnischer Gruppen, damit sie später miteinander verhandeln können."